Von Kornelia Wulf
Ich erwartete den neuen Morgen, der die Dinge ins Rollen bringen würde. Während ich mich auf dem Laken wälzte, strömte aus der steifen Bettwäsche ein aufdringlicher Geruch. Der setzte sich in meiner Nase fest. Die waschen hier wohl mit chemischem Maiglöckchenduft, dachte ich. Durch die Säume der Vorhänge stach spitzes Licht. Nein, kein Glanz am Sternenhimmel. Wohl eher vom Neonblendwerk dieses Autokonzerns, das sich hinter der breiten Fensterfront auf einem Hochhausflachdach drehte.
Warum hatte ich nur kein Zimmer am Stadtrand genommen und war wie blind in die City gerauscht?
Fest kniff ich beide Augen zusammen. Sofort entspannen, fuhr ich mich an, ein paar Stunden musst du dringend noch schlafen. Mein Körper nahm den Auftrag nicht an (Arm und Bein schwer, Bauch sonnenwarm), mutierte zum Schraubstock und weigerte sich kühlen Kopf zu bewahren (Sahara im Hirn, unter dem Nabel Eisblockalarm). Stöhnend wühlte ich mich aus den Laken heraus, tapste hinüber zum kleinen Tisch, auf dem noch der Ceasar-Salat stand. Den hatte ich beim Zimmerservice bestellt. Dazu eine große Flasche Perrier. Mein Arm führte das Wasserglas an den Mund, ein kühler Schluck prickelte auf der Zunge und in mir wucherte ein kaum bezwingbarer Druck. Verdammt, schrie ich stumm, los, verwandle es endlich in Wein! Das Blendwerk schien an der Wand zu flackern. Oje, hoffentlich kein Wackelkontakt, dachte ich, sanft die kalte Bauchdecke streichelnd. Sch, sch, raunte ich, nur ein Spaß, und spießte die Gabel in ein Blatt. Die Molaren zerrieben das grüne Gerippe, ich versuchte es tapfer hinunter zu schlucken. Doch der Brei schien aufzuquellen, bis das ölige Dressing mit Speichel vermengt den Geschmacksnerv empfindlich reizte. Ich hetzte ins Bad, würgte, spuckte, in mir rotierte ein leiser Schwindel.
Hatte ich heute überhaupt schon etwas gegessen?
Meine Hand strich beruhigend über die Bauchhaut, unter der es sich irgendwie wellig anfühlte, als ob dort ein hyperaktiver Maulwurf wühlte. Sch, sch, der Laut huschte wiegend über die Lippen, versuchte mentale Wogen zu glätten, nur keine Angst, wir werden uns erden. Die Hände unter dem Nabel verschränkt, schlich ich zum Fenster und starrte auf dieses riesige Blendwerk, das sich nur um sich selber drehte. Endlos kreisend wie meine Gedanken immer um diese eine Sache. Die ließen sich einfach nicht mundtot machen.
Warum hatte ich nur gegen unsere Regel verstoßen? Der private Bereich des anderen ist uns heilig. Stets vorher anklopfen, bevor man eintritt.
Gemeinsam bei Dr. Bertram beschlossen. Von meiner Evi heiß empfohlen.
„Ein echter Geheimtipp“, hatte sie mich beschworen und ihn mir an das verkümmerte Herz gelegt, „dieser ewige Stress zwischen Uwe und mir. Wie oft habe ich mich bei dir ausgeheult.“ Unter Stirnfalten rollten Tollkirschenaugen. „Kaum zu glauben, nur drei Termine. Und nächste Woche fliegen wir beide in die Karibik. Lassen uns dort auf den Wellen treiben, um die Seelenverkrustungen endlich aufzuweichen.“
Ihre Worte halfen das Siegel der Scham zu brechen, als ich mit Jan vor Bertram saß, es jetzt endlich auszusprechen. Dass ich mich von ihm nicht mehr gefunden fühle, in diesen hochintimen Minuten, wenn sich unsere Körper suchen. Sein Blick gleite dann an mir herab wie an einer Plastikattrappe, die man nicht wirklich berühren darf, als trenne uns eine Schaufensterscheibe. Letztens hätte ich im Bad den Waschkorb zerwühlt, peinlich genau jedes Hemd inspiziert, bis in kleinste Falte hinein, die Nase in seine Wäsche gesteckt – was riecht er an ihr, was vermisst er an mir? – doch in seinem Schweißduft nur mich entdeckt.
