Von Franck Sezelli

 

 

Florian erwachte am Morgen durch lautes Vogelgezwitscher über ihm. Er fand sich neben einem Weg unter dunklen Bäumen, ringsum standen dichte Büsche.

Nachdem er sich umgeschaut hatte, erinnerte er sich. Gestern Nacht war er im Casino gewesen, in dessen Park er nun auf dem Rasen lag. Seltsamerweise hatte er keinen schweren Kopf, keinerlei Katergefühl machte ihm zu schaffen.

Diese Wahrsagerin, dachte er bei sich, sie hat mir etwas eingeflößt und eine Warnung ausgesprochen. Ich soll mich vor einer blonden Frau mit schwarzen Haaren in Acht nehmen … So ein Quatsch! Auf dem Weg zum Hotel bin ich dann zusammengebrochen. Eine nackte Frau mit einem Dolch habe ich noch gesehen.

Ihm fiel alles wieder ein. Bart Vandervost, ein Antwerpener Diamantenhändler, erwartete ihn in Neapel. Endlich hatte er einen Tipp erhalten, den Schmuck und die Diamanten, die damals zur Beute beim Bankbetrug von Stefanie und ihm gehörten, zu Geld zu machen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er sich sputen musste, um seine Sachen aus dem Hotel zu holen und noch rechtzeitig zum Flughafen zu kommen.

In der Maschine von Kapstadt nach Neapel grübelte er, was die nächtliche Halluzination und die Drohung der Wahrsagerin zu bedeuten hatte. Ist es mein schlechtes Gewissen? Es ist doch aber nur gerecht, wenn Stefanie jetzt ihre Strafe absitzt. Schließlich hatte sie den ganzen Raubzug geplant. Ich hatte vorher doch immer nur kleine Dinger gedreht und ihr bei dem großen Coup nur ein bisschen geholfen. Und dafür ein Leben lang auf der Flucht? Nein, es war schon richtig, sie in Rio der Polizei zu überlassen und mich abzusetzen. So kann ich jetzt den Reichtum genießen.

 

Das Restaurant “Osteria da Antonio”, das ihm Herr Vandervost am Telefon empfohlen hatte, gefiel ihm außerordentlich. Die Nummer 143 war ja nur wenige Meter vom Mercure Hotel in der Via Agostino Depretis entfernt, in das er eingecheckt hatte.

Die zwei schwarzhaarigen Schönheiten am Nachbartisch lächelten ihm wiederholt vielsagend zu. Sie werden doch keine Perücken tragen und eigentlich blond sein?, fragte er sich voller Humor, an die Wahrsagerin denkend. Er bestellte eine Flasche Franciacorta, sozusagen den Champagner Italiens, und bat die Damen an seinen Tisch. Sie waren äußerst entgegenkommend und fragten ihn: »Haben dich schon einmal zwei Frauen gleichzeitig verwöhnt?«

Wenig später legten Giulia  und Micaela – so hießen die beiden Heißblütigen – einen solch erregenden Striptease in seinem Hotelzimmer hin, wie ihn Florian noch nie erlebt hatte. Danach kümmerten sie sich gemeinsam darum, auch ihn von seinen Klamotten zu befreien, um ihm una notte indimenticabile zu bereiten, wie sie versprochen hatten. Es ging alles ganz schnell, und auf einmal fand sich Florian nackt auf seinem Bett, Arme und Beine gestreckt an den Bettpfosten fixiert. Das tat seiner gewachsenen Erregung keinen Abbruch, sondern befeuerte sie eher noch.

