Von Brigitte Noelle

 

Es ist ein goldener Herbsttag. Die Sonnenstrahlen malen fantastische Muster auf die Wege des Währinger Parks in Wien und streichen warm über die Gesichter der Menschen auf den Bänken.

Da, auf einer davon sehen wir zwei ältere Männer: Einer in Jogginghose und Pullover, der andere in einem schwarzen Anzug, der einmal teuer und hochmodern gewesen war – vor etwa 20 Jahren. Nun ist er, wie sein Träger, zerknittert und von den Jahren gezeichnet. Auch das Hemd ist nicht mehr weiß sondern spiegelt auf einer Palette pastelliger Farben die Gewohnheiten seines Besitzers. Neben ihm steht ein Getränkekarton mit der Aufschrift „Burgenländer Rabiatperle – Auslese“, aus dem der Anzugträger hin und wieder einen kräftigen Schluck nimmt. Doch die meiste Zeit erzählt er:

„Weißt‘, Heinzi, eigentlich bin ich ja ein Graf und müsste ‚Franz Josef von Schneutzelberg-Plaublutt‘ heißen. Aber das darf ich ja nicht mehr (1). Mein Vater, das war noch ein richtig reicher, feiner Herr, auch ohne dem ‚Von‘. Warum ich jetzt hier angekommen bin? Daran ist der Wind schuld, der hat es auf mich abgesehen.

Du glaubst mir nicht? Dann hör zu!

Meine Mutter war bei meiner Geburt zwei Wochen vor der Zeit, und daher weilten meine Eltern noch auf ihrem Landsitz. Also brachte mein Vater sie rasch ins Auto und befahl dem Chauffeur, so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu fahren. Es war eine stürmische Novembernacht. Der Fahrer raste den schmalen Waldweg entlang, bis der Wagen in einen umgestürzten Baum, der quer auf der Straße lag, krachte. So wurde ich statt in einem Spitalsbett in einem Mercedes geboren.

Doch diese Strapazen waren zu viel für meine arme Mutter. Sie starb trotz aller ärztlicher Hilfe einige Wochen danach.

Ich erhielt eine standesgemäße Erziehung, es fehlte mir an nichts und ich verbrachte alles in allem eine glückliche Kindheit. Nach der Schule wollte mein Vater, dass ich etwas studiere. Na, ich hab‘ ihm den Gefallen getan und immatrikuliert. Prüfungen hab‘ ich keine gemacht, das war mir zu anstrengend. Für die Arbeit haben wir ja unsere Bediensteten gehabt, in den verschiedenen Firmen und in der Land- und Forstwirtschaft.

Dann ist auch mein Vater gestorben, und ich hab‘ das alles geerbt. Es hat sich nicht viel geändert, außer dass ich viel mehr Geld hatte und mir es so richtig gut gehen lassen konnte.

Nach ein paar Jahren hab‘ ich mir gedacht, ich könnt‘ eigentlich heiraten. Da war die Flora Meisengreif-Moppelhoff, ein nettes Mädchen, und noch dazu die Tochter von meinem Kompagnon in der Immobiliengesellschaft. Zuerst lief unsere Ehe ja recht gut, aber dann hat die Flori begonnen, eifersüchtig zu werden. Ich bitt‘ dich, ich war damals ja noch jung! Und außerdem konnte ich die Fini, die Steffi und die Dorli nicht so einfach verlassen.

Nun, eines Tages sitz‘ ich auf der Terrasse bei einem Glaserl Chateau Latour und schau‘ mir das neue Spielzeug an, das mir mein Butler besorgt hatte: Etwas ganz Neues, einen Computer. Hat Macintosh geheißen – wurde wohl von einem Schotten erfunden?
Es war ein schöner, ruhiger Sommertag. Aber aus diesem heiteren Himmel fährt plötzlich ein Windstoß über meinen Tisch, das Glas fällt um und der Wein ergießt sich über das technische Wunderwerk. Das gibt stante pede den Geist auf. Da muss man sich doch ärgern, nicht wahr? Im diesem Moment kommt die Flori herein und fängt an zu schimpfen, weil ich gestern Nacht nicht nach Hause gekommen bin. Wütend wie ich war, hab‘ ich sie weggestoßen, eh (2) nur ganz leicht. Aber sie ist gestolpert und auf die Kante vom Jacuzzi gefallen.

Na, das war’s dann mit der Ehe. Ich hab‘ meinen Anteil an der Immobiliengesellschaft verkauft, damit ich die Scheidung und das Schmerzensgeld zahlen konnte, denn die Flori sitzt seitdem im Rollstuhl. Aber das mit dem Verkauf war in Ordnung, denn mit dem Ex-Schwiegervater wollte ich nichts mehr zu tun haben. Er mit mir auch nicht. Und seine Verwandten und Bekannten haben mich seither auch geschnitten.

