Von Simone Tröger

 

Ich erwartete den neuen Morgen, der die Dinge ins Rollen bringen würde.

Logisch, dass ich wach liege. Schließlich wird nicht nur ein Ding rollen, sondern etliches nach sich ziehen.

Denn in ein paar Stunden bin ich eine Mörderin.

In etwa vier Stunden.

Mir droht auf jeden Fall Gefängnis. Komischerweise habe ich davor kein bisschen Angst.

Da ich auf milde Mitgefangene hoffe, ist das Gefangen-Sein hinter Steinmauern ein Segen für mich. Hoffentlich behandelt man mich als „nette“ Insassin.

Es gibt doch keine netten Mörder. „Kaltblütig“ ist so etwas meistens. Es macht mir nichts aus, mich stellen zu müssen und die Wahrheit zu sagen. Rausreden bringt nichts. Es muss nichts bringen. Am Ende bleibt ansonsten alles beim Alten, und meine Radikalität ist umsonst.

Noch nie habe ich von jemandem gehört, für den eine solche Tat ein Aufatmen bedeutet.

Da ist klar, dass ich auch von noch keinem vernommen habe, wieviel Strafe mich erwartet. Die Kinder und Enkel werden es schwer haben. Besonders meine beiden Kleinen in der Schule. Die Mitschüler bekommen mit, dass Erics und Helenas Oma eine Messerstecherin ist. Vielleicht werde ich auch als Totschlägerin gehandelt. Soll ich es besser lassen?

Leid tun mir die beiden jetzt schon.

Die Nachbarn tuscheln dann hinter vorgehaltener Hand. Mein Karma färbt ab. Eine begehrte Wohngegend ist es in keiner Weise mehr. Für den, der nicht weiß, dass hier die Mörderin ihr Unwesen trieb, vielleicht schon.

Lustig, diese Gedanken! In Wahrheit ist mir nicht zum Lachen zumute.

Die befreundeten Paare werden es nicht verstehen. Mitleidig und mit gesenktem Haupt sitzen sie mir dann während der Besuchszeit gegenüber und schütteln den Kopf. Pflichtgemäß absolvieren sie ihren besuchsweisen Aufenthalt im Knast. Es war doch immer alles perfekt.

Warum nur?

Wir leben in einem Dorf. Einkaufen wird für sie zum Spießrutenlauf. „Waren die nicht auch mit der Mörderin befreundet?“

Nein, das kann ich ihnen nicht antun.

Unsere Kaffeekränzchen und die Spielenachmittage – ob es diese Tradition dann noch lange gibt? Meine Tat überschattet alles. Eventuell ist ein Treffen auch hinter schwedischen Gardinen möglich. Eine Nachfrage ist es wert.

Wieder lustig – diese Wünsche.

Überall sehe ich ein „tue es nicht!“

Sämtliche Anwälte und Richter bezweifeln, dass ich bei Sinnen bin. Ein psychologisches Gutachten wird folgen. Es wird mich für handlungsfähig halten. Oder auch nicht? So etwas kann doch niemand tun und es auch noch sofort zugeben!

Schließlich bin ich eine Mörderin.

In etwa drei Stunden.

Die größte und spitzeste Schere habe ich als Mordwerkzeug eingepackt. Blut wird fließen. Nicht nur einmal und in verschiedene Körperteile werde ich die Spitze rammen. Oh, wie habe ich eine Situation herbeigesehnt, in der ich das tun kann.

Mir gruselt inzwischen.

Mein Leben ist von Respektlosigkeit, Ignoranz, Lieblosigkeit und Gemeinheit geprägt. Eine Trennung oder Scheidung bringt mir nichts, er ist mir weiterhin auf den Fersen und in meinen Gedanken.

Tue, was du tun musst!

