Von Katharina Rieder
Ich erwartete den Morgen, der die Dinge ins Rollen bringen würde. Warum wusste ich ehrlich gesagt, nicht mehr so genau. Eigentlich war alles wie immer. Außer, dass ich mehrere Tage meine Tabletten nicht genommen hatte. Ich folgte den Treppen nach oben in den Dachboden, stellte mich vor die kleine Luke und harrte aus. Jedes Mal, wenn ich ein Auto zu hören glaubte, schlug mein Herz ein bisschen höher, meine Erwartungshaltung stieg. Doch nichts. Kein Taxi. Keine Rosi. Das war sehr ungewöhnlich. Seit Jahren kam sie immer gegen acht Uhr morgens nach Hause. Endlich ließ das Geräusch eines heranfahrenden Autos meinen Puls höherschlagen.
„Woas wuin der denn då?“ (Was will der denn da?)
Hektor fuhr mit seiner protzigen Karre rasant in die Einfahrt. Er vermietete am Stadtrand Zimmer an so Frauen wie Rosi, die dort die Männer beglückten. Nachdem er ausgestiegen war, klopfte er heftig an ihre Haustüre.
„Rooosi, bist då? I bis!“ (Rosi, bist du da? Ich bin es!)
Wenige Minuten später kehrte er unverrichteter Dinge zurück zu seinem Wagen und verließ das Grundstück. Mir war übel. Es sah danach aus, als wäre meine Rosi gestern Abend nicht zur Arbeit erschienen. Verzweiflung und Angst breiteten sich gleichermaßen in mir aus. Mein Erinnerungsvermögen ließ mich völlig im Stich. Irgendetwas war passiert.
Aber was war es gleich noch mal?
Ich fühlte mich um meine Lieblingsminuten des Tages beraubt. Das Erste, das Rosi nämlich machte, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, war ein Bad zu nehmen. Dabei war sie nie allein, denn ich sah vom Dachboden aus zu. Sie heimlich zu beobachten, löste ein einzigartiges Prickeln in mir aus.
Ich überlegte, ob ich etwas unternehmen sollte. In der Hoffnung, Hektor würde die Polizei benachrichtigen, beschloss ich es aber sein zu lassen und lenkte mich stattdessen ab. Ich schnappte mir Eimer und Schaufel und spazierte Richtung nahegelegenen Reiterhof. Pferdeäpfel sind bekanntlich der beste Dünger für Rosen- und andere Sträucher. Schon auf dem Weg dorthin wurde ich fündig und schaufelte den Mist direkt von der Straße. Als ich das nächste Mal aufsah, bretterten zwei Polizeiautos mit Blaulicht, gefolgt von einem Notarztwagen, um die Ecke. Ich wich auf die Wiese aus und guckte ihnen hinterher. Sie blieben vor dem „Saustadlhof“, der Sepp gehörte, stehen.
Meine Neugierde geweckt, näherte ich mich dem Gebäude mit klopfendem Herzen von hinten. Zwischen den Fichten und Haselnusssträuchern hatte ich gute Sicht auf den Hinterhof.
Dann fuhr ein Leichenwagen vor. Kurz nachdem die Männer des Bestattungsunternehmens das Gebäude mit einer leeren Trage betreten hatten, kamen sie, gefolgt von der Polizei und dem Notarzt mit der Bahre wieder aus dem Haus. Verwundert starrte ich auf die Trage. Es konnte sich keinesfalls um Rosi handeln. Sie war viel kleiner und zierlicher. Erleichtert atmete ich auf. Mir dämmerte, dass es sich um Sepps korpulenten Körper handelte. Ich hatte genug gesehen und beschloss nach Hause zurückzukehren.
***
Seit meine Mutter tot ist und meine Schwester verheiratet, lebe ich allein im Elternhaus. Rosi kaufte sich vor ein paar Jahren das leerstehende Haus nebenan und verwandelte die Bruchbude samt Garten in ein kleines Paradies. Mit ihr konnte ich mich stundenlang über die Aufzucht von Rosen und den richtigen Schnitt bei Obstbäumen unterhalten. Ich verliebte mich schnell in sie, doch Rosi ist keine Frau für eine Beziehung. In den wenigen Stunden, in denen ihre keine Männer beiwohnten, mochte sie privat auch keine weiteren mehr sehen. Dachte ich zumindest.
