Von Marco Rauch

Es war einmal ein Kater namens Sir Henry. Er wohnte in einem großen Haus im Nobelviertel von Nürnberg und verbrachte seine Tage damit aus dem Fenster auf die vor ihm liegende Straße zu schauen, seine Krallen am Kratzbaum zu wetzen oder irgendwelchen Dingen hinterherzujagen, die er sich in seiner Langeweile, ganz alleine in dem großen Haus, einbildete. 

 

Doch jeden Abend unter der Woche, wenn der Hausherr Thomas von der Arbeit kam, wurde es für ihn interessant und schlagartig war er hellwach.

Bereits aus der Ferne konnte er den ganz besonderen Klang des 12-Zylinders hören, den Thomas für den Weg zur Arbeit und zurück nutzte.

Sowie seine kleinen Ohren die ersten Töne vernahmen, spitzten sich die Barthaare und sogleich flitzte er hinab zur Türe um mit eifrigem und teilweise auch wehleidigem Gemaunze die Ankunft seines geliebten Dosenöffners zu feiern.

Doch wie so oft war das Erste, dass er nach dem Öffnen der Türe zu hören bekam, ein genervtes und manchmal auch fluchendes Gemecker über die Haare, die hier und dort zu finden waren, fein säuberlich überall im Haus verteilt.

Und wie so oft ergriff Sir Henry lieber zunächst einmal die Flucht, um möglichen Kissenwürfen die durchaus hin und wieder vorkamen oder dergleichen bereits im Voraus eine Absage zu erteilen.

 

Etwas später dann, wenn das klappernde Geräusch einer Dose, die im Begriff war, im Mülleimer zu verschwinden, durch die Küche hallte, traute er sich friedlich maunzend in den Raum, um mit wachsamem Blick zunächst die Lage einschätzend kurz darauf zum Fressnapf zu tapsen.

Und wie so oft stand Thomas dabei, rückte seine Brille zurecht und beobachtete das geliebte Haustier seiner verreisten Ehefrau, wie es nach und nach alles in sich hineinstopfte.

 

Eines Samstags jedoch, als Thomas wieder in der Küche stand mit einer Flasche Bier in seiner Hand, an jenem Tag nicht die Erste, und den penetranten Wohnverschmutzer das matschige Zeugs in sich hineinschlingen beobachtete, überkam ihn plötzliche eine Gewissheit: Er hatte es satt. Ständig Staubsaugen, dauernd Dreck kehren oder Sofa säubern, er hatte es satt. So überkam es ihn und er stellte die Flasche auf die Arbeitsplatte. Dann näherte er sich dem Kater, hob ihn auf seine Arme und schlenderte bewusst gemütlich wirkend hinauf ins Badezimmer. Die paar mal, die er sich zwischendurch am Treppengeländer Unterstützung suchen musste, störten seinen Eindruck des gemütlich Wirkens in keiner Weise.

In Wahrheit schwankte er wie in einem Slalomparcours mal links- und mal rechtslastig bedrohlich sturzgefährdet die Treppe hinauf und verlor unterwegs sogar seine Brille. Doch es kümmerte ihn nicht, er befand sich selbst als ausreichend nüchtern, außerdem zäh.

 

Oben angekommen setzte er ihn in die Badewanne, griff in Richtung des Akkubetriebenen Langhaarschneiders und rasierte das Tier kurzerhand von Kopf bis Fuß.

Und Sir Henry … nun er ließ es sich gefallen, denn immerhin hatte sich lange keiner mehr so intensiv um ihn gekümmert seit der Abreise seiner bevorzugten Hausdame.

Als das Werk vollbracht war, legte der Rasör zufrieden sein Handwerkszeug zur Seite, hob den Kater aus der Wanne und setzte ihn auf den Boden.

Sir Henry indes begutachtete zunächst seine Beinchen, warf dann einen Blick zu Thomas und stolzierte zufrieden über das Umsorgtwerden davon.

Und Thomas sah ihm hinterher, deutete eine leichte Verbeugung an und schmunzelte „Majestät.“ Dann rutschte sein Hintern mit lautem Rumms in die Wanne.

 

Tags darauf kehrte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Frau des Hauses zurück und vergnüglich und zufrieden fielen sich die beiden in die Arme.

Als Sir Henry die vertraute Stimme aus der Eingangshalle vernahm, flitzte er sogleich mit hocherfreutem Gemaunze hinab zu seiner lang vermissten Königin aller Dosenöffner.

Thomas jedoch hatte sich insgeheim vor diesem Moment gefürchtet, denn wie sollte er seiner Frau die fehlenden Haare beibringen? Er hatte lediglich den Fressnapf befüllt, den Kater jedoch noch gar nicht gesehen und war fast froh darüber. Entsprechend ungläubig und mit offenem Mund starrte er auf das leise, fast wie ein Langhaarschneider brummende Tier, das mit fein glänzendem Fell um die Beine seines Frauchens strich.

 

Und als Maria, des Thomas Frau, etwas später das Badezimmer im ersten Stock betrat, wunderte sie sich über den schwarzen Kamm, der einsam und verloren in der Badewanne lag.

 

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