Von Franck Sezelli

Glücklich traten Marion und Rolf Beier auf die Straße. Gerade waren sie gegen Covid‑19 geimpft worden. Am ersten Tag, der für ihre Altersgruppe in Frankreich möglich war. Rolf hatte sehr schnell reagiert und im Internet den Termin 27. März reserviert, nachdem die Freigabe ihres Jahrgangs mitgeteilt worden war.

Ganz problemlos war der Besuch im Impfzentrum für das deutsche in Frankreich lebende Ehepaar zwar nicht abgelaufen, aber nun hatten sie die Zettel mit den Impfdaten in der Hand. Bei Marion war alles einfach, denn sie besitzt eine Carte vitale von der französischen Krankenversicherung, weil sie in Deutschland gesetzlich versichert ist.

»Und Sie haben keine Carte vitale, keine Krankenversicherungsnummer?«, fragten Schwester und Arzt fast gleichzeitig, als die Reihe an Rolf war. Dass er für die ganze Welt privat krankenversichert ist, nahmen sie zur Kenntnis, half ihnen aber nicht. Der Arzt brauchte eine Nummer für die erste Zeile des Formulars, das für jeden Impfling auszufüllen war. »Eine französische Steuernummer habe ich«, scherzte Rolf und sah sich schon ohne Spritze nach Hause fahren. Wegschicken kam für den Arzt aber nicht in Frage, also trug er in die Zeile eben nichts ein – und es funktionierte. Die Schwester gab dem impfwilligen Sonderling seine Spritze und zählte routinemäßig die Nebenwirkungen auf, die ihn in den nächsten Stunden und Tagen ereilen könnten. Zwischendurch fragte der Arzt noch, auf die Kopie von Rolfs Personalausweis zeigend: »Das ist ein L, kein M?« Er meinte den dritten Buchstaben im Vornamen. Dann ging er zu seinem Schreibtisch zurück und änderte mit Kugelschreiber den Ausdruck und überreichte ihm sein Datenblatt.

Beim nächsten Impftermin vier Wochen später ging alles noch viel schneller als beim ersten Mal. Der Arzt war derselbe, er impfte selbst, die Daten waren alle schon erfasst und mussten nur noch mit dem aktuellen Datum ausgedruckt werden.

Probleme nach der Impfung hatten sie auch diesmal keine, aber Kopfschmerzen machte ihnen angesichts eines näher rückenden Reisetermins nach Deutschland das Gefühl, das die beiden Datenblätter wohl dort nicht recht als Impfzertifikat durchgehen würden. Es waren alle Daten, die digital an die französische Krankenversicherung gemeldet worden waren.

»Wir können das doch nicht einem Grenzbeamten, einem Hotelier oder in einem Geschäft vorweisen, um zu beweisen, dass wir vollständig geimpft sind«, monierte Rolf.

Marion war da sorgloser: »Wahrscheinlich wird uns niemand kontollieren. Außerdem steht dort 2/2 und terminé

»Ja, aber die Leute können doch kein Französisch. Alles andere sieht für sie doch wirr aus. Nicht einmal eine Stadt erkennt man, und irgendeine offizielle Adresse gibt es auch nicht.« Rolf blieb skeptisch.

Auf sein Drängen machte sich das Paar am 3. Mai erneut nach Perpignan auf, um das Impfzentrum zu besuchen. Zum Glück war die 10‑Kilometer‑Grenze der Bewegungseinschränkung aufgehoben worden und einer nächtlichen Ausgangssperre gewichen. Die Damen in der Anmeldung konnten mit dem Anliegen der Deutschen nichts anfangen. Rolf versuchte zu erklären: »Uns fehlt ein Dokument, das man an der Grenze oder bei einer Kontrolle im Ausland zeigen kann. Hier auf diesen Zetteln steht nicht die Stadt Perpignan, die Unterschrift ist nur ein Strich, es gibt nicht einmal einen Stempel des Impfzentrums …«

»Ach … Sie wollen einen Stempel?«, wurde Rolf unterbrochen.