Da ich für sie nicht bezahlen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als sie zu beobachten. Und das tat ich, wann immer ich konnte. Das schöne Prickeln, das sie in mir auslöste, blieb mir natürlich auch nicht verborgen. Nach ein paar Monaten kannte ich die Rosi und ihre Gewohnheiten so gut, dass wir wie ein altes Ehepaar miteinander harmonierten. Dass sie draußen am Stadtrand auch andere Männer hatte, damit konnte ich eine Zeit lang ganz gut leben. Aber eines Tages fing das mit dem Sepp vom „Saustadlhof“ an.
Zuerst verspürte ich nur ein dumpfes Ziehen im Bauch. Doch mit der Zeit wurde ich richtig krank davon. Atembeschwerden und Magenkrämpfe quälten mich fortan. Je öfter ich die beiden beobachtete, umso schlimmer wurde es mit mir. Das schöne Prickeln in der Leistengegend blieb auch aus. Unsere Dreier-Beziehung wurde zunehmend anstrengender. Eines muss man dem Sepp aber zugestehen, mit Frauen kannte er sich aus. Er hatte gute Ideen. Und so kam eines, zum anderen.
***
Das mit dem Sepp und den Schweinen war schon so eine komische Sache: Zuerst wählte er für jedes von ihnen einen schönen Namen aus: Mary, Sweety, Lucky und Josy nannte er sie liebevoll. Dann mästete er sie monatelang und suchte geeignete Haken in seinem Schlachtraum aus. Jedes Zweite von Ihnen brachte er zum Metzger, so wie es sich gehörte. Es waren zu viele, um es auf lange Sicht als Hausschlachtung für den Eigenbedarf vor der Tierschutzbehörde rechtfertigen zu können. Er tat es einfach gerne, „das Schweine töten“. Die ganzen Monate über freute er sich auf den Tag, an denen er den Sauen an die Gurgel konnte. Zuerst betäubte er sie mit einem Elektroschocker. Dann ließ er sie von der Decke hängen. Bevor er unter jedes einen Eimer aufstellte, wagte er noch ein kleines Tänzchen mit jeder von ihnen. Dabei wechselte er laufend seine schweinischen Tanzpartnerinnen. Zum Schluss ging er mit klopfenden Herzen eine Sau nach der anderen ab.
„Kim brav uma zun Tat!“ (Komm artig her zu Papa!), pflegte er zu sagen, bevor er es mit einem scharfen Hohlstechmesser Brusteingangs stach.
Das war der Moment, den er am meisten liebte. Er öffnete die großen Blutgefäße, damit sie ausbluteten.
***
Wenn es einen Vater an meiner Seite gegeben hätte, wäre mein Leben sicher anders verlaufen. Aber der verließ uns wegen einer anderen. Die Mama hatte das nie verkraftet. Manchmal sah sie mich so komisch an und murmelte vor sich hin „Wia da Tat, so a depperter Depp!“ (Wie der Vater, so ein doofer Tölpel!)
Ich konnte ihr nie irgendetwas recht machen. Wenn ich eine Eins schrieb, sah sie mich mit ihrem strengen Blick an und fragte: „Koa åns Plus?“ (Keine Eins Plus?) und, wenn ich mich extra bemühte, um ihr ein schönes Bild zu malen, meinte sie: „Då hätt`s di iatz åwa scho oamoi bissal mehr åstrenga kena!“ (Da hättest du dich jetzt aber schon ein bisschen mehr anstrengen können!)
Während meine Schwester tun und lassen konnte, was sie wollte, wurde ich kritisch beäugt und bekam für alles die Schuld in die Schuhe geschoben.
