Von Kornelia Wulf

 

Ein heftiges Zischen vor mir in der Pfanne, als erhebe sich vom Boden eine zornige Schlange. Den schwarzen Griff fest in der Hand hebe ich sie an – das rote Ceranfeld glüht hitzig weiter –, und schwenke die Zwiebeln im rauchenden Schmalz. So perfekt sind sie geraten, glasig, gelb. Jetzt heißt es aufpassen, dass bloß nichts anbrennt. Rasch fülle ich mit heißer Brühe auf. Dampf steigt hoch, süßlich-scharf, den ich nur schwach riechen kann, denn auf meiner Nase steckt eine Klammer.

Ich hasse Zwiebeln, roh und gebraten. Im Supermarkt muss ich nur den Beutel anfassen, schon setzt mein Magen zum Salto mortale an.

Von innen ertönt ein hechelndes Keuchen. „Schon gut.“ Zärtlich streiche ich über den leicht gewölbten Bauch. „Tief atmen.“

Ich schütte das Ekelzeug in einen Topf und hol aus dem Kühlschrank das Sauerkraut. Gestern ganz frisch beim Schlachter gekauft. „Eine Dose kommt mir nicht ins Haus“, blaffte er, als ich ihn zaghaft darauf ansprach. Noch Pfeffer und Salz für den Geschmack, Kümmel, Paprika, Lorbeerblatt. Dann greife ich nach diesem wabbligen Teil, breite es aus auf dem sauren Kraut. Die Brühe, die über die Fasern schwappt, reißt Löcher in seine blasse Haut.

Von innen ertönt ein verhaltenes Würgen. Beruhigend streichle ich meinen Leib. „Zum Sauerkraut braucht er halt Schweinebauch.“

Ich drehe den Schalter auf Garstufe 2. Bestimmt wird die Chose zwei Stunden brauchen. Dumpfe Hitze breitet sich aus. Schlingt sich wie ein dampfendes Tuch um meine Haut. Ich kippe das Fenster – nur ein müder Hauch. Heut setzt die Sonne dem Himmel ihren Stempel auf. Erst Elf und das Thermometer misst schon dreißig Grad. Eine Melone rollt an meinem inneren Auge vorbei, eiskalt tropft ihr Saft auf meine Lippen, süße Cherrytomaten mit grünkrautigem Pesto. In das dann ein krosses Ciabattastück stippen …

Aber – nein. Wie an jedem Donnerstag muss es Sauerkraut sein. Und Schweinebauch. Natürlich auch.

Ich hole die Eisschale aus dem Gefrierfach, klopfe die Würfel in eine Schüssel. Aufgefüllt mit Leitungswasser balanciere ich mit ihr auf den Balkon und lasse mich dort auf den Gartenstuhl fallen. Ich blinzle in den pinken Schein. Der Sonnenschirm, über mir aufgespannt, schafft endlich Schatten. Ersehnte Kühle breitet sich aus. Von den Zehen hinauf über die Waden. Ich atme prustend, kichere laut, während die Füße wild im Eisbad planschen. Mit den Zehen versuche ich nach den Würfeln zu greifen. Sie glitschen ab an meinen Ballen.

Wenn er mich jetzt sehen könnte … Heiß schießt der Gedanke durch meinen Kopf. Ängstlich lasse ich die Augen kreisen wie ein hyperaktives Mäuslein. Vielleicht hat er hier eine Kamera versteckt? Meine Handkante wischt durch perlenden Schweiß. Alles feucht, selbst hinter der Stirn. Als könne das Hirn Schweiß produzieren. Auf Zehenspitzen husch´ ich durch Küche und Flur. Greif nach den Flip-Flops oben im Schuhschrank. Und mit einem Tuch in der Hand wisch ich die Balkonfliesen trocken und blank. „Feinstes Steinzeug aus Italien. Sowas schafft man sich nur einmal an.“, dozierte er und schaute mich an mit diesem Blick, bei dem man zum Schulkind retardiert. „Und deine Smoothies sind hier nicht erlaubt. Obstflecken gehen nie wieder raus.“

Ein protestierendes Trommeln unter der Haut. Ich kraule meinen durstigen Bauch, lasse mich seufzend auf das Stuhlpolster fallen.