Verblüfft antwortete der: »Na ja, das wäre ja schon etwas …«

Schon hatte eine der jungen Frauen einen Stempel in der Hand und versah alle vier Blätter mit dem Stempel »CENTRE DE VACCINATION FOCH PERPIGNAN«. Nun sahen die Datenmeldeblätter schon amtlicher aus, für den Grenzübertritt müsste das reichen, wenn sie denn kontrolliert würden. Da sie sowieso mit einem Auto mit französischem Kennzeichen fahren, würde man damit sicher auch deutsche Polizisten, etwa auf der grenznahen Autobahn, überzeugen können. Damit beruhigten sich die beiden, auch wenn es immer noch nicht das Wahre war.

Das war nämlich gerade im Begriff zu entstehen. Erstaunt konnte Rolf bei den Mitteilungen des Gesundheitsministeriums nachlesen, dass ab 3. Mai alle Leute direkt nach der Impfung ihr Zertifikat ausgehändigt bekommen. Ab Ende Mai könnten alle, die vorher geimpft wurden, ihr Zertifikat direkt beim Internetportal der Krankenversicherung www.ameli.fr herunterladen. Als Zugang zu ameli.fr dient einfach die KV‑Nummer.

»Damit bin ich raus, ich bin ein nicht bedachter Sonderfall«, erklärte Rolf seiner Frau.

Er loggte sich mit der Versicherungsnummer seiner Frau bei Ameli ein und fragte die Krankenversicherung als Marion Beier, wie denn ihr Mann rechtzeitig vor der Reise ins Ausland zu seiner Impfbescheinigung kommt, da er doch keine KV‑Nummer hat. Alle persönlichen Daten waren angefügt, sodass jeder Angestellte dort die Bescheinigung herunterladen und Marion hätte schicken können. Pustekuchen! Wie in Behörden wohl weltweit üblich, bekam sie eine höfliche, aber nichtssagende Antwort mit der Empfehlung, sich an einen Arzt oder Apotheker zu wenden.

Zwei Tage vor der Abfahrt nach Deutschland fuhr das Paar dann doch noch beim nächsten Arzt vorbei, obwohl es natürlich keine Lust hatte, sich angesichts der Pandemie in ein Wartezimmer zu setzen. Zu ihrer Überraschung wartete beim Docteur aber niemand sonst. Der hilfsbereite Arzt konnte sich dem Anliegen der beiden sofort widmen. Bei Marion mit ihrer Carte vitale war alles klar, nur als er hörte, dass Rolf keine KV‑Nummer besaß, machte er ein bedenkliches Gesicht. Aber er war pfiffig und gelangte zu dessen Datensatz mit der Impfnummer, die er, wie jeder andere auch, bei der ersten Impfung zugeordnet bekommen hatte. Mit den Ausdrucken der Attestation de vaccination COVID‑19 in der Hand verließen die Eheleute Beier dankbar und glücklich die Arztpraxis.

Zu Hause war es ein Leichtes, die enthaltenen QR-Codes in die Mobiltelefone einzulesen. Allerdings fiel nun ein Manko auf dem Display des Handys sehr viel deutlicher auf als zuvor auf den papiernen Ausdrucken. Unter dem QR‑Code von Rolf prangte fett der Name ROMF BEIER. Ja, Romf, nicht Rolf. So hatte es der Impfarzt eingegeben und nur auf dem Papier überschrieben, nicht in der Datenbank. Die Beiers hatten es zwar längst bemerkt und bei der zweiten Impfung den Arzt und die Damen in der Anmeldung darauf angesprochen, aber der eine war nicht willens, die anderen nicht in der Lage, dies zu ändern.

Während des Deutschlandaufenthaltes fragte allerdings niemand nach dem Impfstatus. Immer dort, wo es vorgesehen war, in manchen Geschäften in Sachsen, in den Hotels in Bayern und Baden-Würtemberg, waren die Bestimmungen kurz vor Eintreffen des Paares gerade wieder aufgehoben worden.