Verblüfft, aber doch erwartungsvoll, schaute er, zwischen den beiden nackten Schönheiten liegend, auf die sich plötzlich leise öffnende Tür, durch die eine weitere, sehr attraktive junge Frau ins Zimmer trat. Sie trug enganliegende weiße Hosen und ein bauchfreies Top. In ihrem Nabel glänzte ein funkelnder Kristall. Florian konnte seinen Blick kaum von diesem faszinierenden Stein lösen. Er bereitete sich gedanklich auf eine sinnenfreudige Überraschung vor, die ihm Giulia und Micaela zusammen mit der dritten Frau bereiten wollten. Aber dann durchfuhr ihn ein großer Schreck, als er erkannte, dass diese Frau eine schwarze Perücke trug. Sie glich derjenigen, mit der sich Stefanie verkleidet hatte, als sie Wollwebers Bankschließfach betrügerisch leerte, aufs Haar. Ehe er sich versah, legte die Unbekannte mit einer blitzschnellen Bewegung ein Messer an sein emporragendes Körperteil. Florian schrie auf und sein Mannesstolz brach augenblicklich zusammen.

»Ganz ruhig, keine Angst«, sprach sie deutsch zu ihm, »noch tue ich dir nichts. Wir haben nur ein paar Fragen.«

Währenddessen war ein Mann eingetreten, was Florian in der Aufregung gar nicht bemerkt hatte. Der gab Giula und Micaela ein paar Scheine, woraufhin sie sich vom Bett aufrappelten, ihre Sachen schnappten, im Bad verschwanden und dann – angezogen – aus dem Zimmer eilten.

»Mein lieber Florian oder Herr Tauscher, wie du dich Bart Vandervost vorgestellt hast«, wandte er sich dann ganz freundlich und in einwandfreiem Deutsch an den noch immer auf dem Bett Gefesselten, »einen schönen Gruß von meinem Hamburger Geschäftspartner Wollweber und ganz besonders von Stefanie, sie denkt sehr oft an dich.« Er setzte sich direkt neben den nackten Florian aufs Bett. »Meine Assistentin Camilla hast du ja schon kennengelernt. Ich bin Luigi, am besten nennst du mich Capo Luigi, denn ich bin der Boss meines Clans in Napoli, il capo famiglia. Die Polizei nennt uns gern die Camorra, aber wir sind die Bella Società Riformata oder die Schöne Reformierte Gesellschaft.

Es geht darum, dass der Herr Wollweber unserer Organisation und mir im Besonderen sein Vermögen übertragen hat. Leider mussten wir hören, dass du dich in dessen Besitz gebracht hast. Und dabei auch noch deine Gefährtin verraten hast. Du musst wissen, dass wir in der Familie Verräter gar nicht mögen, egal, was oder wen sie verraten haben.

Also, es ist ganz einfach: Du erzählst mir jetzt, wo du die Beute aus Hamburg versteckt hast. – Sonst … Camilla liebt es, Männchen wie dir Respekt beizubringen.«

Die Frau am Fußende hob das Messer.

Florian begann zu stottern: »Da, da, in der Tasche sind die Diamanten.«

»Willst du mich verscheißern?« Der Ton von Luigi wurde bedrohlich. »Ich meine doch nicht nur die wenigen Steine, die du als Probe dem Antwerpener Diamantenhändler zeigen willst. Ich möchte, dass du uns das Versteck aller Diamanten, des ganzen Schmucks, des Bargelds und der Wertpapiere nennst und die Schlüssel dazu übergibst.«

»Aber, …, aber, die sind doch in Südafrika!«

»Na, und? Du sagst mir jetzt alles Nötige. Ich schreibe es auf, du kontrollierst, ob ich alles richtig habe – und dann telefoniere ich mit meinem Getreuen in Cape Town. Solange bleibst du hier unter der liebevollen Betreuung von Camilla. Capito?«

»Gefesselt?«

»Was denkst du denn?« Luigi grinste boshaft.

