Von Maria Lehner

Er, der reiche Mann, hatte die – wie er immer wieder betonte – „schönste Frau aller Weltgegenden“ geheiratet. So verbanden sich „reich“ und „schön“. Dadurch war seine einzige Tochter nicht nur wohlhabend, sondern außerordentlich schön und im Gegensatz zu ihrer Mutter noch in seiner Nähe. „Eine schöne Frau hat man nicht für sich allein“, hatte man ihm immer gesagt. Eine Tochter aber schon! Ihr Anblick würde, solang er lebte, sein Herz in Zuckerwatte betten. Vor ihrem goldschimmernden Haar versteckte sich die Sonne schamhaft. Die Schöne hatte Augen, in deren Tiefe alle Tankschiffe ihres Vaters hätten versinken können. Noch aus dem Orbit war das erkennbar. Sie selbst musste darauf achten, möglichst nicht in einen Spiegel zu schauen: Wie ein Blitz hätte sie vom Eindruck ihrer eigenen Schönheit getroffen werden können. Schon als Kleinkind hatte man sie davor gewarnt. 

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Sie hatte nicht viel zu tun und musste keinen Beruf ergreifen. Aber manchmal wollte sie wissen, wie sich „Arbeiten“ anfühlt. So kam es, dass sie sich für ihre Teilnahme an Festen bezahlen ließ. Die Berater ihres Vaters setzten einen Vertrag auf, in dem Ort und Zeit und Bedingungen festgeschrieben waren. 

Ein älterer Herr im Frack und mit Melone hatte sie über eine Treppe an den Blitzlichtgewittern vorbeigeführt. „How do you like the Opernball?“, wurde sie gefragt. Das also war in der Stadt, von der alle schwärmten – hieß das Land nun „Austria“ oder „Australia“? 

Meistens sah sie freundlich drein, hin und wieder senkte sie scheu die Wimpern. Dann starrte sie auf ihr rosarotes, mit Brillanten besetztes Mobiltelefon. Ab und zu blickte sie vom Telefon auf und lächelte. Das war schließlich ihr Beruf. Der ältere Herr starrte missmutig drein. Er hatte sich das anders vorgestellt. Wenn Fotokameras aufblitzten, verzogen beide ihr Gesicht zu einem Lachen, das heitere Gemeinsamkeit ausdrücken sollte.

Danach wandte sie sich wieder den Katzenvideos zu. Die Katzen, allerliebst, (h)ach …! Da plumpste doch tatsächlich eine in den tiefen Schnee und nur die Hinterbeine sahen heraus. Lächelnd sah sie auf. „Unser Ehrengast genießt den Ball“, sagte ein Reporter in diesem Moment. 

Irgendwann zog sie sich kurz zurück und besuchte den eigens für sie eingerichtete und mit vielen kleinen Palmen in Blumentöpfen geschmückten Waschraum. Hier würde sie ein wenig von dem rosaroten Zauberpulver auf ihre Wangen streuen, danach fühlte sie sich immer so erfrischt.

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Aber – ein Schreck durchfuhr sie: Zwischen den Palmen blitzte die verspiegelte Rückwand der Toilette durch und sie sah unvorbereitet ihre eigene Schönheit. Fassungslos machte sie eine jähe Bewegung, da fiel ihr das Telefon direkt in die Toilette und die automatische Spülung betätigte sich. „Meine Katzen – sie werden ertrinken!“

Es surrte und brauste, das abgezogene Wasser schwoll an, als würde die Toilette gleich übergehen. Sie konnte eine Art Singsang hören, wie sie ihn aus ihren Alpträumen kannte. Es tönte aus dem Abfluss und plötzlich ragte der Kopf eines Frosches mit schwarzer Haartolle hervor. Leicht fielen ihm die Haare in die Stirn. Er warf den Kopf, wie er es gelernt hatte, in einer ruckartigen Bewegung zurück. Das Vieh erinnerte sie sehr entfernt an einen, den Vater einst für ihre Geburtstagsfeier verpflichtet hatte; der hatte etwas gesungen. Dabei hatte er, wie heute, eine enge kurze Hose aus Leder getragen, das Becken rhythmisch nach hinten und vorne gekippt, mit den Augen gerollt und gelächelt. 

