Von Ingo Pietsch
Josephine war Kunststudentin und arbeitete nebenbei in einem kleinen Café als Bedienung.
Der Tag hatte mit Regen begonnen und würde wahrscheinlich auch nicht besser zu Ende gehen.
Josephine hatte ihre erste Vorlesung verschlafen, da sie sich mehr auf ihr Nachtleben, als auf ihre angehende Karriere konzentrierte. Und so ließ sie auch nicht eine Männerbekanntschaft anbrennen, denn gegen ihre rotblonden Locken und dem verführerischen Blick war niemand gewappnet.
Das Café war gut besucht, traute sich doch niemand, es bei dem scheußlichen Wetter wieder zu verlassen.
Der Duft nach frisch gemahlenen Kaffeebohnen verdrängte den Geruch von nasser, klammer Kleidung, der in der Luft hing.
Als sie zum Fenster hinaussah, bahnten sich ein paar Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Wolken.
Stühle wurden gerückt und Rechnungen wurden eilends beglichen, als die Hälfte der Kundschaft sich aufmachte und das Café verließ.
Josephine lief zum Tresen, um einen Lappen zu holen und wandte sich zur Tür, deren Glöckchen unentwegt bimmelte.
Ein, für Josephines Geschmack, gutaussehender Mann bahnte sich seinen Weg durch die flüchtenden Gäste.
Er hängte seinen fast trockenen Trenchcoat an die Garderobe und nahm an einem Tisch Platz.
Josephine beobachtete ihn die ganze Zeit dabei. Er bewegte sich so geschmeidig, als wäre er unsichtbar.
Der Mann nahm die Karte in die Hände und versteckte sich dahinter.
Josephine hatte ein paar Tische gereinigt und trat an den Herren heran, der immer noch in seine Karte vertieft war. Sie wollte ihn ansprechen, doch dieser herb-maskuline Duft, den er aussendete, ließ sie innehalten.
Sie war fast betäubt und konnte ihre Gedanken kaum sortieren. Sonst war sie immer Herrin über ihre Sinne, aber so etwas war ihr noch nie passiert. Sie fragte sich, wer dieser Mann wohl sei.
„Was darf ich Ihnen denn bringen?“, stotterte sie. Sie war über sich selbst entsetzt, war sie doch kein kleines Mädchen mehr, das nicht wusste, was es wollte.
Der Mann legte die Karte zur Seite und schaute ihr direkt in die Augen.
Josephine war diesem Blick sofort verfallen, wie hypnotisiert.
Die grünen Augen mit den orangenen Sprenkeln darin schienen zu leuchten.
„Ist etwas nicht in Ordnung? Sie starren so. Oder habe ich etwas im Gesicht?“ Seine angenehme Stimme hatte einen leichten englischen Akzent.
„Ich, äh“, stammelte Josephine. „Es tut mir leid.“ Sie fing sich wieder und begann mit dem Unbekannten zu flirten: „Aber es klingt vielleicht aufdringlich, aber sie sind sehr attraktiv und ich war einen Moment lang abgelenkt.“
Der Mann zog eine Augenbraue hoch: „Aha, Sie sind aber sehr direkt. Aber wissen Sie was? Sie wirken auf mich auch anziehend.“
Wo ging dieses Gespräch hin? Josephine musterte ihn, entdeckte aber keinen Ring und auch keinen Ohrring.
„Wir scheinen uns ja auf Anhieb zu verstehen. Ich bin nur für zwei Tage in der Stadt. Ich war noch nie hier und könnte jemanden an meiner Seite gebrauchen, der mich ein wenig herumführt.“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Natürlich völlig unverbindlich.“
Josephine hatte sich einen Stuhl herangezogen und spähte zum Tresen. Ihr Chef mochte es nicht, wenn man während der Arbeit privates erledigte.
„OK, gerne. Ich bin Josephine. Aber meine Freunde nennen mich Jade, wegen meiner grünen Augen und meiner Vorliebe für die Farbe Grün.“ Sie zog eine Grimasse, da es ihr peinlich war.
„Hallo Jade!“, er sprach ihren Namen in perfektem Englisch aus. „Ich bin Edward und ich hätte gerne einen Cappuccino.“
„Ja, natürlich!“, Jade war aufgesprungen, hatte sie doch völlig vergessen, dass sie hier arbeitete. Edward lächelte sie auf eine Weise an, die zum Dahinschmelzen war.
Jade hatte ihm gerade den Cappuccino gebracht, als erneut jede Menge Leute ins Café strömten. Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen.
Edward legte einen Zehn-Euro-Schein neben die Tasse und sagte: „Wir sehen uns heute Abend!“ Er nahm seinen Trenchcoat, warf ihn sich über und verließ das Café.
Völlig perplex stand Jade da. Sie hatte ihm doch ihre Adresse gegeben oder nicht?
Eine Kollegin rüttelte sie am Arm: „Was ist mit dir? Nimm den Kaffee wieder mit. Hier ist keiner mehr. Aber gutes Trinkgeld hat er wenigstens dagelassen.“
„Der sah gut aus, oder?“
Die Kollegin kratzte sich am Kopf: „Ich weiß, dass du mit jemanden gesprochen hast. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie der jenige ausgesehen hat.“ Sie starrte noch einen Moment auf den Platz auf dem Edward gesessen war.
