Von Tanja Muhs

ER ließ sich seinen Körper mit einem so lauten Plumps in den Sessel sinken, dass jegliche Luft mit einem deutlich pffft aus dem alten Lederpolster entwich.

 

„In Ordnung, dann lasst mal hören! Was haben wir?“

 

Er betrachtete die beiden Männer über den Rand seiner Goldrandbrille, zog dann die Braue kraus.

 

„Oh, und wen haben wir….Du bist …?“

 

„Das ist Octavius“, antwortete Primus anstelle des Angesprochenen. „Ihr wisst schon…der Neue im Marketing-Team… .“

 

„Ja, ja, ts, natürlich weiß ich! Ich habe schließlich seiner Einstellung zugestimmt.“

 

Er lehnte sich zurück und fuhr an Octavius gewandt fort: „Nun denn, berichte, Octavius!“

 

Octavius räusperte sich, hob an „Domine“, sagte er, doch musste er sich erneut räuspern. Er war eine solch hohe Gesellschaft einfach nicht gewohnt.

 

„Domine, mein Kollege und ich“, er wies mit der rechten Hand auf den neben ihn sitzenden Primus, „haben uns, wie von Euch gewünscht, mit den genannten Oberbegriffen auseinandergesetzt und uns intensive Gedanken über unsere Marketing-Strategie gemacht.“

 

„Nein, nein, nein, nein, Octavius, also bitte! Natürlich habt ihr das, denn das war ja schließlich eure Aufgabe! Das meine ich doch nicht! Weißt du denn gar nichts, Octavius?“

 

„Domine?“

 

Als der Alte nicht antwortete, sah Octavius hilfesuchend zu Primus hinüber, der ihm jetzt mit der flachen Hand gegen den Oberarm schlug als wäre er ein störrischer Maulesel, den man zum Laufen bewegen musste.

 

„Na, sag schon, sag, du Dummerchen! Natürlich will der große Dominus wissen, ob du schon im Team Mitte cum nobis warst!“

 

„Oh, ach so, ähm, ja…ich denke…“, antwortete Octavius, merkte selbst, wie wenig überzeugend er klang. Musste er nicht schon deshalb in Mitte im Team gewesen sein, weil er nun hier oben saß?

 

Der Alte stütze seine Ellbogen auf die Tischplatte und beugte sich nach vorn. Das Kinn gehoben und mit weiten Augen fuhr er fort: „Octavius, sprich, bist du ein guter Mensch gewesen?“

 

„Natürlich, Domine! Natürlich!“

 

Sollte ein Fehler passiert sein und niemand hatte seine Taten hinlänglich überprüft, bevor man ihn eingelassen hatte? Warum stellte der Dominus sonst solche Fragen?

 

„Nun, nun.“ Der Dominus kicherte. „Wenn wir das geklärt haben, dann lasst uns fortfahren. Welche Vorschläge habt ihr?“

 

„Nun, Domine“, hob Primus an, doch der Dominus unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung.

 

„Du nicht, Primus! Der Neue! Wir wollen doch einmal gucken, welche Vorschläge er hat und welchen frischen Wind er hier wehen lassen wird. Du weißt schon: Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren.“

 

Octavius hätte gelogen, hätte er gesagt, ihm sei wohl in seiner Haut gewesen.

„Nun, Domine“, hob er an, „ich darf noch einmal die Schlagworte nennen, die es mit Inhalten zu füllen galt?“

 

Der Alte machte eine einladende Geste mit der Hand und nickte.

 

Octavius fuhr fort: „Wir haben intensive Recherche betrieben zu den folgenden Headlines:

  • Krankheit & Unfall,
  • Existenznot & Hunger,
  • Tod & Freitod
  • und Verlust & durchkreuzte Pläne

 

Ich würde vorschlagen, wir gehen die einzelnen Items nun nacheinander durch? Ich würde mit dem ersten Unterpunkt beginnen und meine Ergebnisse vortragen und Primus ergänzt dann mit seinen?“

 

Wieder nickte der Alte.

