Von Helga Rougui

Der Mensch ist eine Illusion.

Eigentlich ist er eine quallige Masse aus Schleim, Flüssigkeiten, schwammartigen, weicheren und festeren Materialklumpen, darinnen versteckt ein mehr oder weniger kompliziertes bleiches Gestänge, eine Menge Knorpel und Sehnen und Röhren und Faszien und Noppen noch dazu – vielen wird schon schlecht, wenn sie nur daran denken.

Und dann überzieht sich dieses durcheinandrig wirkende, aber im Grunde wohlgeordnete Gemengsel mit einer im besten Falle glänzenden, samtigen, wohlgefärbten Membran – und fertig ist die Glamour-Schönheit, und ihnen ist gar nicht mehr übel.

Auch mich schlägt eine solch wunderbare Erscheinung in ihren Bann – ich bin wie berauscht durch die äußere Form, aber ich möchte immer wissen, was dahintersteckt. Das fasziniert mich mehr.

Der Mensch ist eine Illusion. Mit Füllung.

Man könnte also auch sagen – der Mensch ist wie ein Raviolo.

Außen glatt und ebenmäßig, dickes Bäuchlein, mit niedlichen zwei mal fünf Noppen am unteren Rand.

Aber wenn man ihn öffnet, den Raviolo, sieht man eine käsigweiße Masse, grünes Gestrüpp und dickflüssig roten Saft, der hervortropft – exakt auf das weiße Smokinghemd. das man zu Tante Giselas 90. Geburtstag frisch angezogen hatte. (Aber das gehört nicht hierher.)

 

Warum erzähle ich das?

 

Ich ging letztens hinter einer schönen Frau her. Ich will nicht sagen, daß ich sie verfolgte, aber ich folgte ihr ein ganzes Stück die Rheinpromenade entlang, wo sie versuchte, ihrem Chihuahua das Kacken neben dem Gehsteig beizubringen – immer wenn sie sich niederhockte, um ihrem Köter gut zuzusprechen, spannte sich ihr enger roter Rock über ihrem wohlgerundeten Hintern, so daß ich trockenen Mundes nur schwer schlucken konnte.

Ihre langen schlanken Beine in den roten 18-Zentimeter-Manolos glänzten seidig in der untergehenden Abendsonne, ich stellte mir vor, wie sie sich um meine Leibesmitte schlangen, während wir beide rhythmisch der körperlichen Liebe pflegten – will sagen, ich fickte sie in Gedanken wie wild und ihre kleinen Fersen trommelten ekstatisch auf meinen Rücken, während sie kam.

Ich ging an ihr vorbei und grüßte – sie warf mir aus dunklen Augen einen abschätzigen Blick zu und sagte nichts.

Sie drehte sich um und ging nach links in Richtung der kleinen Gasse mit dem komischen Namen Richtung Düsseldorfer Straße. Eine sehr kleine, schattige Gasse, sehr einsam, nur ein einziges Haus steht dort zwischen verwilderten Gärten, ein Haus, bewohnt von einer pensionierten Schuldirektorin, über 90 Jahre alt und fast blind.

Ich wußte das, weil ich sie einmal besucht hatte, ohne daß sie es bemerkt hatte – die täglich vorbeischauende Pflegekraft war ohne zurückzuschauen davongeeilt, und ich konnte durch die langsam hinter ihr zufallende Haustür ins Haus schlüpfen.

Die alte Frau konnte mich nicht sehen, sie merkte aber, daß irgendetwas nicht stimmte, daß da irgendwer sein mußte, obwohl das eigentlich nicht sein konnte, sie fragte mehrmals „Ist da wer?“ – „Wer ist denn da?“, aber ich schwieg und so fügte sie sich mir, ohne zu wissen, daß sie es tat, und bald vergaß sie ihr Unruhegefühl und ich konnte sie in aller Ruhe in ihrem täglichen Tun beobachten bis in die intimsten Verrichtungen hinein.

Ich hätte alles machen können – mit ihr, mit den Möbeln, mit den täglichen Gebrauchsgegenständen. Ich begnügte mich damit, ihr zuzusehen, und blieb unsichtbar.

Für dieses Prachtexemplar von Weib – knackiger Arsch, blonde wallende Locken, pralle Titten, roter Kirschmund – war ich sichtbar. Die Frau war ja leider nicht blind. Sie hatte mich voll angesehen, ich war für sie ein Mann, den man wiedererkennt.

Der Abend kam, die Sonne versank im Rhein, die kleine Gasse lag im Halbdämmer, und ich sah die Frau, wie sie dort hineinging, ihren widerspenstigen Hund hinter sich herziehend.

Ich folgte ihr behutsam.

 

Was soll ich sagen.

 

Der Mensch, besonders der schöne Mensch, ist letztlich immer Illusion.

Gefüllt ist er mit allerlei unappetitlichem Gekröse.

Aber –  ich mags.

Jedes Mal.