Von Martina Zimmermann

 

Ich erwartete den neuen Morgen, der die Dinge ins Rollen bringen würde. Unruhig wälzte ich mich von einer Seite zur anderen. So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr.

Morgen war der Tag, dem ich schon so lange entgegenfieberte.

 

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal sah. Gehetzt vom Zeitdruck in meiner Mittagspause, lief ich durch die Einkaufspassage, den Coffee to go in der einen Hand, in der anderen einige Einkaufstüten. Ich wollte diese Zeit nutzen für meine Besorgungen. Am Abend hatten sich meine Mädels für einen netten Abend angemeldet.

Gerade als ich in Gedanken meinen Einkaufszettel abhakte, passierte es. Ich bog um die Ecke und lief geradewegs in diesen Mann hinein. Mein Kaffee machte sich selbstständig und flog im hohen Bogen auf ihn. Im Nu war er überall voll mit Kaffee. Dieser große Typ, der für den ersten Moment erschrocken schien, sich dann aber rasch fasste und an sich hinuntersah, blieb erstaunlich ruhig. Unbeholfen versuchte er mit einer Hand an seiner Hose und dem hellen Oberhemd entlangzuwischen, allerdings erfolglos. Als er aufblickte und mich ansah, stammelte ich:

„Es tut mir so leid. Bitte verzeihen Sie. Ich war einfach nicht bei der Sache. Wie kann ich das wiedergutmachen?“ Er blickte mich mit seinen stahlblauen Augen an. Für einen Moment schien er zu überlegen, dann sagte er. „Für heute ist der Tag gelaufen, so kann ich nicht zurück ins Büro.“

„Sorry, ich bezahle Ihnen natürlich die Unannehmlichkeiten“, erklärte ich.

„Schon gut, so etwas passiert“, sagte er und dann bemerkte ich dieses Schmunzeln auf seinem Gesicht.

Gott sei Dank, dachte ich. Er scheint es mit Humor zu nehmen.

„Ich heiße Verena Karlhoff“, stellte ich mich vor und bot ihm meine Hand an. Er erfasste sie und stellte sich seinerseits als David Schöne vor. „Wie kann ich für den Schaden aufkommen?“, fragte ich. „Machen Sie sich keine Sorgen“, antwortete er gelassen. „Es ist alles halb so schlimm, aber ich würde gerne mit Ihnen essen gehen. Das wären Sie mir schuldig.“

Essen gehen? Darauf war ich nicht gefasst. Ich stammelte vor mich hin, „natürlich, gerne, wann denn?“ Dieser Mann schien sich über mich zu amüsieren. Klar, ich hatte nicht mit einer Einladung gerechnet, aber da ich ihn gefragt hatte, fühlte ich mich ihm gegenüber in der Schuld. Offen gesagt, gefiel mir der Mann ausgesprochen gut. Er war groß und attraktiv, sportlich und sehr gepflegt.

Diese stahlblauen Augen waren außergewöhnlich und sein Lächeln brachte mich zum Schmelzen.

Ich stand wie angewurzelt vor ihm, in Gedanken versunken, als er mich um meine Telefonnummer bat. Ich nannte sie ihm während er zeitgleich in sein Telefon tippte. Dann drückte er auf Anrufen und sofort erklang mein Klingelton. Ich dachte noch, er geht auf Nummer sicher und möchte wissen, ob alles korrekt ist. Danach speicherte ich die Nummer unter David ein und er verabschiedete sich. „Ich melde mich später bei Ihnen, einen schönen Tag noch und passen Sie auf, wo sie hinlaufen.“ Er entschwand aus meinen Augen und ich stand immer noch wie angewurzelt in der Einkaufspassage.

Als ich an diesen Abend zu Hause ankam, freute ich mich auf meine Mädels und als diese eintrafen, geriet David erst mal in den Hintergrund. Später, als ich ins Bett gehen wollte, entdeckte ich seine WhatsApp. Er hatte vorgeschlagen, am nächsten Tag essen zu gehen. Ich ging auf seinen Vorschlag ein und mehr oder weniger war ich gespannt, was mich erwarten würde.

 

Wir verbrachten den ganzen Abend in diesem Lokal und die Gesprächsthemen gingen uns nicht aus. David konnte sich hervorragend unterhalten und er schien ein breites Wissen zu besitzen. Er imponierte mir und heute glaube ich, dass ich mich schon an diesem Abend in ihn verliebt hatte.