Wenn er schläft und leise schnarcht, ist er friedlich. Wieso er diesen vergangenen Abend und diese Nacht hier in diesem Hotel arrangiert hat, weiß ich nicht. Positive Empfindungen dazu habe ich nicht. Alles ließ ich über mich ergehen. Bestimmt ist es wieder einer dieser Beschwichtigungs- oder Hinhalte- versuche.  Er möchte, dass ich geschmeidig gestimmt bin, wenn er mal wieder eine seiner Geliebten mit heimbringt.

Schön ist und war es hier schon. Keine Frage.

Seine Weiber werden immer jugendlicher. Je jünger sie werden, desto gemeiner wird er. An seine letzte Gespielin, die er mit in unser Schlafzimmer brachte, kann ich mich genauestens erinnern:

Ohne Rücksicht darauf, dass ich nebenan bin und die Lustschreie der beiden mit anhören muss, kommt mein Mann nach dem beendeten Akt nackt aus dem Schlafzimmer und verlangt einen Kaffee für sich und seine Konkubine.

Angesehen habe ich seine Unverhülltheit, und leise hörte ich mich sagen: „Ja, natürlich.“

Solch eine Demütigung habe ich zuvor noch nie erlebt. Den Kaffee habe ich sogar noch serviert. Sprachlos und entrüstet vor mir selbst.

So weit hat er mich gebracht. Meine Selbstachtung ist dahin. Selbstwertgefühl ist ein Fremdwort. Mir ist mittlerweile alles gleichgültig. Gefängnis bedeutet für mich Freiheit. Daheim bin ich eine Gefangene im goldenen Käfig.

Deshalb bin ich eine Mörderin.

In etwa zwei Stunden.

 

*

Ich erwartete den neuen Morgen, der die Dinge ins Rollen bringen würde.

Meine Frau liebe ich wahrhaftig. Die Augen geöffnet hat mir mein Chef. Zur Firmenfeier hatte er nur Augen für sie. Er hat sie angemacht, ihr ständig Getränke jeder Art angeboten und permanent das Gespräch gesucht. Auch andere Männer machten ihr, wie sagte man früher?,  den Hof. Das bewirkte bei mir einen Anflug von Eifersucht.

Längst hätte ich spüren müssen, dass mir viel an meiner Frau liegt. Birgit hatte es nie leicht mit mir. Meine Wandlung ist wohl meiner midlife-crisis geschuldet. So weit hat es erst kommen müssen, damit ich alles überdenke. Unser bisheriges Leben hätte so schön verlaufen können. Das wird es wieder in der Zukunft!  Es ist ein Wunder, dass sie hierhin mitgekommen ist. Das zeugt von ihrer unendlichen Liebe zu mir!

Wir haben ein Haus mit Garten, können, wann wir wollen (und der Chef es will), in den Urlaub sonst wohin fahren. Wir sind gesund, haben gesunde Kinder und Enkel.

Jetzt denkt sie, ich schlafe. Weil ich die Augen geschlossen habe und leichte Schnarch- Geräusche von mir gebe. Ihre Gedanken wüsste ich jetzt gern. Mit Sicherheit sind diese Gedanken nicht schlecht. Sie muss doch spüren, dass mir unsere Beziehung wichtig ist. Es soll wieder eine Liebesbeziehung werden, die auf gemeinsamer Augenhöhe beruht.

Das nur zu sagen, reicht nicht. Zu sagen: „Ich liebe dich.“ kam mir in unseren späteren Ehejahren nicht mehr in den Sinn.  Dass es irgendwie doch so ist, und die ganze Zeit war, hätte ich sie spüren lassen müssen. Was mache ich stattdessen?! Um es ihr meine Liebe erneut zu gestehen und sie zu beweisen, habe ich den Besuch im Restaurant geplant. Das Essen war vorzüglich. Danach die leise Jazz-Musik. Alles Sachen, die sie mag. Ganz zu Schweigen von den mit Rosenblättern dekorierten Weg von der Zimmertür bis zum Bett im Hotel, wo wir unser Wochenende fortführen. Das Zusammensein in der letzten Nacht war doch schön für uns beide. Es ist die Vertrautheit, die ich bei keiner meiner vergangenen Affären spürte. Romantik ist keine Sache des Alters. Vermisst habe ich das sehr. Das fällt mir schmerzlich auf.