„Aber ein paar Vitamine brauchen wir doch auch.“

„Warum musstest du nur auf diesen Sören abfahren.“, tönt in meinem Kopf Gabis Stimme. Meine Seelenschwester, mit der ich mich an jedem Mittwoch treffe. „Den kenne ich von der Schule, gleiches Gymnasium. Sören die Klinge war dort sein Spitzname. In die Schwachstellen ritzen, mit diesem unwiderstehlichen Blick, dann stetig nachbohrend die Würde zum Schwitzen bringen. Schon in der fünften hat er die Mädchen zum Heulen gebracht.“

Immer will sie ihn mir madig machen. 

„Merkst du denn nicht, was er mit dir anstellt?“

Was will sie eigentlich, hatte ich mich gefragt. Letzte Woche, als wir uns zum „Kleidertausch“ trafen, zu unserem Ritual, zwei Mal im Jahr. Ein Gläschen Prosecco in der Hand sortieren wir die ganze Kledage aus, alles, was hier wieder nutzlos verstaubt. Lüften den letzten Mief aus dem Schrank, bevor wir dem nächsten Kaufrausch verfallen.

„Wo ist diese Wahnsinnsbluse geblieben, die mit neonfarbenen Streifen? In die hattest du dich doch auf Anhieb verliebt. Oder die schwarze Ledershorts. In der siehst du echt mega aus.“ Ihre Finger rissen an Hosen und Röcken herum, bis die Kleiderstange sich ächzend bog. „Hier hängt nur noch Businessplunder. Grau und braun und Schwarz.“

Und mein Blick gleitet auf die graphitfarbenen Fliesen hinab. Ein gelangweiltes Gähnen in meinem Bauch. „Er mag die Welt halt in dezenten Farben. Alles geordnet, alles im Rahmen.“

Und ich sehe ihn über den Balkonboden kriechen, wie er den Feinstein selbst verlegt. Den hölzernen Zollstock in seiner Faust, aufgerüstet zur Messlattenwaffe, führt er seinen Windmühlenkampf. Gegen jeden renitenten Millimeter, der sich einfach nicht einfügen kann.

Den Kopf bequem an das Polster gelehnt, lullt die Erinnerung mich ein. An seine feste Hand, das erste, was ich von ihm spürte. Sie fing mich auf, als meine Füße den geraden Weg verließen. An seine Augen. So intensiv die Farbe, wie ich es zuvor noch nie gesehen habe. Und ich tauchte ein in das Lagunenblau, ließ mich auf treiben auf seichten Wassern, ohne in die Weiten des Meeres abzugleiten. Die Liebe des Lebens, den Job verloren, war es genau das, was ich damals brauchte. Jetzt fühle ich mich gefangen in einem Netz, das Sören umlauert wie ein wachsamer Hai.

„… und zu den Chorproben kommst du auch nicht mehr. Was willst du dir noch verbieten lassen?“

Ich presse die Handflächen auf die Ohren. Doch Gabis Stimme schwillt in mir an.

Das Notenblatt an den Kühlschrank gepappt, hatte ich mich eingesungen, so wie vor jeder Probe. Plötzlich stand er neben mir, lehnte sich an die Küchentür. Sören, die wandelnde Uhr. Hinter vorgehaltener Hand nennt man ihn so. Sein letzter Termin – einfach ausgefallen. Die linke Wange schmerzhaft verzerrt, als treffe der Dentist auf den noch lebenden Nerv, murmelte er etwas von einem Knick in Callas´ Kehlkopf – er fand das witzig – und schickte mich zum Üben in den Keller.

Ich öffne die Lippen für ein do, re, mi, fa, so … – von innen ein kräftiger Zwerchfellschubs –, doch aus meinem Mund fliegt nur ein krächzender Laut. Mein schuldiger Blick spiegelt sich im Eisbad.

„Nein“, schwirrt es warnend durch Bauch und Kopf. „Er hat das gemacht.“

Seufzend bücke ich mich zur Schüssel hinab. Die Uhr schlägt eins, gleich wird er kommen. Aus der Kehle ein leiser Schrei. Ein stechender Schmerz durchfährt den Leib, als spreize ein Igel in mir sein Stachelkleid. Ich fische ein paar Würfel aus dem Wasser, verteile sie auf das Dreieck zwischen Leisten und Nabel.