 

Von diesem Tag an waren wir zusammen. David war sehr eingespannt. Beruflich schien er erfolgreich zu sein. Er arbeitete als Manager in einer großen Firma. Da ich selbst im Berufsleben stand und nicht minder erfolgreich war, konnte ich es verstehen, dass er wenig Zeit hatte. Oft musste er auf Geschäftsreise, dann sah ich ihn tagelang nicht. Diese Tage waren trostlos für mich. Er bereicherte mein Leben und ich wollte mir dieses ohne ihn auch nicht mehr vorstellen.

 

Zu Anfang waren es kleine Dinge, die mich stutzig machten. Immer wieder hatte er seine Brieftasche nicht dabei. Ich bezahlte in den teuren Lokalen. Es machte mir nichts aus, meine Einkünfte waren gut und ich hatte auch kein Problem damit. Aber dann erzählte David eines Tages, er hätte vorübergehende finanzielle Probleme. Es wäre nichts Schlimmes, aber er musste sein Konto sperren lassen, da er seine Brieftasche mit allen Karten verloren hätte und bis er diese ersetzt bekam, wäre er auf meine Unterstützung angewiesen. Ich verstand und natürlich hatte ich nicht den kleinsten Zweifel an seiner Geschichte. Diese ging weiter. Nach einigen Tagen bat er mich, ihm einen größeren Betrag zu leihen. Er bräuchte das Geld unbedingt, weil er sich bei einem großen Projekt eingekauft hatte, aber durch die Sache mit dem Konto weiterhin nicht flüssig wäre.

Ich dachte einen Moment darüber nach, ich kann nicht sagen, was es war. Er hatte diese Art, die mir das Gefühl gab, ihm voll vertrauen zu können. Ich fühlte mich geborgen und seine Fürsorge, die er mir entgegenbrachte, bestärkte mich und ließen auch keinen Zweifel daran, dass er der richtige Mann für mich war. Darum entschied ich mich relativ schnell dazu, ihm zu helfen.

Einige Tage später bat er mich erneut, ihm Geld zu leihen. Es ging noch einmal um das Geschäft und als ich zögerte, zog er alle Register. Er spielte seinen Charme aus und ich schmolz dahin, wie Butter in der Sonne.

 

Alles in allem schuldete er mir einen Batzen Geld. Doch als ich ihn einige Wochen später darauf ansprach, erklärte er mir genervt, ich würde mein Geld schon bekommen. Ich sollte ihm nicht auf die Nerven gehen. Abgesehen davon, veränderte sich mein Geliebter. Er war nicht mehr der nette, zuvorkommende Mann. Er wurde rasch gereizt und von dem charmanten Mann war nicht mehr viel übrig. Ich erkannte ihn nicht wieder und ich verzweifelte. Innerlich war ich zerrissen. Ich fühlte mich immer noch David zugeneigt, andererseits fühlte ich nicht mehr so wie vorher und glücklich war ich mit ihm auch nicht mehr. Dieses unbeschwerte Leben mit ihm, welches ich so genossen hatte, das existierte nicht mehr.

„Ich muss für einige Tage ins Ausland im Auftrag der Firma. Wenn ich zurückkomme, dann bekommst du dein Geld zurück, und dann wird alles so wie früher. Ich verspreche es dir.“ Er hatte mich in die Arme genommen und zum Abschied geküsst. Es fühlte sich so gut an und ich dachte in diesem Augenblick, alles würde wieder gut werden.

Ich strahlte ihn an und winkte ihm hinterher.

 

Das war das letzte Mal, dass ich von ihm hörte. Zuerst dachte ich, ihm wäre etwas passiert. Vor Sorge um ihn telefonierte ich überall herum. Befragte sogar die Polizei, ob er vielleicht einen Unfall hatte. Aber nichts von allem war der Fall.

Ich war auf einen Betrüger hereingefallen. Wie sich später herausstellte, nicht nur ich. Diese angeblichen Dienstreisen hatte es nie gegeben. In dieser Zeit war er bei anderen Frauen, die er um ihr Geld gebracht hatte. Aber jetzt ist Schluss.

 

Morgen früh steht er vor Gericht.

 

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