Von Eva Fischer

Marlene nimmt die Lichterketten aus der Verpackung. Dunkelheit ist gut für Leseratten, aber ein beleuchtetes Schaufenster zeigt ihren Kunden den Weg. Ein Buch ist noch immer ein gutes Weihnachtsgeschenk, denkt sie. Fast ein Jahr arbeitet sie nun schon in ihrem Buchladen und  kann nicht klagen. Sie hat eine nette Stammkundschaft gewonnen. Reich kann man zwar mit Büchern nicht werden, aber es macht Spaß.

„Ein paar Kugeln solltest du aber auch dekorieren. So richtig schön kitschig!“, reißt sie Sophie aus ihren Gedanken und zeigt auf eine große blaue Kugel mit silbernen Glitzersternen. „Oder was hältst du von der da mit Rudolph the red nosed reindeer?“ Sie schnalzt mit der Zunge, als wäre sie der Weihnachtsmann auf dem Schlitten.

„Freust du dich auf Weihnachten?“ Marlene knufft Sophie scherzhaft in die Seite.

„Was wünschst du dir eigentlich?“

„Eine Hündin. Ich finde Max sollte mehr Spaß haben.“

Sie zeigt auf den Dackel, der friedlich in seinem Körbchen schlummert.

„Sieht Max für dich unglücklich aus?“, fragt Marlene verwundert.

„Nee, das nicht!“, antwortet sie gedehnt, „doch es wäre schön, wenn er Papa würde.“

„Das würde ich deiner Mutter aber nicht auf die Nase binden, dass du nicht nur einen Hund haben möchtest, sondern dir gleich ein ganzes Rudel heranzüchten willst“, zwinkert Marlene ihr zu.

„Ach, Weihnachten wird sowieso langweilig. Immer dasselbe!“, mault Sophie und

schaut seufzend aus dem Fenster. Plötzlich dreht sie sich um, als ob draußen ein Geistesblitz vorbeimarschiert wäre.

„Was hältst du davon, wenn wir Weihnachten hier bei dir in deinem Buchladen feiern?“

Sophies Augen glitzern mit den Sternen in der blauen Kugel um die Wette.

Marlene sieht sie erstaunt an.

„Wie soll das gehen? Wie stellst du dir das vor?“

 „Also, wir laden natürlich Ulrich ein“, sprudelt Sophie los.

„Natürlich“, echot Marlene.

„Und meine Großeltern, Mama und Jürgen. Jeder bringt etwas zu essen und zu trinken mit. Du bist für die Deko und das Geschirr zuständig.“ 

„So eine Art Bottleparty“, grinst Marlene. „Und was gibt’s zu essen?“

„Also, kein Fleischfondue wie sonst immer, sondern Kartoffelsalat mit Würstchen und als Nachtisch Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Ich lieeebe Himbeeren!“ Sophie fährt sich mit der Zunge genüsslich über die Lippen.

„Ich bin mit deiner Weihnachtsidee einverstanden“, sagt Marlene gerührt, denn sie möchte Weihnachten auf keinen Fall mit ihren Eltern verbringen, „aber jetzt liegt es an dir, deine Familie zu überzeugen.“

„Echt?!“ Sophie umarmt Marlene, als ob alles weitere ein Klacks sei.

 

Ist es natürlich nicht. Die Großeltern sind entsetzt, dass Weihnachten nicht bei ihnen gefeiert werden soll. Carmen allerdings findet es toll, dass ihre Tochter Jürgen ganz selbstverständlich auf die Gästeliste setzt. Sophie hofft auf den Faktor Zeit. Bis Heiligabend sind es noch einige Wochen hin und sie wünscht sich nichts, rein gar nichts von ihren Großeltern außer ein gemeinsames Fest in Marlenes Buchladen. Spätestens, wenn die Großeltern Tränen kullern sehen bei ihrer Enkelin, werden sie nachgeben, vermutet Sophie.

 

*

 

 

„Jingle Bells“, ertönt es aus dem Lautsprecher, als Familie Kaiser die Tür zum Buchladen öffnet, denn Ulrich hat es sich nicht nehmen lassen, seine Stereoanlage von zu Hause mitzunehmen und hier aufzubauen, was Sophie etwas old fashioned findet.

