Von Martina Zimmermann

Draußen war es kalt. Vor einigen Nächten hatte es gefroren und zwischenzeitlich war sogar etwas Schnee gerieselt. Der Winter war voll und ganz ins Land gezogen. Ich mochte den Winter, allerdings war ich, Frostbeule mit zweitem Namen, sehr empfindlich, wenn es zu kalt war. Dafür konnte ich mich nicht erwärmen, humorvoll ausgedrückt.

An und für sich war ich ausgeglichen und das schuldete ich nicht zuletzt unserem Hund, Nala, der für uns ein Familienmitglied ist.  

 

Nala, ein golden Retriever, gutmütig und besonders schön.  Durch sie sind alle sportlicher und fitter geworden. Ein Hund muss eben vor die Tür.

Wobei wir wieder beim Wetter wären. Ich im Winter und dann bei Kälte, zwei Welten treffen aufeinander. Aber was nützt es?

„Muss es schon wieder so kalt und ungemütlich sein?“ Ich schaute Nala an, die mich mit ihren schönen braunen Kulleraugen fragend ansah.

„Ist doch wahr, du hast ein dickes Fell und dir macht es nichts aus, aber ich? Ich friere vor mich hin“, erklärte ich ihr, in der Annahme, dass sie natürlich alles versteht. Ihr treuer Blick bestätigt dieses.

 

Kurz überlegte ich noch, welche Jacke gerade geeignet wäre und was für Schuhe ich am Besten anziehen sollte. Dann entschied ich mich für eine dicke lange Jacke, die der Kälte standhalten könnte.

„Ich nehme die Schneestiefelchen“, erklärte ich noch und stieg dann in Seidenstrumpfsöckchen in diese hinein. In dem Moment lachte ich selber über mich. So ein Gegensatz. Seidenstrumpf und Schneestiefel.

Mir fiel sofort das Lied von Harald Juhnke dazu ein. Barfuß oder Lackschuh?

Aber egal, was soll es. 

Zu faul, nach oben zu laufen, um dicke Socken anzuziehen, stieg ich in die Stiefel, in die ich von oben einfach hinein schlüpfen konnte. Sie waren so breit und bequem, so konnte ich leichten Fußes loslaufen. Nachdem ich Nala angeleint hatte und ich komplett angezogen war, mit Mütze und Schal, steckte ich noch mein Telefon ein, Kotbeutel, und dann konnte es losgehen.

 

Es schneite gerade ein wenig. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, aber Nala fand es super. Sie sprang an der Leine hoch und versuchte die tanzenden Schneeflocken zu fangen. Es sah so witzig aus. Sie verstand nicht, dass sie sofort geschmolzen waren, sobald sie in ihrem Maul landeten.

Da wir am Stadtrand wohnen, mussten wir nicht weit laufen, um auf die Felder zu gelangen. Innerhalb von ein paar hundert Metern befanden wir uns in einer anderen Welt. In der Natur. Hier fühlte ich mich frei und unbeschwert. Die Weite der Felder und der Wind, der hier ganz besonders intensiv war. Sowie der Duft der Pflanzen. Selbst im Winter roch es nach Natur und Freiheit. Wir beiden liefen gut gelaunt weiter, bis wir uns in der Mitte auf einem Feldweg befanden. Auf den Feldern war zu dieser Zeit nichts angebaut.

 

„Willst du Ball spielen?“, wandte ich mich fragend an Nala. Sie hüpfte schon aufgeregt vor mir herum und freute sich über die Aussicht, dem Spaziergang nun endlich den ersehnten Reiz zu geben. Ich leinte sie ab und nahm den kleinen Tennisball aus meiner Tasche. Nala hüpfte vor mir herum. Sie war so aufgeregt und konnte es kaum noch abwarten, bis ich endlich warf.

