Von Anni Spreemann

Mit der Hand auf der Türklinke warte ich auf den Summer. Die Tür bleibt zu. Irritiert sehe ich auf die Uhr. Ich bin pünktlich. Es ist genau 14.00 Uhr. Sollte ich bleiben? Nein. Sabine will was von mir und nicht umgekehrt. Ob ich ihr den Autoschlüssel vorbeibringe, hatte sie mich gefragt. Über WhatsApp! Sie würde gerne zu ihren Eltern fahren, war die zweite Nachricht, gefolgt von einem Smiley mit großen Augen. Genervt habe ich sie angerufen. Wir sind doch keine Teenies, die Messages hin und her schicken. Zum Dank wollte Sabine mich zum Abendessen einladen. Dann könne ich auch gleich ihren neuen Freund kennenlernen. „Er ist ein totaler Fan von dir“, hatte sie geschwärmt.

Als ob es die Tatsache auslöschte, dass er mir Sabine weggenommen hat. Okay, wir haben in den letzten Monaten nur noch wie Bruder und Schwester zusammengelebt. Trotzdem, hier geht es ums Prinzip. Drei Jahre schmeißt man nicht einfach weg. Sie ist gleich bei ihm eingezogen. Angeblich wegen Wohnraummangel. Ich klingle nochmal. Vielleicht föhnt sie sich die Haare oder hat den Staubsauger an. Ihr Nachname „Koch“ steht schon neben seinem „“Afifi“. 

Die Tür bleibt weiter verschlossen und ich überlege, einfach zu verschwinden. Nein, ich bin anständig. Ich warte 5 Minuten, dann schicke ich ihr eine Nachricht mit dem Handy. Oder ich klingle beim Nachbarn und werfe den Schlüssel in den Briefkasten. Ich schaue die Straße hinunter und gehe einen Schritt nach vorne. Vielleicht war sie unterwegs und kommt gleich. Meine Schuhsohlen kleben von dem Blattlaus-Kot der Linden. Leider habe ich keinen anderen Parkplatz als unter solch einen Baum gefunden. Ob ich sie darum bitte, das Auto vorher in die Waschanlage zu bringen?

Ein Mann mit lauter Tütchen, die nicht so recht zu seinen breiten Schultern passen, läuft die Straße hinunter. Er steuert auf die Eingangstür zu und ich mache ihm Platz. Er begrüßt mich nickend. Seine kantigen Züge mit gestutztem Bart wirken irgendwie vertraut. Plötzlich ist es mir peinlich, hier herumzulungern. „Ich warte auf jemanden“, erkläre ich ihm und komme mir dumm vor.

„Bist du Markus?“, fragt er mich und schaut mir dabei so intensiv in die Augen, dass es geradezu intim wirkt. „Ja“, antworte ich und blicke zur Seite.

„Ich bin Peter, Peter Afifi“, sagt er und streckt seine Hand aus. Dabei reißt eine Tüte, der Inhalt rollt über den Boden. Scheiße, ihr Neuer. Ich bücke mich rasch, damit ich Zeit habe, meine Fassung wiederzuerlangen. So ein Schürzenjäger, Arschloch. Klaut einfach meine Freundin. Mit einer Zucchini und zwei Wasserflaschen bepackt, stehe ich auf. Am liebsten würde ich ihn ins Gesicht schlagen. Nein, besser mit der flachen Hand eine Maulschelle verpassen. Hat sowieso ein Backpfeifengesicht. Außerdem kann man sich bei einem Faustschlag ernsthaft verletzten. Ich brauche meine Hände für die Arbeit. Warum ist er hier und nicht Sabine?

Während meine Gedanken rasen, bleibe ich stumm. Ich bin kein Rowdy. Was soll Sabine von mir denken, wenn ich mich jetzt prügle.