»Und wenn ich mal …?«

»Camilla ist meine Assistentin, aber in diesem Fall wird sie dir assistieren. Da hat sie Erfahrung. Denk immer daran, dass sie sehr gern Männchen wie dir etwas abschneidet …

Ich gehe jetzt – und wenn mein Partner in Cape Town deine Angaben nicht bestätigt, bist du schon jetzt nur noch ein halber Mann. Und danach würden wir ganz andere Saiten aufziehen!«

 

Es war alles gut gegangen. Jedenfalls, wenn man vom Standpunkt der körperlichen Vollständigkeit Florians ausgeht. Sein Leben aber hatte sich verändert. Luigi hatte ihm klargemacht, dass er in Rio und danach in Südafrika viel zu viel Geld verbraucht hat, Geld, das angeblich Luigi oder seiner famiglia gehörte. »Diese Schulden musst du abarbeiten!«

 

Florian betreute seitdem die öffentliche Toilette am Hafen, Molo Beverello 13.

»Pecunia non olet«, meinte Luigi. »Unsere Organisation hat fast alle Toiletten Napolis gepachtet.«

Was heißt, betreute? Sauber zu halten hatte er sie. Und die Cents auf dem Teller hatte er abends abzugeben. »Wenn wir nur einen einzigen Cent versteckt finden oder es wegen der Sauberkeit Beschwerden gibt, so darfst du in Betonschuhen auf dem Grund des Hafenbeckens spazierengehen! Und denke nicht einmal daran zu verschwinden! Die famiglia findet dich überall auf der Welt …«

Florian lernte also “ehrliche Arbeit” kennen. Und wegen der unmittelbaren Nähe zum Passagierhafen und dem Busbahnhof war immer Betrieb in seinem Örtchen. Sie war bestimmt eine der meistbesuchten öffentlichen Toiletten der Stadt.

Abends hatte Florian aber nicht etwa Feierabend. Nein, er wurde abgeholt, ihm wurden die Einnahmen abgenommen und er wurde in das ihm bestens bekannte “Osteria da Antonio” gefahren. Dort warteten viele Stapel Teller vom Mittag auf Abwasch, danach schloss sich das Geschirr an, das von der Küche und den Gästen am Abend gebraucht wurde.

Am ersten Abend hatte er zu fragen gewagt, wovon er denn sein Essen und Trinken kaufen könne, wenn man ihm alles abgenommen hat. »Keine Sorge, die Gäste lassen genug zurück …«, war die schlichte Antwort.

Schlafen durfte er nach Lokalschluss auf einer Matratze, die man ihm auf den Flur vor die Personaltoilette des Restaurants gelegt hatte. Die immerhin durfte er des Nachts benutzen.

 

So gingen Monate über Monate ins Land, aus Monaten wurden Jahre. Eines Tages glaubte Florian seinen Augen nicht zu trauen. Bei einem zufällig erhaschten Blick in den Gästeraum der Osteria sah er dort Stefanie, natürlich blond … Hat sie ihre Zeit also abgesessen und ist aus allem raus, ging es ihm durch den Kopf. Ihr gegenüber am Tisch erkannte er Martin, einen Freund aus alten Tagen, mit dem sie manches kleine Ding gedreht hatte. Er strich ihr zärtlich über die Hand und schaute sie verliebt an. Florian gab es einen Stich ins Herz, ihm wurde ganz flau im Magen.

Wenige Minuten später linste Martin beim Gang zur Toilette in den Geschirrspülraum und erkannte Florian. Er steckte seinen Kopf in den Türrahmen. »Was machst du denn hier, Florian?«, rief er erstaunt aus.

Der konnte nur herumdrucksen: »… bisschen was verdienen, Tasche mit Rückflugtickets geklaut …«

Martin beendete die peinliche Begegnung schnell. Zurück am Tisch musste er es aber seiner neuen Freundin Stefanie erzählen.

Sie schien gar nicht so überrascht und tat die Neuigkeit Martins lapidar ab: »Das sieht ja gar nicht gut aus für Florian. Ist seit Rio vielleicht doch nicht so gut für ihn gelaufen.«

 

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