 

„Nach meiner Recherche ist die Weltbevölkerung gesünder. Allein in Afrika ist die Kindersterblichkeit um 11% gesunken, was nicht zuletzt auf große Kampagnen gesundheitlicher Aufklärung zurückzuführen ist, initiiert und unterstützt von unserer Bodencrew. Das würde ich zum großen Aufhänger machen. Vielleicht ein paar Fotos von lachenden Kindern und lächelnden Padres, vielleicht ein paar kleine Interviews?“

 

Octavius schaute von seinen Notizen hoch. Die Lippenlinie des Dominus, die nun ein liegendes S markierte, öffnete sich kurz zu „Nun, fahr er fort!“

 

„In Ordnung! Also, bezüglich der Unfälle ist zu vermerken, dass die Zahl der Verkehrstoten unter den Fahranfängern massiv gesunken ist, wenn – und jetzt kommt das entscheidende Wenn – wenn, der Fahranfänger eine geweihte Plakette des Heiligen Christophorus am Spiegel trägt. – Dies an der richtigen Stelle platziert, wird die Verlaufszahlen für geweihte Plaketten ins Unermessliche steigen lassen!“

 

„Nun, hört, hört!“

An Primus gewandt, fuhr er fort, seine Unterlippe noch immer zu einem liegenden S verkniffen, „Primus, bitte, ERGÄNZE mit deinen Vorschlägen!“

 

„Natürlich, Domine! In Asien ist es zu einem Ausbruch mit einem neuen Erreger gekommen, man weiß noch nicht, wieviele Mitglieder des anderen Teams es ereilen wird.“

 

Der Alte schnalzte mit der Zunge. „Was weiß man darüber, wie die Krankheit sich verbreitet?“

 

„Noch nicht viel, Domine! Aber die Krankheit soll hoch ansteckend sein. Über die Sterblichkeit weiß man noch nicht viel, aber die Symtome sind zumindest schon einmal beängstigend, denn es…wie soll ich sagen…geht mit hohem Fieber einher und es… fließt viel Flüssigkeit… .“

 

„Herrlich, herrlich!“ Der Alte klatschte in die Hände. „Das wird sicherlich einige …“, er zwinkerte Primus zu, „…der Adversarii in unser Team…spülen.“

 

„Domine, auch das Gesicht läuft himmelblau an!“ Primus kicherte.

 

„Nun, das wird ihnen als Zeichen dienen, Primus! Der Himmel lässt grüßen! – Sehr gut! Fahre er fort!“

 

„Mia, 19 Jahre alt, Fahranfängerin. Am Wochenende vor ihrem Aufbruch – freies soziales Jahr mit den Ärmsten der Armen in den Favelas Brasilias – trifft sie sich zum letzten Mal mit ihren Freunden. Auf der Rückfahrt überholt sie ein Betrunkener, verliert die Kontrolle über sein Fahrzeug….Das arme Mädchen hatte ihr Leben noch vor sich und so hehre Ziele… .“   

 

„Es lebe der Alkohol! Uns immer wieder ein treuer Gefährte, nicht wahr, Primus?“

 

„Oh, ja, Domine! Gesegnet seien die Mönche, die ihn erfanden.“

 

„Gesegnet seien sie“, erwiderte der Alte. „Los, los, Primus, gib es an die WORT-Zeitung und das WELTENBLATT!“

 

Geschäftigt erhob sich Primus von seinem Stuhl und verließ, drei Bücklinge in Richtung des Dominus aufwartend, rücklings den Raum.

Der Dominus schaute nun Octavius an, der bereits seit einiger Zeit erstaunt und erschrocken zugleich dem Gespräch zu folgen versucht hatte.

 

„Nun, Octavius?“ Die Stimme des Alten grollte wie ein Gewitter, dass sich über Octavius`Kopf zu entladen drohte.

 

„Domine?“ traute er sich schließlich zu sagen.

 

„Ich denke und hoffe, der Unterschied zwischen deinen Vorschlägen und denen unseres Primus ist allzu deutlich geworden?“ Des Dominus‘ Stimme donnerte in Octavius Ohren, dass er dachte, er müsste jetzt taub sein.

 

Was hatte er falsch gemacht?

Was hatte er nicht verstanden?

Warum waren Primus‘ Vorschläge so derart anders ausgefallen als seine?

Ging es nicht darum, Werbung zu machen für das Wirken des Dominus und stellte man in Werbung nicht Positives dar?