Gestern hatte mich Gabi ins Kino geschleppt. „Die Ungehorsame“, hieß der Film. Was für ein gruseliger Titel. Als ich noch auf die Bildwand starrte, während der letzte Ton verklang, fühlte sich mein Hirn komplett durchwühlt an. Sie schleifte mich in eine Bar. „Komm schon“, rief Gabi, „nur ein kleiner Absacker.“ Dort haben wir den Tommi getroffen. Mein bester Homie, damals im Studium und aus einem Glas wurden drei. Während seine Lippen meine Wange streiften, schmeckte ich ein süßes Cherryflavour. Was für intensives After-Shave, dachte ich, als wir uns Schlag Zwölf endgültig verabschiedeten.

Auf Zehenspitzen huschte ich durch die Wohnungstür. Das Herz setzte aus für einen Schlag, Sören stand direkt hinter ihr. Langsam beugte er sich vor, versuchte mich in seinen Blick zu zwingen. Ich mochte nicht in seine Augen sehen. In die Lagune hatte sich ein Krokodil verirrt. Er schnüffelte an mir wie ein Hund. Jaulte etwas von gesoffen und gehurt. Und mein Haar um seine Faust geschlungen, hat er mich über die kalten Fliesen in mein weißes Bett gezerrt. In meinem Bauch ein haltloses Kichern. Wie ein übermütiger Floh sprang es über die Lippen, als dieses Bild in mir in aufblinkte.

Don Sören, den klapprigen Gaul verlassen, zückt hinter mir seine Messlattenwaffe.

Er drückte mein Gesicht tief in die Kissen, bis der Lavendelduft mich zum Würgen brachte, als Ouvertüre zum genitalen Kampf. Ich schob die Hand unter den wimmernden Bauch.

„Sch, sch, flüsterte ich, „gleich ist es vorbei.“

Ich husche in die Küche, schon zwanzig nach. Punkt halb werde er kommen, hat Sören gesagt, Sören, die tickende Zeitbombenuhr. Heute Morgen hat er die Schlüssel einkassiert, den Perso, meinen Führerschein und zuletzt mein Geld. Ich greife nach dem Fläschchen oben im Schrank. Als er meine Lieder zum Verstummen brachte, drückte mir Gabi das in die Hand. Und sie erzählte von einer Julia. Ihr Verein kümmere sich um erniedrigte Frauen. Die säße an der richtigen Quelle. Dieser Mann ist gefährlich, habe sie gesagt. Erst wenn das Kind schon leblos im Brunnen treibe, könne die Schutzpolizei zur Hilfe eilen. Ich rolle das Fläschchen in meiner Hand. Höchstens zwanzig Tropfen, hat Gabi gesagt, nach einer halben Stunde schlafe er tief ein. Pack schon jetzt ein paar Sachen zusammen, redete sie auf mich ein, eine WhatsApp und ich hol´ dich gleich ab.

Punkt halb schreitet Sören durch den Flur. „Heute nur eine halbe Portion“, sagt er und lockert den Knoten an seinem Schlips. Das Hemd dahinter, total verschwitzt. Wie gut, denke ich, dann wirken die Tropfen schneller. Er murrt herum, noch während er kaut. Eine bittere Note läge auf seiner Zunge.

„Wohl wieder zu viel Kümmel im Sauerkraut.“, blafft er und verbeißt sich in seiner Zeitung. Quälend langsam tickt die Uhr in mir, dehnt jede Sekunde zur Unendlichkeit. „Geduld“, flüstere ich, „gleich ist es soweit“, als sein Kopf hilflos zu wackeln beginnt. Er nuschelt etwas von verschwimmenden Zeilen. Sören schaut mich an mit Tümpel-Augen. Als habe das Krokodil ihnen das Blau ausgesaugt.

Ein gehauchtes „Duuuuu …“ entweicht seinen Lippen.

„Ja“, flöte ich sanft, „sprich es nur aus.“, bevor seine Stirn auf die Tischkante knallt.  

 

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