Ein paar Jahre später haben’s mich gefragt, ob ich nicht in die Politik gehen will, wegen meines Namens und des guten Rufs, den mein Vater in der Partei hatte. Warum denn nicht? Zu tun hatte ich ja wenig dabei, ab und zu eine Veranstaltung besuchen und im Parlament abstimmen, wie sie es mir gesagt haben. Irgendwann ist dann jemand von der hiesigen Düngemittelfabrik gekommen und hat gefragt, ob ich mich nicht für den Bau ihrer neuen Fabrik einsetzen könnte, denn es gäbe da Probleme mit dem Umweltgutachten. Die haben mir dafür sogar eine Million angeboten! Man sagt ja: ‚Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut‘, also hab‘ ich dafür gesorgt, dass alles nach dem Wunsch der Wirtschaft läuft.
Dann wollt‘ mir der Chef das Geld übergeben, und weil wir beide wenig Zeit hatten, trafen wir uns im Hinterzimmer eines Innenstadt-Kaffeehauses, das praktischerweise einen separaten Eingang hatte. Wie ich dort warte, stelle ich fest, dass das Zimmer nur durch einen Vorhang vom Hauptraum getrennt ist, in dem der Umweltminister gerade eine Pressekonferenz abhält. Das war mir egal, denn zu reden gab’s ja nicht mehr viel zwischen mir und meinem Geschäftspartner. Aber gerade als er mir den Koffer in die Hand drückt, kommt der Kellner beim Hintereingang herein, und als er die Tür‘ öffnet, fährt der Zugwind durch alle Räume des Cafés und reißt den Vorhang beiseite. Ich war so perplex, dass ich zuerst gar nicht gemerkt habe, dass mir die vereinte Presse zuschaut, wie ich mit dem Düngemittel-Heini gepackelt (3) hab‘.

Dann war es auch mit der Politik aus, und das Geld hab‘ ich auch nicht behalten dürfen. Ganz im Gegenteil, Strafe hab‘ ich zahlen müssen, und der Anwalt, der mich verteidigt hat, war fast noch teurer. Dafür hab‘ ich die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe verkauft, aber von der Landwirtschaft hatte ich nach der Geschichte ohnehin genug. Meine feinen Freunde aus der Politik wollten seitdem auch nichts mehr von mir hören.

Aber so ganz ohne Beschäftigung wollte ich danach nicht bleiben, also bin ich immer öfter ins Casino gegangen. Das war spannend, unterhaltsam und das gepflegte Ambiente hat mir auch sehr gut entsprochen. Manchmal habe ich auch etwas gewonnen.
Leider nicht immer, und irgendwann hat mir mein Vermögensberater gesagt, dass das Geld hinten und vorne nicht reicht. So habe ich halt nach und nach meine Wertpapiere verkauft. Wenn ich im Casino den großen Gewinn machen würde, könnte ich mir ja neue besorgen.
An einem wechselhaften Frühlingsmorgen fühlte ich dann: Dieser Tag würde mir Glück bringen! Ich machte so viel Geld flüssig wie möglich und begab mich an den Pokertisch. Es lief alles sehr gut und ich überlegte schon, ob ich besser in Aktien oder Fonds investieren sollte, als sich ein Neuer an den Tisch setzte. Zunächst ging der Gewinn hin und her, bis ich – ich traute meinen Augen nicht – ein Full House in den Händen hielt. Das schien der erwartete Wink des Schicksals zu sein. Ich erhöhte den Einsatz, doch der Neue hielt mit. Bald waren nur noch wir beide im Spiel. Endlich deckten wir die Karten auf und – mein Gegner hatte einen Royal Flush. Ich hatte alles verloren.

Vielleicht um die gespannte Atmosphäre zu lockern, erzählte der Gewinner nebenbei, dass er eigentlich nicht geplant hatte, das Casino zu besuchen. Er wollte eine Ausfahrt mit seinem Heißluftballon unternehmen, aber wegen des starken Föhnsturms habe er seine Pläne geändert. Damit war mir alles klar und ich bedauerte zutiefst, dass er es nicht schon früher erzählt hatte.

Jetzt war ich endgültig pleite. Ich verkaufte den Stammsitz meiner Vorfahren, den ich ohnehin nicht mehr unterhalten konnte, und bezog eine kleine Wohnung hier in der Nähe des Parks.

Das war meine Geschichte und gibt zu, Heinzi, ich konnte wirklich nie etwas für mein Unglück. Es ist der Wind, der sich gegen mich verschworen hat! Irgendwo dort oben sitzt ein Gott, soll er Äolus heißen oder sonst wie, der seit meiner Geburt mit mir und meinem Schicksal ein böses Spiel treibt. Und ich armes Geschöpf krabble hilflos auf der Erde herum und muss darunter leiden. Ach, ich verfluche diesen Geist!

Aber einmal werde ich Glück haben. Hier, jede Woche spiele ich Lotto, immer die gleichen Zahlen. Und ich bin sicher, dass ich einmal den Haupttreffer machen werde!“

***

Franz Josef zieht mit zittrigen Fingern die Quittung eines Lottoscheins aus der Tasche und schwenkt sie triumphierend durch die warme Herbstluft, bevor er fahrig versucht, sie wieder einzustecken.

Von seinem langen Vortrag und der Burgenländer Rabiatperle ermüdet, nickt er schließlich im Sitzen ein.

Sein Zuhörer wartet noch eine Weile. Nachdenklich schüttelt er den Kopf, beobachtet den Schlafenden mitleidig und geht nach einigen Minuten seiner Wege.
Franz Josef döst weiter. Inzwischen ziehen Wolken auf und ein leichter Wind erhebt sich. Er wirbelt welke Blätter und verlorene Hoffnungen auf, zaust den Parkbesucherinnen das Haar und zupft am Anzug des Schlafenden. Dabei weht er die halb herausragende Quittung vollends aus der Tasche. Leicht wie eine Feder tanzt das Papierstückchen über die Wiese und landet schließlich, während im Fernsehen die von Franz Josef angekreuzten Lottozahlen verkündet werden, im nahen Ententeich, wo es unwiderruflich verschwindet.

 

 

 

 

  • In Österreich wurde 1919 das Führen von Adelstiteln verboten.
  • Eh (süddt. Sprachraum): ohnehin, sowieso
  • Packeln: österreichisch umgangssprachlich: (heimlich) mit jemandem paktieren

 

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