„Danke Mann, wirklich nett“, unterbricht er mein Gedankenkarussell. „Kannst du mir das Zeug noch bis nach oben tragen? Ich revanchiere mich mit einem Kaffee.“

„Klar“, sage ich möglichst lässig und trotte ihm wie ein Hündchen hinterher. Das Treppenhaus ist neu gestrichen und mit rotem Teppich belegt. Die Miete hier ist bestimmt teuer. Alles, was ich über ihn weiß, ist, dass er an irgendeinem Institut arbeitet. Max Planck oder Frauenhofer.

„Ist Sabine nicht da?“

„Die U-Bahn fährt nicht und sie weiß nicht, wann sie hier sein wird. Zum Glück mach ich heute Home-Office.“

 Er schließt auf und stellt die Tüten auf die schmale Küchenzeile ab. Mein Blick fällt auf die French Press. Es ist dieselbe, die bei mir steht. Ich lege die Sachen daneben.

„Wo soll ich den Schlüssel für Sabine hinlegen?“, frage ich und greife in meine Tasche. Vielleicht kann ich mich schnell vom Acker machen.

„Die kannst du auf den Stubentisch legen“, sagt er und holt zwei Tassen aus dem Schrank. „Geh ruhig schon rein, bin gleich da.“

Ich verharre und beobachte, wie Peter eine Kaffeemühle rausstellt, um die Bohnen zu malen. Verblüfft betrachte ich die anderen Gegenstände: Waage und Timer. Für den perfekten Genuss wird er die richtige Kaffeemenge bestimmen. 60g pro ein Liter Wasser. Dann wird das Pulver für 30 Sekunden mit 1/5 l aufquellen. Anschließend mit dem restlichen Wasser aufgegossen und 4 Minuten ziehen gelassen. Erst dann wird der Stempel heruntergedrückt.

Verdammt, er weiß, wie man richtig guten Kaffee macht. Ich kann gar nicht anders, als hierzubleiben.

„Ich brauche nicht lang“, verspricht er mir. Ich seufze wissend. Das vertraute Knirschen des Mahlwerks setzt ein. Ich schmecke schon jetzt das leicht bittere Kaffeearoma im Mund.

Ich räuspere mich. „Ich mag ihn schwarz.“

„Ich weiß“, sagt er und grinst. Sein Blick gleitet über meinen Körper, als stünde es dort irgendwo geschrieben.

Ich nicke und verzieh mich. Im Regal entdecke ich meine Bücher. Alle sechs Bände der Zwergenreihe. Vorsichtig nehme ich eins in die Hand. Der Buchrücken ist nicht gebrochen, aber die Ecken sind etwas mitgenommen. Ich schlage die erste Seite auf und sehe meine Unterschrift. Schleimer, fluche ich und bin sogleich gerührt. Er ist wirklich ein Fan von mir. Mehr noch. Er ist bei einer meiner Signierstunden gewesen. Neugierig schaue ich in die anderen Bücher. Auch hier habe ich unterschrieben. Im Band 1 steht sogar eine ausführliche Widmung. „Lieber Peter, ich wünsche dir viel Vergnügen mit meinem Buch. Berlin, den 1. August 2012.“

Ein warmer Schauer überkommt mich. Er ist ein Fan der ersten Stunde.

Ich stelle das Buch zurück und weiß nicht wohin mit mir. Soll ich auf die Couch? Den Sessel? Aus dem Fenster schauen? Ich bleibe einfach stehen und studiere die anderen Bücherrücken. Zufrieden bemerke ich, dass meine Bände in guter Gesellschaft sind. Peter kommt mit zwei Tassen Kaffee zurück und stellt sie auf den Tisch. Er bemerkt, dass ich vor dem Bücherregal stehe, und legt verlegen seine Hand in den Nacken.

„Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen. Deine Bücher sind fantastisch.“

Ich streiche mir über die Augenbraue, nicke und schweige. Es fällt mir immer schwerer, Peter zu hassen. Trotzdem schwirrt mir andauernd der gleiche Gedanke im Kopf herum. Du hast mir die Freundin weggenommen! Ich überlege, wie meine Romanfiguren in so einer Situation reagieren würden.

„Wie lange schreibst du an einem Buch?“, fragt Peter neugierig. Was soll ich dazu sagen? Ein Jahr? Jeden Tag acht Stunden? Zerstört es sein Weltbild, wenn ich ihm verrate, dass ich manchmal eine Ewigkeit an einem Satz herumbastele.

„Eine Weile“, antworte ich schließlich und ernte ein Lachen. Es ist warm und streichelt meine einsame Autorenseele. „Sabine hat mir einiges über dich erzählt, aber nicht, dass du so lustig bist“, sagt er und ein schwerer Klumpen bildet sich plötzlich in meinem Magen.

„Hast du sie mir ausgespannt?“, platz es aus mir heraus.

Er lacht schon wieder und greift nach dem Kaffee. „Es sind die Frauen, die sich die Männer aussuchen, nicht umgekehrt.“

Widerstrebend gebe ich ihm recht. Damals, bei der Party, hat mich Sabine angelächelt, ihre Haare zurückgeworfen und mich mit ihren Blicken angelockt. Ich habe zwar den ersten Schritt gemacht, aber sie hat mich auserwählt. Als ich an diesem Abend ihre dunkelblaue Bluse öffnen durfte, konnte ich mein Glück kaum fassen, und als sie mir am nächsten Morgen ihre Nummer dagelassen hatte, war ich der glücklichste Mann auf Erden. „Wie habt ihr euch kennengelernt?“, frage ich und bereue es sofort. „Halt, ich will es lieber gar nicht wissen.“

Ich greif nach der Tasse und trinke einen Schluck. Die leichte Note nach dunkler Schokolade lässt mich seufzen. Er lächelt mich verschwörerisch an und wir stellen zeitgleich unsere Tassen ab.

„Was gefällt dir an meinen Büchern?“

Peter legt einen Arm auf die Couchlehne und beugt sich in meine Richtung. „Die Männerfreundschaften.“

Mit solcher einer Antwort habe ich nicht gerechnet. In den Rezensionen schwärmen die meisten über die Kampfszenen, die Düsternis und das Blut.

„Was meinst du damit?“, harke ich nach, gespannt darauf eine neue Facette meines Buches kennenzulernen. Peter lehnt sich zu mir vor. Ein wohliger Schauer überkommt mich.

„Alberik würde alles für seinen Freund Skivor tun. Sie kennen einander, wissen, was der andere denkt“, erklärt er mit rauer Stimme und ich hänge fasziniert an seinen Lippen.

„Ihre Freundschaft ist wahre Liebe“, raunt er mir zu und küsst mich.

Entsetzt schupse ich ihn weg und hole aus. Die Watsche dreht sein Gesicht von mir weg. Ich springe auf. „Wieso hast du das getan!?“, frage ich entsetzt und wische mir mit dem Handrücken über die Lippen. Peter steht auf und seine Augen funkeln.

„Weil ich der Einzige bin, der deine Bücher, versteht. Sabine hat sie mir erzählt, dass du die Zwerge mehr liebst als sie. Sie hat es nicht erkannt, aber ich. Ich kenne deine wahre Sehnsucht.“

Ich taumle nach hinten.

„Das ist doch nur Fiktion. Das hat nichts mit mir als Mensch zu tun.“

Er ist verrückt, schießt es mir durch den Kopf.

„Das glaube ich dir nicht. Deine Fantasy sind homoerotisch angehaucht. Es ist dein Innerstes, dass da aus dir spricht.“

„Nur … Fiktion. Das bin nicht ich“, verteidige ich mich.

Er streichelt sich über seine gerötete Wange und lächelt.

„Und warum schlägst du dann wie ein Mädchen?“

V3