 

Und wenn er derart schief lag mit seinem Vorschlagskatalog, bedeutete das im Umkehrschluss….bedeutete das im Umkehrschluss, man hatte ihn tatsächlich nicht überprüft, bevor man ihn eingelassen hatte und nun stellte sich heraus, er war falsch im Oben-Team und man würde ihn jetzt ins andere Team  versetzen?

 

Octavius brach der Schweiß aus, heiß, heiß, heiß, wie im Team Unten.

 

Der Alte sah ihn über den Rand seiner Brille mit funkelnden Augen an und griff zum Telefonhörer. Er tippte ein paar Tasten so heftig, dass Octavius glaubte, die Tasten müssten herausfallen.

„Ja? Sekundus?“ Der Dominus wartete kurz, was das Gegenüber sagte, fuhr dann fort: „Ja, jajajaja, wir haben den Nächsten! – Was? – Ja! Ja, ich weiß, dass es schon der Achte in Folge ist! Nein, nein, nein, ich werde ihm keine zweite Chance geben. Nein! Er war nie Teil meines Teams! – Ja, sag ihr, sie soll kommen und ihn holen! Für mein Team taugt er nichts!“ Der Hörer knallte auf die Gabel.

 

„Aber, Domine?“

 

„Kein weiteres Wort mehr, Octavius! Wir beide sind fertig miteinander. Du wirst ins andere Team strafversetzt! Hier hast du nichts verloren!“

 

„Aber, Domine, bitte…. .“

 

In diesem Moment klopfte es. Ohne auf ein „Herein“ zu warten, öffnete sich die Tür, hinein trat eine Frau. Ihr Alter konnte Octavius schlecht schätzen. Ihr Haar war weiß, aber ihr Gesicht wirkte geradezu jugendlich, um ihre Augen herum hatte sie so viele kleine Lachfalten wie sie Ocatvius noch nicht gesehen hatte.

 

„Das ist er, Domine?“ Sie schenkte Octavius ein breites Lächeln einer geraden Reihe schneeweißer Zähne.

 

„Ja, nimm ihn und werd glücklich mit ihm.“

 

„Das werde ich wohl, danke dir“, an Octavius gewandt wies sie ihm mit dem Kopf, ihr zu folgen.

 

Octavius stolperte hinter ihr den Gang hinunter, konnte mit dem zügigen Tempo kaum Schritt halten. Er hatte nun wirklich jemand anderen erwartet. Wer war sie? Er wollte ihr hinterherrufen, dass sie warten möge, aber er kannte ihren Namen nicht, sie hatte sich nicht vorgestellt.

Als hätte sie seine Gedanken erraten, blieb sie abrupt stehen und wandte sich zu ihm um. Sie lächelte immer noch.

 

„Domina?“

 

„Oh, bitte, nenn mich nicht so! Du kannst mich Alma nennen! Und ich werde dich von nun an … Jonathan nennen. Das heißt ‚von Gott gegeben‘, weißt du?“

 

Sie kam ein paar Schritte auf ihn zu und zwinkerte.

 

„Ich weiß, Jonathan, du wirst viele Fragen haben, aber hab keine Angst. Du bist hier richtig. Du wirst Spaß bei uns haben. Und Glück hast du gehabt, riesiges Glück, denn du bist gerade  der größten Illusionswerkstatt des Universums entkommen! Der Verkaufsschlager des Dominus-Teams: Die Illusion des Unglücklichseins!“

 

„Entschuldigung, Alma, ich verstehe nicht…“

 

„Schau! Es ist eine Frage der Sichtweise. Wen siehst du – die, die ihre Sucht besiegt haben oder die, die von ihr besiegt wurden? Wir sind die, die die Sieger sehen. Es mögen weniger sein als die anderen, aber es gibt sie.  –  Wer, glaubst du, würde beim Dominus vorsprechen und um Hilfe bitten, wenn er glücklich ist und keine Angst hat? Richtig, niemand! Und so bedient der Dominus seine Kundschaft, Angst ist sein Geschäft. Aber nimm ihm das nicht übel, denn die Nachfrage regelt das Angebot und er bedient nur seinen Markt. Reiner Selbsterhaltungstrieb!“ lachte sie und wies Jonathan, ihr zu folgen.