Wenn Vater hier gewesen wäre, wären wir im Sommer gemeinsam eine Runde im See geschwommen. Am Wochenende hätten wir eine Radtour gemacht und ganz sicher hätte er mir etwas über Frauen beigebracht. Und dann wäre nicht Mutters gehässige Jugendfreundin meine Erste geworden. Als Mama alt wurde, habe ich sie nicht mehr ertragen können. Obwohl ich sie gut pflegte, musste ich mich von ihr beschimpfen lassen. Als sie in meinem Beisein ihren letzten Atemzug machte, fühlte ich mich erleichtert. Sie war meine Zweite.
***
Ich starrte auf die Tabletten, die auf dem Küchentisch lagen, nahm eine davon und spülte sie mit einem großen Schluck Wasser hinunter. Nach einer halben Stunde ging es mir deutlich besser und die Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit kehrten schlagartig zurück.
Gestern zur Abenddämmerung verließ Rosi das Haus. Ich wartete bereits hinter einem Rosenbusch versteckt, bis sie an mir vorbei ging. Ich war ihr so nahe, dass ich ihren betörenden Vanille-Duft riechen konnte. Sie trug einen langen Mantel, schwarze Lederstiefel und schlug den Weg hinter dem Haus Richtung Wald ein. Ich folgte ihr in einigen Metern Abstand. Kurze Zeit später steuerte sie Sepps Hof an. Im Haupthaus war es dunkel. Nur im Stall brannte ein gedämpftes Licht. Rosi öffnete die Türe und Sepp bückte sich zu ihr runter und küsste sie auf den Mund. Sie lachte und mir drehte es den Magen um. Der „Saustadler“ zog die Stalltüre hinter sich zu. Ich pirschte mich heran und spähte durch einen Schlitz hindurch. Der Geruch des Schweinkotes, der mir immer wieder in die Nase stieg, verschlimmerte meine Übelkeit. Sepp schenkte ihr ein Glas Sekt ein und stieß mit ihr an. Ich schaute mich um. Der Stall war nur halb voll mit Schweinen. Er hatte also bereits mit dem Schlachten begonnen. Rosi lächelte aufreizend und setzte sich auf einen der Strohballen. Ihren Mantel hatte sie zuvor achtlos über einen der Holzbalken geworfen. Der „Saustadler“ starrte in den einladenden Ausschnitt ihres blutroten Kleides. Ich hörte förmlich das Herz in meiner Brust schlagen und bekam kaum Luft.
„Kim Sepperl, du großer Bua!“ (Komm Sepp, du großer Junge!), hörte ich Rosi sagen und er fasste mit beiden Händen an ihren Hintern. Sie seufzte zufrieden. Ich öffnete langsam die Stalltüre und verschaffte mir in gebückter Haltung Zutritt.
Auf einem der Strohballen lag ein Elektroschocker bereit. Eines der Schweine quiekte, Rosi stöhnte. Mittlerweile waren die beiden so miteinander beschäftigt, dass ich es riskieren konnte, mich aufzurichten. Ich nahm den Elektroschocker an mich und wartete im Schatten einer Säule.
Endlich richtete sich Sepp auf.
„Gib schu uma des Zuig!“ (Gib mir endlich das Ding!)
Ich tat wie mir geheißen. Als Rosi mich wahrnahm, weiteten sich ihre Augen. Noch bevor sie begriff, was los war, lag sie betäubt im Stroh. Der Sepp holte ein Seil und fesselte damit ihre Füße. Ich sah ihm noch zu, wie er sie ins Schlachthaus trug. Der metallische, unangenehme Geruch des Schweineblutes stieg mir in die Nase. Zwischen den Schweinen, die da zum Reifen abhingen, war noch ein Haken frei.
„Kim brav uma zun Tat!“ (Komm artig her zu Papa!), hörte ich ihn noch sagen und dann ging ich nach Hause, denn mit so einer Schweinerei wollte ich nun wirklich nichts zu tun haben.
An Sepps Stelle hätte ich vermutlich meinem Leben auch selbst ein Ende bereitet, um dem Gefängnis zu entgehen. Oder hat ihn plötzlich die Reue überkommen?
Sie war jedenfalls meine Dritte und ich bin wieder mal davongekommen.
V2 (10.000)