Von Eva Fischer

Immer wieder durchstreife ich das Viertel, in dem ich wohne. Es ist Sommerzeit und so manche Bewohner haben die Stadt verlassen, um Urlaub zu machen. Dennoch sind die Parkbuchten gut gefüllt. Die Anwohner genießen jetzt im August den Luxus, nicht eine halbe Stunde in der Großstadt nach einem Parkplatz suchen zu müssen. Die Abendsonne taucht alles in ein malerisches Goldgelb. Welch trügerische Idylle! Ich schaue mir die Autos an, bin auf der Suche nach einem gelben Peugeot 108 mit Faltdach. Für eine Person wie mich das ideale Fortbewegungsmittel, das mir über Jahre treu gewesen ist und nun ist es weg. Dumm gelaufen! Aber ich gebe nicht auf. Jeden Abend nehme ich mir ein neues Viertel vor, durchkämme es generalstabsmäßig wie Polizisten, die in einem Wald nach einem verschwundenen Kind suchen. Bisher vergebens! Ich gebe nicht auf, auch wenn die Polizei mir keine Hoffnung mehr macht.

 

Sommer, Sonne und Wasser bilden für mich seit Kindesbeinen eine göttliche Trias. Da durfte ich in den herrlichen Bergseen schwimmen. Später lernte ich die einzelnen Meere kennen: Nordsee, Ostsee, Mittelmeer, Atlantik. Nein, alle vier Meere sind perfekt und ich kann keinem den Vorzug geben, so oft ich auch danach gefragt werde. Wenn ich im Sommer darin eintauche, öffnen sich für mich die Tore zum Paradies, dann gibt es nichts, was diese Symbiose übertreffen könnte, dann verschmelzen Ort und Zeit, dann habe ich den absoluten Glücksgipfel erreicht. 

„Du bist eine Wasserratte!“, sagte meine Mutter immer. Das klingt jetzt zugegebenermaßen nicht so poetisch.

Nun lebe ich aber leider in einer Großstadt ohne Meeresanbindung:  Wenn also der Sommer kommt, muss ich erstmal mit einem Schwimmbad vorliebnehmen. Mit meinem gelben Auto, ich habe es Sunny getauft, fahre ich regelmäßig nach der Arbeit zu unserem Freibad. Verschwitzt kommt man an und leider ist man nicht alleine. Die Jugendlichen vertreiben sich die Freizeit damit, vom Rand zu springen, was die Schwimmfläche erheblich einschränkt. Sex geht auch ohne Beach und so greifen Mädels wie Jungs in die knackigen Arme oder Beine ihres Gegenübers, um sich gegenseitig ins Wasser zu schubsen, zusammen mit dem Am-Zopf-ziehen eine altbekannte Sympathiebekundung zwischen den beiden Geschlechtern. Mittlerweile gibt es auch männliche Zöpfe. Es lebe die Gleichberechtigung! Aber ich schweife ab. Was soll man auch sonst machen, wenn man limitiert seine Bahnen zieht. Mit dem freizügigen Schwimmen im Meer kann ein Freibad nun mal nicht mithalten. 

Es war ein Tag wie jeder andere. Nichts ließ erahnen, dass er mit einer Katastrophe enden würde. Ich parkte Sunny wie immer auf dem Parkplatz vor dem Schwimmbad. Meine Handtasche mit Portemonnaie, Ausweis, Kreditkarten, Führerschein, Haustürschlüssel, Handy ließ ich im Auto, natürlich nicht offen einsehbar. Ich bin doch nicht blöd. Den Autoschlüssel steckte ich wie immer in die Seite meiner Schwimmtasche. Die wiederum hängte ich gut sichtbar am Ende des Schwimmerbeckens an einer extra dafür angebrachten Garderobe auf. Natürlich hatte ich meine Tasche nicht permanent im Blick. Dazu hätte ich abwechselnd Brust- und Rücken schwimmen müssen. Wer denkt schon an Spitzbuben? Ich fand das Publikum im Schwimmbad hier sehr bürgerlich. Ältere Damen und Herren, Familien mit Kindern, Jugendliche auf der Balz, gut geformte, sportliche Bademeister… Nirgendwo ein Typ, der offensichtlich zur Mafia gehörte. Warum sollte sich auch ein Mafioso in einem popeligen Freibad aufhalten? Die hatten ihre eigenen Luxuspools.