„Aus meinen Augen, Unwürdiger! Deine Erscheinung beleidigt mich!“. (In Wahrheit hatte sie es etwas weniger druckreif gesagt). 

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„Entspannung, Edelste. Dein Mobiltelefon ist an einem trockenen Platz, nichts ist ihm geschehen“. Er klopfte auf die Ausbuchtung an der rechten, mit Federkielstickerei verzierten, Hosentasche. „Was bekomme ich, wenn ich es dir wiedergebe?“ Die Schönheit stieß genervt hervor: „Ich schenke dir dein Leben und lass dich nicht vom Chefkoch zubereiten“. 

Der Frosch lachte nur: „Ha! Ich bin unsterblich! Aber ich will, dass du mit mir ein Selfie machst und es auf Facebook, Twitter, Telegram und auch sonst überall teilst. Ich will an deinem Marmortisch neben dir sitzen. Ich will vom goldenen Teller mit Versace-Muster essen und aus deinem kristallenen Becher trinken. Immer mit dir. Und dann will ich mit dir in deinem Boxspringbett aus aromatischem Holz der Zirbelkiefer schlafen…“. Sie bedauerte es, wie schon so oft, dass sie damals der Homestory zugestimmt hatte. Resignierend sagte sie: „Jaja, her mit dem Ding, bevor ich es mir noch anders überlege“.

Der Frosch grinste so breit, wie das eben nur Frösche können. Er zog das Telefon – trocken und unversehrt – aus der Lederhose. Die Frau nahm das Ding an sich und jauchzte auf: Die Katzen waren nicht ertrunken! Sie drehte sich um, warf die Toilettentüre zu und weg war sie. Sein Rufen „Warte, hol mich aus der Kloschüssel, ich will mit!“, hörte sie nicht mehr.

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Tags darauf war sie schon um zehn Uhr morgens in der VIP-Lounge des Flughafens. Gleich würden Papa und sie in das Flugzeug steigen, das sie endlich wieder nach Hause bringen sollte. Plötzlich klatschte von außen etwas an die Tür: „Schöne – mach auf. Ich bin wegen des Versprechens da!“ 

Ah, war das der Regisseur, den sie erwartete? Sie gab ein Zeichen und einer der Bediensteten öffnete. Oh, der Frosch! Auf ihr Kreischen hin schlug man die Tür so heftig zu, dass eine der herabhängenden Frosch-Locken eingeklemmt wurde. Autsch!

„Liebste, soll die Security den Paparazzo verjagen?“

 „Nein Papa, ein garstiges glitschiges Tier stalkt mich. Angeblich hätte ich ihm etwas versprochen“. 

Papa runzelte die Stirn. Ihm konnte man viel nachsagen, aber Versprechen nicht zu erfüllen – das hatte es bei ihm noch nie gegeben: „Herzblatt, was man verspricht, muss man halten“. 

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Und so kam es, dass, in einem speziell angefertigten Bassin, der Frosch-Star über den großen Teich reiste und tatsächlich am Tisch aus Carrara-Marmor Platz nahm, getrüffeltes Bratapfelsülzchen vom zierlichen Teller aß und den hauchdünnen Kelch mit Chateau Petrus zum Maul führte. Die Schöne musste sich abwenden, denn er rülpste doch tatsächlich.  Nach dem letzten Schluck sprang er auf und plumpste, ohne sich die Zähne zu putzen, in die Bettwäasche aus Wildseide. Mit einem theatralischen „Wag´ es nicht, Untier!“, kickte sie ihn unbarmherzig an die Wand: Das wäre ja noch schöner!