„Jade, was ist los mit uns? Das kommt bestimmt von den vielen Energy-Drinks.“
Jade stand eine Weile verträumt und freute sich auf den Abend.
Jade stand in ihrer Wohnküche. Sie trug ein samtenes grünes Mini-Kleid mit tiefem Ausschnitt und schwarze, kniehohe Highheels. Vorhin, als sie mit Edward unterwegs gewesen war, hatte sie noch ein rotes Cape umgehabt, das aber auch nicht viel mehr verhüllte.
Jeder hatte sich nach ihr umgedreht, ob Mann oder Frau, als sie durch die Innenstadt geschlendert waren. Sie genoss es, bewundert zu werden.
Edward hatte sich pünktlich um acht abgeholt, obwohl sie nicht genau wusste, ob sie eine Uhrzeit ausgemacht hatten.
Sie waren mit seinem Ferrari gefahren, hatten etwas gegessen, waren spazieren gewesen und dann hatte sie ihn noch mit nach oben eingeladen.
Ihre Erinnerungen waren ein wenig verschwommen.
Oder er war einfach zur Tür hereingekommen und sie hatte sich alles nur eingebildet.
Egal, der restliche Abend würde auf jeden Fall angenehm enden.
Edwards Jackett lag neben ihrem Cape auf dem Sofa. Und so, wie er sie anblickte und wie sie sich dabei fühlte, würden sie es wohl nicht mehr bis ins Schlafzimmer schaffen.
Mr. Black, Jades Kater, hatte sich in seinen Kratzbaum verzogen. Sonst strich er immer um ihre Beine herum und schnurrte dabei.
Es war wohlig warm in der Wohnung und leise Musik lief im Hintergrund.
Edward ging auf sie zu, nahm ihre Arme und tanzte mit ihr ein paar Schritte. Wieder roch sie seinen Duft und ließ sich davon gefangen nehmen.
Edward ließ sie rücklings fallen, hielt sie aber mit seinem starken linken Arm fest. Ihr Kopf lag in seiner Hand und sein Gesicht näherte sich dem ihrem.
Erst erschreckt wegen des Gleichgewichtsverlustes, dann doch sinnlich berührt, als ihre Lippen sich trafen und ein kleines Feuerwerk in ihr explodierte.
Sie hatte die Augen geschlossen, als seine Lippen über ihr Kinn zur Wange und dann zur ihrem Hals wanderten. Sie spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Auch seine rechte Hand war an ihrer Seite nach unten geglitten und Jade musste kichern, als ihr kitzelig wurde. Gleichzeitig verspürte sie einen stechenden Schmerz am Hals und wurde ohnmächtig.
Jade erwachte am frühen Morgen wieder, als Mr.Black ihr über das Gesicht leckte. Sie hatte tierische Kopfschmerzen und fühlte sich ganz schlapp.
Sie konnte sich nur noch an den gestrigen Tag erinnern und dass sie auf einer Party gewesen war. Der Rest war wie ausgelöscht.
Sie trug immer noch ihr Kleid. Das grelle Tageslicht brannte in ihren Augen und sie zog sich ihre Bettdecke übers Gesicht.
Jade fühlte ein Ziehen an ihrem Hals. Sie tastete nach der Stelle. Das wollte sie sich genauer ansehen und setzte sich auf die Bettkante, nur um festzustellen, dass ihr schwindelig wurde. Sie ließ sich rücklings fallen und brauchte eine Ewigkeit, bis sie sich schwankend ins Badezimmer kämpft.
Ein Blick in den Spiegel offenbarte ihr riesige Mückenstiche am Hals. Die Biester werden immer größer, dachte sie.
Jade schüttete sich mehrere Hände voll Wasser ins Gesicht, die aber nichts brachten.
Sie setzte sich auf den Wannenrand und starrte eine Fliese mit einer Palme an, um nicht mehr alles doppelt zu sehen.
Den Kopf zwischen beiden Händen ging sie langsam in die Küche und zum Kühlschrank, nahm eine Dose Energy-Drink heraus, öffnete sie und begann zu trinken.
Jade spuckte das Zuckerzeug wieder aus. Auf einmal schmeckte es widerlich.
Sie brauchte dringend einen Kaffee oder was Stärkeres.
Hatte sie nicht gestern ein nettes Dinner gehabt? Oder etwa nicht. So sehr sie sich auch anstrengte, schwirrten doch nur einzelne Bilder vor ihrem geistigen Auge dahin.
Ein gut aussehender Typ, den sie zu sich in die Wohnung eingeladen hatte.
Dann nur Schwärze. Was war da gestern Abend gelaufen?
So einen fürchterlichen Filmriss hatte sie noch nie gehabt.
Ihr Magen knurrte fürchterlich. Das war kein Durst mehr, es war jetzt Hunger.
Ein quälender Hunger, beidem sich der Magen zusammenzog. Sterne tanzten vor ihren Augen.
Mr. Black maunzte nach Futter. Sie nahm ihn hoch und streichelte ihn.
„Na, wen haben wir denn da, kleine Mietzekatze?“ Dann riss sie ihren Mund auf und biss zu.