Ich holte so weit aus, wie ich nur konnte und warf den Ball den Weg entlang. Nala sprintete hinterher, aber sie brachte ihn nicht zurück. Das war immer der Punkt, an dem unsere Interessen auseinander gingen. Ich forderte den Ball zurück, aber für sie war der Ball nur so lange interessant, wie er sich bewegte. Sobald er irgendwo lag, ließ sie ihn auch liegen.

„Das müssen wir noch üben“, sagte ich zu ihr, als ich zum wiederholten Male den Ball aufhob, um ihn dann wieder zu werfen. Ich setzte gerade zum nächsten Wurf an, da erfasste uns dieser Wind. Abermals hatte er so eine Kraft. Der Ball wurde von seiner ursprünglichen Route weg getragen. Er landete in dem Feld, welches sich zu meiner rechten Seite befand. Nala hatte abgelenkt, durch die Windböe, das Objekt aus den Augen verloren und schaute sich fragend um.

„Dort liegt der Ball, im Feld“, rief ich ihr zu. Er lag über einen Meter weg vom Feldrand. Nala schien es nicht zu gefallen, dass der Ball auf dem Feld gelandet war. Ich versuchte sie dazu zu bringen, den Ball zurückholen. Doch der Ball war ja nicht in Bewegung, so war er in dieser Situation auch nicht interessant. Was sollte ich machen?

Ich überlegte kurz, dann schritt ich entschlossen auf das Feld zu, um den Ball zu holen. Kaum hatte ich den ersten Schritt in den Acker gesetzt, da bemerkte ich meinen kolossalen Fehler.

Ich versank in dem Acker, und zwar ohne einen Widerstand zu spüren. Mein rechtes Bein schien in dem Matsch zu versinken. Ich steckte fast bis zum Knie im Matsch und Angst und Panik stiegen in mir hoch. Der Acker wollte mich verschlingen. Ich überlegt für einen Bruchteil einer Sekunde, wie weit mich der Acker noch zu sich hineinziehen würde, dann besann ich mich und versuchte mich mit aller Kraft aus dem Boden zu ziehen.

Durch Verlagerung meines Körpergewichts, versuchte ich mein Gewicht, auf das andere Bein zu bringen und dabei mein rechtes Bein aus dem Acker zu ziehen.

Währenddessen stürzte ich und landete mit dem Po auf dem nassen Lehm. Dieser klebte jetzt auch an meiner Hose.

„Oh nein“, schrie ich. „Was soll ich machen?“

 Mit aller Kraft, die Füße fest im Acker verankert, stand ich auf und zog an meinem rechten Bein. Ich versuchte es aus dem Lehm zu befreien. Mit Erfolg, aber ohne Schuh.

Dieses Missgeschick bemerkte ich erst, als der Fuß mit der Seidenstrumpfsocke, im Matsch verschwand, wahrend ich den linken Fuß herausziehen wollte. Dieses gelang mir genau wie zuvor, ohne den Schneestiefel.

„Ach du Schande, oh nein“, rief ich verzweifelt.

„Das gibt es doch nicht. Jetzt steckt der zweite Stiefel auch noch im Acker.“

Ich beugte mich nach vorne über und schaute, wie weit der Stiefel im Boden versunken war.

„Vielleicht bekomme ich meine Stiefel noch zu fassen und kann sie herausziehen?“, rief ich und schaute Nala an.

Aber es gab keine Chance. Beide Stiefel waren so tief versunken, ich konnte sie nicht erreichen, ohne mich noch ein weiteres Mal in die Tiefen des Ackers zu begeben.

Und ich dachte nicht daran. Froh darüber, diesem Acker des Grauens entkommen zu sein.

Er schien alles festzuhalten, was er bekommen konnte.

Wie ein Moor, in dem Menschen verschwanden. In meinem Fall nur Schneestiefel.

 

 

Ich war froh, als ich auf dem rettenden Wegesrand stand. Hier auf dem Weg, war der Untergrund wieder fest. Zunächst atmete ich erleichtert auf. Doch als Nächstes wurde mir schlagartig klar. Ich stand am Wegesrand, umgeben von Feldern. Die Kälte kroch an mir hoch. An meinen Füßen nur Seidenstrumpfsocken, starr vor Kälte und Matsch. Ich zog meine Handschuhe aus und stelle mich auf diese um meinen Füßen etwas Schutz zu bieten.