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Er zupfte an der Decke: „Heb mich zu dir hinauf oder ich sag’s deinem Vater!“ Ein schlauer Kerl war er, das musste man ihm lassen. Das ging dann noch zwanzig Minuten so weiter. Auf einmal hieß es: „Gib mir ein Küsschen oder ich sag´s deinem Vater“. Er war durchtrieben. An Schlaf war nicht zu denken. Eine Katastrophe! Das würde ihrer Schönheit womöglich schaden! 

Die Schöne sprang auf und streute sich in ihrer Verzweiflung rosaglitzerndes Pulver auf die Haut, setzte dazu die rosafarbene Brille auf und berührte mit gespitzten Lippen die kalte, nasse, glitschige, eklige Froschhaut. 

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Jetzt streckte sich der Frosch, die Lederhose zerplatzte. Die mit Öl zurückgebürsteten Haare, die doch immer wieder nach vorne fielen, fielen ab. Die oberste Hautschicht mit runzligen grünen Warzen löste sich und ließ sich ausziehen wie ein Pyjama. Darunter kam der muskulöse gepflegte Körper eines jungen Mannes zum Vorschein. 

Er erzählte ihr, er käme von einem anderen Stern und sei dort Herrscher über sämtliche Kinopaläste und Konzertsäle. Auf dem Planeten sei man sehr heikel, was Musik beträfe. Und so habe er – ohne Absicht – bei einem seiner Besuche auf Erden einen Star bei einem Konzert beleidigt. Danach sei er von dessen Manager verwünscht worden: Ein Frosch solle er werden, hässlich und mit der Stimme des von ihm verschmähten Sängers. Nicht einmal sein Konzernleiter Henry hätte ihm helfen können. 

Es hatte geheißen, nur eine Schönheit, die ihr Mobiltelefon zurückhaben wollte und die rosarotes Pulver verstreue, könne ihn retten. Er habe es zuvor schon mit mehreren Damen versucht, aber manche verwendeten silberfarbenes Pulver oder waren in Wirklichkeit gar keine Schönheiten; andere wieder wollten ihr Mobiltelefon nicht zurück, weil sie ohnehin einen Kundenbonus hatten. Dann hatte er eines Tages auf dem blauen Planeten eine goldfarbene Locke aufleuchten sehen … Mit all dem Erzählen verging die Nacht. 

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Am Morgen danach wurden sie durch ein Surren geweckt: Vor ihrem Fenster war ein Raumschiff gelandet. Henry, der Konzernleiter, stieg aus; er trug einen Spezialanzug, der aussah, als hätte er lauter Reifen umgeschnallt, die allerdings – das war seltsam – mit Gold und Diamanten besetzt waren. Die Schöne wusste: „Ah, die werden in Dubai erzeugt; vier Stück kosten 540.000 Euro“. 

Henry hatte einen Teil des Kino-Imperiums verkauft und sich diese Reifen ums Herz legen lassen, damit es nicht vor lauter Kummer zerspringen kann. 

Sie stiegen ein und hatten kaum abgehoben, da krachte es im Raumschiff wie nach einer Explosion. „Henry, haben wir ein Problem?“, fragte der Prinz. 

„Nein, das ist nur einer der Reifen, der jetzt nicht mehr gebraucht wird. Er ist geplatzt, weil mir so leicht ums Herz ist“. Tatsächlich schwebten Goldstäubchen und Diamanten im schwerelosen Raum. Und Gummifetzen natürlich auch. Das ging noch drei Mal so. Angenehm war es nicht, aber was tat man nicht alles, um einen ehemaligen Frosch zu heiraten, eine Schöne heimzuführen, seinen geliebten Chef wieder willkommen heißen zu können…

Die beiden steuerten das Land an, in dem niemand stirbt. 

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Wenn Anfang September auf dem Nachthimmel das Sternbild des Froschkönigs zu sehen ist, glitzert es zartrosa am Firmament. Der traurige Papa sieht dann hinauf, seufzt und denkt: „Warum war sie auch sooo schön?!“ 

Version 2