Fazit. Nach der siebten Runde baumelte meine Badetasche nicht mehr am gewohnten Haken. Schulkinder kommen schon mal auf blöde Ideen, spielen Streiche. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ich stieg aus dem Wasser und umrundete das Freibad mit Schwerpunkt Abfalleimer. Dort hoffte ich, meine bunt gemusterte Badetasche wiederzufinden. Fehlanzeige! Allmählich packte mich doch die Panik und ich teilte dem Bademeister den Verlust meiner Tasche mit. Er ließ sie ausrufen: „Achtung! Achtung! Eine Schwimmteilnehmerin vermisst ihre blaugrün geblümte Badetasche. Wer sie gesehen hat, möge sie bitte umgehend beim Bademeister abgeben. Vielen Dank! “

Bildete ich mir das nur ein oder war da ein Feixen auf vielen Gesichtern zu sehen? Nach 30 Minuten vergeblichen Wartens wiederholte der Bademeister seine Durchsage und fügte auf mein Anraten eine Belohnung hinzu. Leider meldete sich immer noch kein edler Finder. 

Um 20 Uhr schloss das Schwimmbad. Ich saß immer noch, mittlerweile frierend, auf der Bank, schaute zu, wie der Menschenstrom abfloss. Ich hatte jede Hoffnung aufgegeben, denn als ich im Badeanzug kurz zum Parkplatz ging, sah ich, dass mein Auto weg war. Wer den Autoschlüssel hat, hat auch das Auto. Einmal drücken und es leuchtet dem Suchenden entgegen wie ein schwanzwedelnder Hund. „Hier bin ich!“ Leider kann das Auto nicht den rechtmäßigen Besitzer vom unrechtmäßigen unterscheiden. Mein Fall war ein Fall für die Polizei. Der Bademeister wollte auch mal Feierabend haben.

Die beiden Polizisten waren so nett, mich zur Wache zu fahren. Dort spendierten sie mir eine Jeansjacke, die, für mich zwar oversized, seit einem Jahr auf ihren Besitzer wartete. Meine Hose, plus T-Shirt, plus Unterwäsche befanden sich leider in der blaugrün Geblümten.

Ich gab alles zu Protokoll. Das Wort grob fahrlässig stand unausgesprochen dick im Raum. Sie suchten die Telefonnummer meiner Freundin Daggi raus, die ich nur im Handy, aber nicht im Kopf hatte. Sie holte mich ab und ich fuhr zu ihr nach Hause, bekam erstmal Asyl. In der Nacht konnte ich kein Auge zumachen, weil ich mir vorstellte, wie die Diebe durch meine schöne Wohnung geisterten und sie als Selbstbedienungsladen missbrauchten. 

Aber das war leider nur der Anfang der Odyssee. Ich musste den Vermieter um ein neues Schloss und neue Schlüssel bitten, was mit hohen Kosten verbunden war. Meine Kreditkarte musste ich sperren lassen. Gleichzeitig fragte ich mich, wie ich an das benötigte Geld kam.  Ohne Ausweis konnte ich mich in der Bank nicht ausweisen. Ohne Führerschein konnte ich nicht Auto fahren. Ok, momentan hatte ich eh keins. Ohne Handy stand ich sozial völlig isoliert da. Genauso gut hätte ich auf einer einsamen Insel gestrandet sein können. Meinem Chef musste ich auch reinen Wein einschenken, was meine Aufstiegschancen nicht zu verbessern schien. 

Ich stand da wie ein dummer August. Der will jedoch bekanntermaßen sein Publikum zum Lachen bringen. Ich nicht. Mir war die Geschichte hochgradig peinlich. In das Schwimmbad fahre ich nicht mehr. Dafür laufe ich nachts durch die Straßen auf der Suche nach Sunny. Wir waren wirklich so ein schönes Paar. Nächste Woche hätte er mich an die Ostsee gefahren.