Frau Kaiser trägt eine große Schale mit Kartoffelsalat. „Selbstgemacht!“  Herr Kaiser müht sich mit einem großen Topf mit heißem Wasser ab, in dem zahlreiche Würstchen schwimmen. Mit „Vorsicht! Heiß und fettig!“, bahnt er sich den Weg. Carmen wedelt mit dem Eis und  Jürgen hält die heißen Himbeeren unter Verschluß. Die vier stapfen erneut zum Auto, um die Geschenke zu holen und unter den Weihnachtsbaum zu legen.

 

Ulrich begrüßt die Gäste mit einem Glas Punsch, für Sophie natürlich alkoholfrei, aber auch Carmen will lieber einen alkoholfreien. „Einer muss ja fahren“, begründet sie lächelnd ihre Entscheidung.

„Ich bin der Ulrich“, stellt sich dieser vor und reicht Herrn Kaiser die Hand, der mit „Ich bin der Klaus“ pariert.  Die beiden Männer stellen bald fest, dass sie der gleiche Jahrgang sind, der beste, so wie der Wein, den Ulrich anschließend kredenzt.

Frau Kaiser senior beäugt Marlene noch etwas misstrauisch, denn irgendwie ist es ihr doch suspekt, dass Sophie so viel Zeit in dem Buchladen verbringt, aber es entgeht ihr auch nicht, dass Jürgen und Carmen unter dem Tisch Händchen halten. Sophie hat einen ganz fiebrigen Blick. Sie versucht herauszufinden, welches Paket unter dem Weihnachtsbaum Luftlöcher hat, denn von Mama hat sie sich eine Dackelhündin gewünscht, Hündin, dick unterstrichen und mit Ausrufezeichen. „Oh Happy Day“, ertönt ein Song der CD. Die Erwachsenen unterhalten sich großartig. Sophie füttert Max mit Leckerli, denn die Wurst darf er nicht, auch wenn Max da anderer Meinung wäre, wenn man ihn fragte, nur fragt ihn keiner und vielleicht erspart ihm die Fürsorge bezüglich seines Magens den Kater, der zumindest die Männlichkeit morgen heimsuchen dürfte. „Silent Night“ versucht sich Gehör zu verschaffen.

 

Alles wurde verputzt. Der selbstgemachte Kartoffelsalat, die lauwarmen Würstchen und das dahinschmelzende Eis, das sich so wunderbar mit den roten Himbeeren vermischt hat. Jetzt ist es endlich Zeit für die Bescherung, findet Sophie und klatscht in die Hände. Zu ihrer Verwunderung erhebt sich ihre Mutter mit glasigen Augen, obwohl sie weder Punsch noch Wein getrunken hat. “Heute ist Weihnachten und so möchte ich euch etwas ankündigen“, beginnt sie feierlich.

Alle schauen auf Carmen, aber Carmen schaut vor allem auf Sophie, die an ihre Hündin denkt, die man endlich aus dem Karton befreien sollte.

„Liebe Sophie, du bekommst ein Brüderchen“, und dabei drückt sie fest Jürgens Hand, schaut ihm in die Augen und so sieht sie nicht, dass Sophie keineswegs so begeistert ist, wie es ihre Mutter erwartet.

„Und? Bekomme ich auch einen Hund?“

„Aber Sophie, du hast doch Max. Ein echtes Brüderchen ist doch viel besser.“

Das findet Sophie offensichtlich nicht, denn jetzt sind ihr Wut und Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.

„Du hast es mir versprochen!“, kreischt  Sophie, bricht in Tränen aus und  rennt aus dem Raum. „What Child is This“, tönt es nun aus dem Lautsprecher. Carmen und Marlene gehen ihr hinterher, während Klaus seinem neuen Schwiegersohn auf die Schulter klopft. „Glückwunsch, Kumpel! Und wann wird geheiratet?“

Das bringt wiederum  Jürgen in Verlegenheit, denn von einer Heirat war bei Carmen nie die Rede.

 

Plötzlich klopft es an die Tür.

„Ist hier noch geöffnet?“ Der unerwartete Gast  trägt einen feinen Zwirn. Sein gut durchblutetes Gesicht zeugt davon, dass es auch woanders Punsch gegeben haben muss.

Ulrich springt auf.

„Heute Abend ist hier geschlossene Gesellschaft“, sagt er und versucht den Mann zum Rückzug zu bewegen, jedoch ohne Erfolg.

