Von Miklos Muhi

Nach unzähligen Generationen wusste niemand mehr, woher und wie unsere Vorfahren hierhergekommen waren. Das war auch nicht wichtig. Es ging uns gut. Es gab mehr als genug Nahrung für alle, es herrschte Frieden und ein optimales Klima. Der einzige Grund zum Meckern war, dass es etwas eng wurde. Daran nahm jedoch niemand wirklich Anstoß. Alle wussten, dass außerhalb der Siedlung eine gefährliche und lebensfeindliche Umgebung auf uns wartete.

Es gab Prophezeiungen über Untergangsszenarien, die seit Generationen überliefert wurden. Die meisten taten sie als Gruselgeschichten ab, bis Es kam.

Es ging mit einem heftigen Beben los. Ernsthafte Schäden oder gar Tote gab es nicht, aber da keiner von uns so etwas selbst erlebt hatte, machte sich Unruhe breit.

Als das Beben endete, kehrte gespannte Ruhe ein. Einige warteten ab, was jetzt kommen würde, andere machten weiter, als wäre nichts passiert.

Ein unaufhaltsamer Schwall Hitze ergoss sich über unsere Siedlung, der alles zerstörte, was er berührte. Schreie der Agonie erfüllten die ganze Welt.

Ich hatte Glück. Der heiße Schwall verdrängte ein Stück unserer Umgebung und damit zusammen wurde ich aus der Siedlung geworfen. Wo ich genau bin, weiß ich nicht. Die Temperatur ist in Ordnung und es gibt genug Nahrung, aber eine unvorstellbar harte Dürre scheint auf mich zuzukommen.

*

Das Piepsen des Wasserkochers klang in der nächtlichen Stille des Ladens unheimlich laut. Vlad legte seine Zeitung weg. Er nahm die Teetasse, die schon seit einem Tag auf dem kleinen Beistelltisch hinter dem Tresen stand, und ging in die Teeküche.

Er setzte die Tasse ab und goss heißes Wasser hinein. Einige Tropfen wurden herausgeschleudert.

Aus einem Schrank holte er eine sehr alt aussehende Blechdose. Als er den Deckel öffnete, machte sich ein intensiver Duft im ganzen Laden breit. Es roch nach sehr altem schwarzen Tee mit genau dem richtigen Maß an Fermentierung und nach sorgfältig ausgesuchten Kräutern, die den verführerischen Teeduft abrundeten.

Er nahm einen Filter heraus, legte ihn in das heiße Wasser, packte die Dose wieder weg und ging zurück zur Kasse. Daniel wurde gerade mit dem Füllen und Ordnen der Regale fertig.

»Hast Du die Tasse ausgespült, Chef?«, fragte er.

»Nein. Warum sollte ich denn das machen? Wir haben eine der schwersten Dürren, seit ich mich erinnern kann.«

»Aber die Tasse stand schon seit einem Tag da und sie war nicht leer. All die Bakterien …«

»Meinst Du das ernst oder soll das irgendeine Art von Scherz sein, den ich nicht zu verstehen vermag, weil ich schon 600 Jahre auf dem Buckel habe?«, fragte Vlad ruhig.

»Nein, so war das nicht gemeint«, antwortete Daniel. »Ich meine nur …«

»Bakterien können uns nichts anhaben. Selbst wenn sie uns krank machen könnten, habe ich sie mit dem heißen Sturm aus Wasser in der Teetasse getötet. Das Getue von Bakterien ist für uns genauso unerheblich wie das der Menschen. Selbst wenn die dämlichen Idioten den Planeten kaputt kriegen, werden wir überleben. Solange es aber noch Menschen gibt, werden sie in diesen Laden kommen und hier einkaufen. Mach Dich also an die Arbeit und überprüfe die Mindesthaltbarkeitsdaten«, sagte Vlad, nahm einen Schluck Tee und vertiefte sich wieder in seine Zeitungslektüre.

 

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