Bis zum Haaransatz schnellten Bertrams Brauen, wie ein Klotz lag die Stille in seinem Raum, in die er die Diagnose knallte, die schmerzhaft in meinen Ohren nachhallte.
Woher nur dieser Wunsch nach Nähe rühre? So extrem, dem müssten wir nachgehen. Und diesem Zwang nach Kontrolle, so intensiv, fast pathologisch.
Nur drei Termine und wir hatten sein Ziel erreicht. Bertram nannte es Seelenabstand auf Zeit. Und endlich konnten wir uns unseren Wohntraum leisten, als Jan den Leitungsjob bekam. Fünf Zimmer in einem Eigenheim, viel Platz für die privaten Bereiche. Jans Seele richtete sich im Souterrain ein. Sie darf dort ihr Solo tanzen. Meine sollte sich im ersten Stock entfalten. In manchen Momenten zieht sie sich zusammen, wenn mich die nackten Wände anstarren, will nur noch fort, sie ruft nach einem wärmeren Ort.
Ich trage sie dann die fünfzehn Stufen hinab, gieße mir ein kühles Glas Weißwein ein und lege sie behutsam ab auf dem Balkon. Fest hüllt sie sich in das orange-rote Kleid, in dem die Abendsonne erscheint. Und ich stoße mit ihren Schnäbeln an. Meine Meise hat sich dort ihr Nest gebaut, gemeinsam mit ihrem Vogelfreund, in dem sie ihren Nachwuchs erwarten. Ein Weilchen zwitschern wir uns zu, bis sie das zartrosa Fleisch zerhacken und als Nachtmahl den fetten Wurm verspeisen. Dann deckt sie sein blaues Gefieder zu und meine Seele aalt sich in Abendruhe …
… die ich hier im Hotel nicht finden konnte. Dieses verdammte Monstrum. Rücksichtslos schleudert es seinen Schein bis in den letzten Winkel hinein.
Warum habe ich mich nur von ihm blenden lassen?
In seiner Firma sei er der Shooting-Star, mit einem Fuß stehe er schon im Managerhimmel, aber die Arbeit fresse ihn auf. Mit diesen Worten wickelte er mich ein, wenn er in seinem Zimmer verharrte. Nächtelang.
Heute Morgen hatte ich seine Lippen gespürt. Sein Aftershave Hauch umschwebte die Schläfe.
Hat sein Mund sie wirklich berührt?
Er habe verschlafen, hörte ich ihn flüstern, sei erst aufgewacht in letzter Minute. Jetzt laufe der Countdown. Unbedingt müsse er noch sein Flugzeug erreichen, er murmelte etwas von Akquise, von Großkundenfisch an der Angel und etwas von einem Einstiegscode in die obere Führungsetage. Zurück komme er in drei Tagen. Dann gehe es ins Kino und vielleicht zum Jacques? Mal wieder schick essen, mindestens zwei Sterne. Ich habe mich tief in die Kissen vergraben. Die Finger strichen prüfend über sein Laken. Kühl und glatt. So viel Arbeit. Bestimmt hatte der Arme wieder nur ein paar Stunden geschlafen unten in seinem Souterrainreich.
Ein Zucken im Bauch weckte mich. Ich strich über die weiche, bettwarme Haut, die sich plötzlich wie ein Kaulquappenköpfchen wölbte. Ein Lächeln klappte die Seele auf. Keine Angst, raunte ich, wir sagen es ihm, wenn er wiederkommt. Ganz bestimmt. Ich schaute zur Uhr – fast Mittagszeit. Und den Kaffee in der Hand schlenderte ich in unser Bad. Auf den Fliesen lagen Duschtuch und Kleidung herum, alles wild ineinander verschlungen. Vom Handlauf sammelte ich seine Socken auf, sie hingen ermattet über dem Holm und folgte den Stufen ins Souterrain. Während Wasser in der Trommel rauschte und die Wäsche rotierte im Pulverschaum, beäugte ich seine Zimmertür. Der schmale Spalt zwischen Schloss und Zarge lockte mich wie eine Ratte an, die im Inneren ein Speckmahl erwartet.
