Von Martin Fiß

 

Eigentlich geht es mir gut.
Eigentlich.

Wenn da nicht die Hoffnungslosigkeit der Situation wäre.

Ich öffne meine Augen und sehe: Nichts.
Diese Dunkelheit ist schlimm. Sie macht mich wahnsinnig. Ich hasse die Dunkelheit.
Fast mehr noch die unerträgliche Enge. Man hält mich hier fest, gegen meinen Willen.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon in diesem dunklen und engen Loch sitze.
 
Wie bin ich überhaupt in diese missliche Lage geraten?
Jede Erinnerung an die Zeit davor ist verloren.  
Vielleicht leide ich an Amnesie oder es sind Anzeichen von Demenz.
Drogen, es könnten auch Drogen sein!
Nicht mal mein Name fällt mir ein. Das glaubt mir doch kein Mensch.
Mein Hirn ist so vernebelt, als hätte ich tagelang durchgesoffen.
Ich habe das Gefühl, zu schweben.
Weiß der Henker, was die mir ständig einflößen.

Immer wieder muss ich die Augen schließen und ein Nickerchen machen.
So geht das seit Wochen. Manchmal fühle ich mich aber stark und habe das Verlangen, jeden niederzuboxen, der in meine Nähe kommt.
Es kommt aber keiner. Immer bin ich alleine.
In all der Zeit habe ich keine Menschenseele zu Gesicht bekommen. Also boxe ich einfach wild ins Leere, wenn es mich mal wieder überkommt. Sieht bestimmt komisch aus.
Lacht trotzdem keiner. Wie denn auch.

Mir ist langweilig. Kann nur blöd rumhängen und warten.
Worauf? Keine Ahnung. Vielleicht auf eine Möglichkeit zur Flucht.

Was habe ich nur verbrochen, dass man mich hier festhält? Noch dazu in Isolationshaft.

Stimmen, manchmal höre ich Stimmen. Oder dumpfes Stöhnen.
Wie aus einer anderen Welt. Weit weg von mir.
Verstehen kann ich so gut wie nichts. Höchstens Wortfetzen. Hin und wieder rufe ich um Hilfe, aber das bringt ebenso nichts. Keiner scheint mich zu hören oder hören zu wollen. Meine Behausung ist eben gut isoliert. Isolationshaft halt.

Nur Musik dringt durch. Jedenfalls hin und wieder.
Einen besonderen Geschmack scheint mein Bewacher aber nicht zu haben.
So eine seichte Mucke, da kommt einem alles hoch. Das scheint aber wohl dessen Absicht zu sein. Irgend so ein Psychodreck, der einen schön einlullt.
Funktioniert.
Vielleicht bin ich deshalb oftmals so träge.
Da, schon wieder. Es geht wieder los. Das ist doch Folter! Bitte, hör doch auf damit!
  
Am Anfang war ja alles noch halbwegs erträglich, aber die letzten Wochen haben schon sehr an meinen Nerven gezerrt.

Klaus (so nenne ich meinen Bewacher) hat die Attacken in den letzten Tagen spürbar intensiviert. Was bezweckt der Typ damit? Will er mich fertig machen?

Das gelingt ihm nicht.
Meine anfängliche, körperliche Schwäche bessert sich nämlich von Tag zu Tag.
Je länger ich hier festsitze, desto mehr Gedanken mache ich mir über mein Leben da draußen.
Wird meine Erinnerung zurückkehren, gibt es jemanden, der mich kennt oder mich vermisst?

Vielleicht bin ich ja so ein reicher Pinkel. Das könnte ein triftiger Grund für eine Entführung sein. Hoffentlich zahlen die bald das Lösegeld, damit ich hier raus komme.
Pinkel … Na super, aufs Stichwort.
Hier gibt es kein Klo, das ist mehr als übel. Laufen lassen ist die einzige Option.
Echt widerlich.
Läuft.

Was ist jetzt schon wieder los? Fühle mich hin- und her geschüttelt.
Ich mag nicht mehr, mir ist schlecht. Kotzübel.
Das Schaukeln schlägt mir immer auf den Magen. Schon wieder werde ich transportiert. Irgendwie ist mein Knast so eine Art von mobiler Zelle.
Klaus wechselt den Standort.
Die sind ihm auf den Fersen! Wo werde ich hingebracht? Ich höre ein dumpfes Stöhnen.
Er ist angeschlagen!  Das könnte meine Chance sein. Heute wäre ich stark genug, um zu fliehen. Es gibt nur ein Problem: Ich weiß nicht wie.

Ein Knall, na ja, mehr so ein „Popp“. Ein Schuss kann das nicht gewesen sein.
Was zur Hölle ist hier los?
Ich kann die Wände nicht sehen, habe aber das Gefühl, sie kommen auf mich zu, drohen mich zu erdrücken.
Es ist einfach zu dunkel, ich kann keinen Ausgang finden. Wie soll ich mich bloß orientieren?

 

Ein schmaler Spalt öffnet sich und ein schwaches Licht scheint herein.
Ist das eine Tür, eine Öffnung, ein Ausgang aus meinem Verlies?

Ich bin bereit. Bereit, der Wahrheit ins Angesicht zu sehen.
Klaus, lass mich raus!
Der Spalt öffnet sich weiter und ich kneife die Augen zu, um mich vor dem greller werdenden Licht zu schützen.

„Holt ihn endlich raus!“, schreit jemand.
Stimmengewirr.
Anweisungen, die ich nicht verstehe. Offensichtlich ist man sich uneins darüber, wie es mit mir weitergehen soll. Eine Tür wird zugeschlagen, ich höre Schritte und eine sonore Stimme, die wohl versucht, die aufgeheizte Stimmung auf der anderen Seite zu beruhigen.
„Gleich ist es vorbei …“.

 

Verdammt, ist das eng. Ich stecke fest. Zurück geht gar nichts mehr. Vielleicht, wenn ich mich ein bisschen drehe. Mit den Armen abstützen und nach vorne drücken.
Das muss gehen, es muss einfach. Augen zu und durch.
Das Licht am Ende des Tunnels ist doch schon so nah.

Kalt, mein Kopf fühlt sich plötzlich kalt an. Das muss die Freiheit sein!
Nur noch ein Stückchen.
Jaaa, jetzt …

Ich bin fast durch, stecke aber noch vom Hals abwärts in diesem engen Gang.
Die ungewohnte Helligkeit blendet mich.
Mein müder Blick fällt auf einen Typen, der mich anschaut.
Das muss Klaus sein.
Sieht zu meiner Verwunderung gar nicht so hinterhältig aus. Eher etwas mitgenommen.

Noch ein kurzer Ruck und ich bin frei.
Schreie der Freude bahnen sich den Weg aus meinem Innersten.
Geschafft!

Erst jetzt bemerke ich die zwei blutverschmierten Hände, die meinen Kopf umfassen. Sie gehören zu einer mächtig dicken Frau. Schweißperlen haben sich in dem Bereich zwischen ihrer Nase und der fleischigen Oberlippe gebildet. Sie öffnet den Mund und entblößt ihre riesigen Zähne.
Sie wird doch wohl nicht …

Ich will wieder rein!!!

 

„Herzlichen Glückwunsch, Frau Koslowski! Ihnen wurde ein Sohn geschenkt.“

 

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