Meine Frau, die beste Ehefrau, die Mutter meiner Kinder, die liebevollste Oma stoße ich mit meiner Art zurück. Das ist nicht nur eine selbstzerstörerische Art, sondern auch zerstörerisch für sie.

Nicht allein unsere beiden Kinder hat sie zu wohlerzogenen Menschen gemacht. Sie hilft auch dabei, die Enkelkinder zu Personen zu erziehen, die in der Gesellschaft geachtet werden. Wenn sie gebraucht wird, ist die Oma zur Stelle.

An eine Begebenheit, bei der meine Brust anschwoll, erinnere ich mich:

Die Sekretärin, die auch die Buchhaltung macht, war nicht da. Die beiden anderen, die Einblick in die Sache haben waren krank. Kurzerhand fragte der Chef meine Frau, und sie sprang ein, erledigte den Papierkram im Handumdrehen. Dadurch, dass sie auch einmal für die Firma tätig war, kannte sie sich in den Arbeitsabläufen aus. Mein Chef war hochzufrieden. Sie hat die Konkurrenzfähigkeit unseres Betriebes aufrechterhalten.

Meiner Frau habe ich es nie gesagt – ich war ebenso begeistert und von einem Glücksgefühl berieselt.

Trotzdem ging es immer weiter mit meinen amourösen Machenschaften. Was bin ich für ein Blödmann!

So etwas kommt nie wieder vor!

Solche Wochenenden, wie dieses, werden ab jetzt mindestens alle zwei Monate wiederholt. Es ist etwas zum darauf-freuen. Das können wir uns leisten, und wir werden wieder zueinander finden.

Eine Köchin ist meine Frau… In der Vergangenheit ließ nicht nur ich es mir schmecken, sondern unsere Freunde und auch die Arbeitskollegen. Die Familie sowieso.

Mit mir Scheusal hält sie die unbefriedigende Situation so lange aus.

Jetzt ist Schluss damit!

Auf meine Birgit bin ich mächtig stolz!

Hoffentlich sind die Schäden in der Seele meiner Frau reparabel

Sie wird wieder meine Frau und ich ihr liebevoller Ehemann! Meine widerlichen Charakterzüge bin ich mithilfe einer Psychologin bald los. Zweimal war ich bislang erfolgreich zur Sitzung, und ich mache weiter.

 

*

„Treeehhh…“ „Treh, Treh…“ „Treeehhhh…“

„Eine Durchsage der Hotelleitung:

Aufgrund einer Havarie werden alle Besucher gebeten, sich zu den Notausgängen zu begeben!

Die Kameraden der Feuerwehr sind dabei behilflich. Sie geben ihnen weitere Instruktionen.

Bitte lassen Sie ihre Habseligkeiten in den Zimmern und vermeiden Sie Panik!“

 

Durcheinander kommt dennoch auf. Aus jedem Zimmer stürzen Frauen und Männer in Schlafanzügen, einige „bewaffnet“ mit ihren Taschen. Manche auch in ihrer Straßenkleidung.

Alle sind sie auf dem Weg zum Notausgang.

Die Retter haben alle Hände voll zu tun.

 

Am Morgen kann man im örtlichen Tageblatt lesen:

 

„In unserem Hotel in der Bäderstrasse kam es in der gestrigen Nacht zu einem Feuer. Die Ursache wird ermittelt.

Verletzt wurde dabei niemand.

Alle Gäste konnten anderweitig untergebracht werden.“

 

*

Die Dinge sind lange gerollt.

Letztendlich haben die beiden ihre Zweisamkeit wiedergefunden.

Er ist der herzliche Gatte, und sie wurde nicht zur Mörderin.

Die Dinge rollen weiter.                                                                                        V 2       9470