„Zu Weihnachten geschlossene Gesellschaft? Das ist doch schon ein Widerspruch in sich“, protestiert er. „Ich bin ein guter Kunde von Frau Müller. Das soll sie mir schon persönlich sagen, wenn ich hier unerwünscht bin.“

So bleibt Ulrich nichts anderes übrig, als den Mann in Marlenes Büro zu geleiten, wo die Frauen auf die weinende Sophie einreden, um sie zu beruhigen, was offensichtlich nicht gelingt, denn sie haben unterschiedliche pädagogische Ansätze. Carmen ist bereit, ihrer Tochter doch noch einen Hund zu kaufen, während Marlene findet, dass sich Sophie eher für ihr Verhalten bei ihrer Mutter entschuldigen sollte.

 

„Hier ist ein Kunde, der zu dir will“, versucht sich nun Ulrich Gehör zu verschaffen.

„Siegfried?!“-„Herr Beckers!?“, erklingt es gleichermaßen erstaunt, aber aus zwei unterschiedlichen Mündern.

Es folgt eine Minute des Schweigens, der Verwirrung, des Entsetzens.

„Kennt ihr euch?“, unterbricht Marlene das Schweigen.

„Das kann man wohl sagen“, sagt Carmen und faucht: „Was willst du hier Siegrfied?“

 „Früher warst du aber anschmiegsamer“, stellt dieser lächelnd fest.

„Das ist 13 Jahre her!“, empört sich Carmen.

„Der schöne Siegfried, der smarte Flugkapitän, der allen Frauen den Kopf verdreht hat und wenn’s brenzlig wurde, dann versteckte er sich hinter seiner armen Ehefrau, die nicht verlassen werden durfte. Hat sie dir endlich den Laufpass gegeben oder warum musst du zu Weihnachten mutterseelenallein auf der Straße herumlungern?“

„Die Zeiten haben sich geändert, Carmen. Komm, sei nicht so! Heute ist doch das Fest der Liebe.“ Siegfried wagt einen Schritt nach vorn.

„Bleib mir bloß vom Leibe! Im übrigen bin ich verlobt. Du bist in meine Verlobungsfeier geplatzt. Also, verpiss dich schnell wieder!“

 

Sophie hat fassungslos die Szene beobachtet. Auf einmal zeigt sie auf Siegfried und fragt ihre Mutter: „Ist das mein Vater?“

Warum sie das tut, weiß sie selber nicht. Waren es die Zahlen, die sie stutzig gemacht haben? Sie ist 12 und Mama hat ihn vor 13 Jahren offensichtlich besser gekannt.

Nun betrachtet auch Siegfried das Kind  forschend.

„Bilde dir bloß nicht, dass du irgendwelche Rechte hast! Das ist meine Tochter! Wir sind 12 Jahre ohne dich ausgekommen und wir können das sehr gut weiter“, redet sich Carmen in Rage

„Herr Beckers, wie Sie sehen, passt ihr Besuch momentan nicht. Ich schlage vor, wir setzen das Gespräch ein andermal fort.“ Diesmal ist es Marlene, die ihn sanft am Ärmel packt und  zur Tür begleitet. „Schöne Weihnachten noch! Wir öffnen im Neuen Jahr wieder.“

Christmas Tears Will Fall“, klingt es aus dem Lautsprecher des weihnachtlich geschmückten Verkaufsraumes, wohin alle zurückkehren.

Herr Kaiser lässt einen Sektkorken knallen.

„Auf die Verlobten!“, sagt er und schenkt die Gläser ein.

Langsam kehrt die frohe Stimmung wieder zurück. Nur Sophie schweigt, denn sie muss zwei unerwartete Geschenke verdauen. Doch wer bekommt schon zu Weihnachten sein Wunsch- Geschenk?

 

*

 

Acht Monate später wird der kleine Christian geboren und Sophie findet mittlerweile, dass er ein wirklich süßes Baby ist.

Einen Hund hat sie auch von Mama bekommen, einen Beaglerüden, den Max überhaupt nicht leiden kann. Er ist hier der Herr des Buchladens, Konkurrenz unerwünscht!

Sophie hat sich einige Male mit ihrem Vater getroffen, aber so recht wollte es zwischen den beiden nicht funken. Sophie mag Jürgen viel lieber, der keinen Unterschied zwischen seinem Sohn und seiner Stieftocher macht. Blut ist eben doch nicht immer dicker.

Und was Marlene und Ulrich betrifft, die freuen sich jederzeit über euren Besuch in ihrer Buchhandlung.