 

Im Oktober war für die Auffrischungsimpfungen eine Möglichkeit direkt in ihrem Wohnort geschaffen worden. Zuversichtlich ging Rolf davon aus, dass der Impfarzt diesmal den Namen korrigieren würde. Leider war er damit überfordert.

»Das ist doch nicht schlimm«, versuchte Marion ihren Mann zu beschwichtigen. »Bei den Kontrollen im Restaurant oder Museum spielte es doch keine Rolle, ob du Romf oder Rolf heißt. Die sehen doch nur auf die Gültigkeit des QR‑Codes.«

»Wenn aber mal jemand auch die Identität überprüft, wie es eigentlich sein sollte, um betrügerische Täuschungen zu unterbinden, kann es auffallen.«

»Das können wir doch erklären, alles andere stimmt doch: Familienname, Geburtstag. Nur ein Buchstabe ist anders.« Marion störte sich nicht daran.

Rolf meinte: »Wenn wir aus irgendeinem Grund ein Flugzeug nehmen müssten, es kann ja immer mal etwas passieren, dann würde ein Grenzschutzbeamter wahrscheinlich die faktische Ungültigkeit des Impfzertifikats bemerken.« Er wollte weiter nach Möglichkeiten suchen, diesen Fehler endlich zu beheben und entschloss sich, die große moderne Apotheke im Ort aufzusuchen, weil alle Heilberufler Zugang zur Anti-Covid-Software haben, wie er bei Ameli gelesen hatte.

Er erläuterte der freundlichen Apothekerin in stockendem Französisch sein Problem und zeigte ihr alle Unterlagen. Als sie die Carte d’identité, das heißt den Personalausweis, verlangte, war klar, dass sie das Anliegen verstanden hatte.

Allerdings wurde die naive Hoffnung, dass sie nun nach hinten an den Computer gehen und den Vornamen ändern würde, enttäuscht.

Sie versprach, eine Lösung zu finden. Es waren die Tage nach Weihnachten, Anfang Januar sollte es wieder nach Deutschland gehen. Mehrmals fuhren die Beiers in die Apotheke, aber es ging nicht vorwärts. Die Apothekerin telefonierte vergeblich mit Gesundheitsbehörden, bat das Paar einige Male, ein andermal wiederzukommen, weil sie inzwischen keine Zeit gefunden hätte, sich der Sache anzunehmen. Das Ansinnen, den längst pensionierten Impfarzt, der den Lapsus begangen hatte, privat zu behelligen, gab sie schnell wieder auf.

Irgendwann verließ Rolf die Geduld. »Wahrscheinlich ist es einfacher, wenn ich meinen Namen ändern lasse. Oder soll ich Präsident Monsieur Macron um Hilfe bitten?« Er hob resignierend die Arme und meinte: »Ich weiß jetzt nicht mehr weiter. Wenn Sie eine Lösung gefunden haben, dann rufen Sie mich bitte an! Merci pour votre engagement! Au revoir!«

Man glaubt es nicht, aber am selben Nachmittag rief die Apothekerin an. »Wir haben eine Lösung. Sie können die korrekten Papiere abholen.«

Sie übergab ihm tatsächlich neue Bescheinigungen der drei Impfungen und das EU-Zertifikat mit dem QR-Code. Er bedankte sich überschwänglich und konnte mit der ebenfalls glücklichen Marion die Apotheke verlassen. Zu Hause stellten die Beiers fest, dass es völlig neu ausgestellte Datensätze waren, mit dem korrekten Namen, den korrekten Impfdaten und -stoffen, aber mit einer neuen Impfnummer für Rolf.

Den ominösen Romf Beier gibt es bei Ameli also immer noch.

 

Ein Riesenaufwand – und wofür? In Deutschland wurde das Impfzertifikat nie kontrolliert. In Frankreich hat der ungewöhnliche Vorname Romf beim Vorzeigen des Zertifikats sowieso keinen gestört.

 

 

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