Perfekt, dachte ich, die Finger stießen das Türblatt auf, heute fällt das Anklopfen aus.
Die Decke lag zerwühlt auf seiner Bettcouch. Ich faltete sie auf und schüttelte die Kuhle aus dem Kissen heraus, in das sich sein Kopf gekuschelt hatte. Zwei Bierflaschen landeten mit Schwung vor der Tür. Ein schaler Geruch kroch durch den Souterrainflur. Während ich Chipskrümel in den Papierkorb schnipste, stahl sich ein Grinsen in mein Gesicht.
Ist das Aufräumen des privaten Bereiches wohl erlaubt? Oder stürzt dann die Heiligkeit von ihrem Sockel?
Das benutzte Bierglas in meiner Linken, starrte mich sein neuer Laptop an. Ich klappte ihn auf. Ein leises Summen vibrierte im Raum. Diese Eile heute Morgen, flog mir durch den Sinn. Jan hat wohl versäumt, ihn runterzufahren. Meine Finger glitten spielerisch über die Tasten. Warum konnte ich sie bloß nicht von ihnen lassen? Nur ein kurzer Klick und es ploppte auf. Das Bild schien vor meinen Augen zu wachsen, als stünde ich vor einer Public Viewing Leinwand. Kopflos wich ich zurück vor ihm, als handele es sich um eine eklige Spezies Tier, die mich anspringen und anfressen will. Hart prallte die Schulter an die Wand. Ich spürte keinen Schmerz, nur eine wabernde Übelkeit.
All diese fleischigen Männerleiber, manche verschwitzt, manche behaart. Und all die kleinen Kinder. Ihre Blicke entleert, die lächelnden Münder krampfhaft verzerrt. Sieben Zwerge im bösen Riesenland. So könnte der Titel dieses Märchens lauten. Ein wahrer Albtraum. Wer es liest, der glaubt, er wacht nie wieder auf. Es heißt, dass sie Kinderseelen schlachten.
Ich schlug die Hände vor den Augen zusammen. Gottseidank, dachte ich, hat er den Ton auf stumm gestellt, als sich die mittleren Finger spreizten – er würde sein ganzes Leben lang auf mich hören, hatte mir der mit dem Ring geschworen – und ich den kleinsten von ihnen sah. Total ungeschützt und die rote Zipfelmütze verrutscht, ließ er den Teddy zu Boden fallen …
***
Das Auto parkt vor der grauen Häuserwand. Mein Blick wandert ziellos an den Fenstern entlang. Los, konzentrier dich, rempele ich mich an, du musst jetzt aussteigen, ihn endlich anzeigen. Ein feiner Schweißduft breitet sich auf. Nach dem Duschen konnte ich das T-Shirt nicht wechseln. Gestern habe ich ein paar Sachen in den Trolley geworfen, ohne dabei in den Schrank zu schauen. Zuvor die Putzhandschuhe übergestreift. Alles schien beschmutzt zu sein, obwohl man es nicht wirklich sehen kann. Gleich werde ich zu Evi fahren. Komm sofort, hatte sie gesagt, wohn bei mir, solang du magst. Und mein Kopf sehnte sich danach, an ihrer Schulter zu liegen. Dass die Bilder schäbigen Fake News entspringen. Aber nein – diese eine Nacht musste ich ganz allein mit mir sein.
Ich spüre in mir ein zuckendes Drängen und streichele sanft den Kaulquappenbauch.
„Wie gern würde ich mein Versprechen halten, aber …“
Mein Kopf dreht sich zur Fensterseite. Beschwörend betrachte ich meine Finger. Auf und ab schweben sie über dem Türgriff.
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