Von Maria Monte
Ich erwartete den neuen Morgen, der die Dinge ins Rollen bringen würde. Im wahrsten Sinne des Wortes, bald rollte es oder auch nicht. Diese Ungewissheit, diese Zerrissenheit, sie ließ mich nicht zur Ruhe, in den Tiefschlaf kommen. In meinem Kopf spielte sich ein Rummel ab, ein Riesenrad drehte sich und drehte sich und drehte sich, erst langsam, dann schneller und immer schneller, grelle Musik hämmerte dazu, laut und immer lauter. Ich döste weg, um sofort wieder schweißnass an das Kommende zu denken. Ich hoffte, dass es die richtige Entscheidung war.
Als das Morgenrot langsam den Himmel färbte, stand ich auf und kochte mir einen Kaffee. Nein, keinen Beruhigungstee, jetzt brauchte ich die Genussphase des langsamen Schlürfens dieses dunklen Erotisierungstrunks. Ich wollte meine Gedanken noch einmal, nach zig Malen im letzten Jahr, sortieren und Optimismus tanken. Ja, es schien ein besonderer Tag zu werden. Einschneidend.
In der Benachrichtigung stand, ich könnte meinen langgehegten Traum endlich wahrmachen. Ab neun Uhr würde jemand für mich da sein. Zeit genug, mich unter der Dusche gründlichst zu akklimatisieren. Beruhigend und entspannend ergoß sich das Wasser über mich, entlockte mir sogar ein Liedchen zum wunderschönen Tag. Ich kuschelte mich wieder in meinen Bademantel, der mir eine gewisse Geborgenheit und damit Sicherheit gab. Nach dem Zähneputzen schmeckte jetzt auch das Frühstück. Eigentlich war ich ja zu aufgeregt, um einen Bissen herunter zu bekommen. Aber in der Ruhe liegt die Kraft, sagte ich mir. Und ich brauchte heute Kraft, ja, Kraft und ein gewisses Maß an Gelassenheit. Und so aß ich häppchenweise und nachsinnend zwei ganze Vollkornschnittchen, ohne ins Schwitzen zu kommen.
Mir fiel eine ähnliche Situation vor etwa 50 Jahren ein. Nein, wie sich doch alles wiederholte! Damals wartete ich über zehn Jahre auf das ersehnte Benachrichtigungsschreiben. Wie aufgeregt war ich dann, als ich den Termin der Abholung schwarz auf weiß lesen konnte! Damals musste ich noch den Weg zur Sparkasse am Tag vor dem Ereignis einrichten. Mit einer prall gefüllten Aktentasche stieg ich in das gerufene Taxi, um sicher wieder zu Hause anzukommen. Das schon war aufregend genug. Deswegen stand ich ganze zwei Tage total neben mir. Vorfreude, Ängste, alles entfachte diesen jetzt wieder gefühlten Rummel in mir. An Schlafen war damals ebenfalls nicht zu denken. So ein Ereignis konnte man nur alle elf Jahre erleben, so war es vorbestimmt. Die Gedanken kreisten um diese Erinnerungen.
Ich schmiss mich in Schale, nicht unbedingt overdressed, aber doch der besonderen Situation angemessen. Ein Blick in die Handtasche, alles da? Die Brillen waren wichtig, die Papiere und die Anmeldung auch. Eine große Aktentasche voller Geldscheine benötigte ich heute nicht. Als der Taxifahrer klingelte, zitterte ich ein wenig. Vor Anspannung.
Ich ließ mich zu meinem Autohaus fahren. Frau Schneider empfing mich besonders herzlich. Sie wusste um die Tragweite meines Entschlusses. „Ganze sieben Monate und elf Tage mussten Sie warten. Das kann nicht jede Neuerscheinung auf dem Markt aufweisen. Nun, wir kommen gar nicht mit den Bestellungen und Auslieferungen hinterher. Er ist DER Renner. Sie haben ganz sicher eine gute Entscheidung getroffen.“ Damit führte sie mich zu meinem Neuen, öffnete ihn per Klick mit der Fernbedienung und entfernte sich diskret. „Machen Sie sich erst einmal ganz in Ruhe mit ihm bekannt. Ich bin in fünfzehn Minuten wieder da, dann erledigen wir das Geschäftliche.“ Da stand er, mein Traum. Ich wollte ihn, ich begehrte ihn, er sollte mir die Freiheit geben, die ich jetzt brauchte. Er roch so wunderbar nach frischem Leder, nahm mich mit meinem Körper in seinen Sesselarmen auf, gab mir sofort dieses Gefühl, wir gehören zusammen, verschmelzen miteinander. Als ich den Motor anließ, klang sein sanftes Tuckern wie eine zarte Melodie. Er sang für mich. Damals, vor fast 50 Jahren dachte ich bei dem Motorgeräusch an einen Traktor, die Sitze waren hart und unbequem und der Trabi roch nach lackierter Pappe. Ja, die Zeiten änderten sich, alle Dinge waren ins Rollen gekommen.
Maria Monte/ V2