„Was mache ich jetzt?“

Die Gedanken schossen wie Pfeile durch meinen Kopf.

„Ich habe ein Handy dabei. Wen rufe ich an?“, fragte ich mich.  Ich spürte die Verzweiflung in mir aufsteigen.

„Bleib ruhig“, ermahnte ich mich selber und schaute auf Nala, die mich etwas mitleidig ansah.

„Was machen wir jetzt?“, schrie ich sie an. „Und alles wegen dem blöden Ball.“

 

Mit der flachen Hand schlug ich mir vor die Stirn. Wie bescheuert war ich doch gewesen. Aber konnte ich damit rechnen, dass mich dieser Acker verschlingen wollte? Ich hatte damit gerechnet, dass er gefroren war.

 

„Elke“, sagte ich zu Nala. „Ich rufe Elke an.“ Ich schöpfte wieder Hoffnung und zog das Telefon aus meiner Manteltasche. Nachdem es kurz geklingelt hatte, hörte ich  ihre Stimme. Dann rief ich nur noch.

„Ich brauche deine Hilfe, und zwar sofort.“ „Was ist denn los?“, fragte Elke.

„Ich stehe auf dem Feldweg. Dort wo wir immer gewalkt sind.

Bitte komm und hole mich ab und bringe eine Decke mit, ich sehe nicht sehr gut aus und Nala genauso wenig.“

„Ich komme sofort“, rief Elke in den Hörer und ich spürte, wie meine Anspannung von mir abfiel. Meine Füße drohten abzusterben und ich stand hoffnungsvoll in Erwartung gerettet zu werden am Feldrand, von oben bis unten voller Dreck.

Als ich dort so stand, schaute ich mich um. Einige hundert Meter weg von mir, liefen zwei Frauen.

„Ach du Schande, wie peinlich, was soll ich jetzt machen?“

Schlimmer konnte es ja nicht kommen. Zuerst versank ich im Dreck und jetzt vor Scham.

„Oh Herrgott, lass diesen Kelch an mir vorüber ziehen“, betete ich vor mich hin.

Die beiden Frauen kamen näher.

„Wo bleibt Elke?“

Die Minuten zogen sich. Die beiden Frauen näherten sich.

Wenn Elke doch jetzt käme, dann könnte ich schnell ins Auto hüpfen und weg wäre ich und mir würde diese Scham erspart bleiben, überlegte ich.

Die beiden kamen näher. Sie sahen mich flüchtig an. Beide unterhielten sich angeregt miteinander und ich stand weiterhin auf meinen Handschuhen und beugte mich nach vorn über zu Nala.

Innerlich zitterte ich. Was sollte ich sagen?

Beide Frauen sagten: „Hallo“, danach würdigten sie mich keines Blickes mehr. Ihre Unterhaltung schien so angeregt, sie hatten nicht einmal bemerkt, dass ich ohne Schuhe dort gestanden war.

„Puh“, ich war so erleichtert.

Wenigstens die Peinlichkeit, war mir erspart geblieben.

 

Dann kam Elke und ich stieg in ihr Auto, natürlich auf einer Decke sitzend. Mit Nala hinten im Kofferraum, fuhr sie uns nach Hause.

Vor unserer Haustür blieben wir noch kurz im Auto sitzen.

Wir lachten beide Tränen über die Situation. Ich vor allem vor Erleichterung.

Und ich sagte noch: „Das glaubt mir doch kein Mensch, oder doch?“

Dann stieg ich aus, ich stolperte förmlich aus dem Auto und konnte gerade noch einen Sturz verhindern, weil meine Füße steif vor Kälte waren.

 

„Hoppla“, hörte ich eine Frauenstimme, direkt vor mir.

Ich schaute hoch und erblickte die beiden Frauen vom Feldweg.

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