Von Anne Zeisig

„Scheiß Wetter!“, maule ich und reiche den Alki weiter. 

Kanaken Öhsie lässt meine Whiskey-Cola-Flasche kreisen.

Trotz Ostfriesennerz läuft mir das Wasser den Arsch hinunter.

 

Öhsie holt ein Stofftaschentuch aus seinem Blouson, wischt sich die Haare und das Gesicht trocken. Dann setzt er die Flasche an den Mund und nimmt einen gehörigen Schluck.

Dass es sowas noch gibt: Stofftaschentücher mit rosa Stickereien.

Da hat er wohl versehentlich in die Wäschelade seiner Oma gegriffen. Ich verkneife mir einen blöden Spruch dazu, denn mir geht es nicht gut.

Ehrlich: Mir geht es beschissen. Mein nasser Arsch läuft auf Grundeis.

„Das ist doch kein Wetter, um Bräute aufzureißen“, protestiere ich, aber Emscher Willi, der dritte in unserem Bunde, lässt keine Ausflüchte zu.

„Ist eher ‘n Wetter zum Mäusemelken“, bringe ich ein weiteres Gegenargument. Obwohl ich weiß, dass Widerstand zwecklos ist.

 

Willi zieht uns unter das dichte Laubwerk einer Eiche am kleinen Marktplatz in Herne-Süd und streift sich die Kapuze seines grünen Parkas über, bevor er nun einen tiefen Schluck aus der Alko-Pulle nimmt. Sein Kehlkopf hüpft freudig auf und ab.

„Ah! Das wärmt von innen. Aber ihr müsstet mal den Kuchen mit Rum von meiner Mutter probieren!“

Seine Blicke gehen schwärmerisch gen grauem Himmel und dann kommt er leider auf den Grund zu sprechen, warum wir überhaupt hier sind.

„Öhsie hat die Ondulations-Eva unter seine Fittiche gehabt, ich ebenso, jetzt bist du dran!“, verkündet Willi. „Oder biste etwa eine schwule Verkäufertusse im Kiosk deines Alten?“

 

„Ach so ist das!“ Mir wird heiß. „Aber wenn ich ab und zu eine Flasche abzweigen kann, weil ich am Büdchen aushelfe, damit mein Vater ab und zu Freizeit hat, dann bin ich der tolle Freund! Und bei dem Mistwetter kommt bei mir sowieso keine Lust auf!“, versuche ich, die ganze Sache zumindest für heute von mir abzuwenden. Und denke mit Wehmut an den vergangenen Sommer zurück, wo wir unter der heißten Sonne des Ruhrgebietes unbeschwert am Rhein-Herne-Kanal unsere Ferien verbracht haben.

 

„Wettschulden sind Ehrenschulden, sagt mein Baba immer“, verkündet Kanaken Öhsie, „sonst verlierst du dein Gesicht. Und wir haben gewettet, dass jeder von uns über die Schönheit huschen muss. Das war eine Gemeinschaftsentscheidung!“

 

Ja. Und ich Blödmann habe auch meine Hand dafür hochgestreckt.

 

Öhsie. Keine Ahnung, wie sein Name sich richtig schreibt, jedenfalls macht der ein Kreuzzeichen, obwohl er beschnitten ist.

 

„Man macht bei so einem Thema kein Kreuzzeichen“, belehrt Emscher Willi ihn, „weil die Kirche mit Sexualthemen Probleme hat.“

 

Willi ist von uns Freunden der gebildetste. Ich mag ihn irgendwie, obwohl er voll der Klassenstreber ist. Emscher Willi stinkt nie nach Schweiß, deshalb sitze ich in der Schule auch so gerne neben ihm.

Öhsie kann das überhaupt nicht verstehen, deshalb mimt er oft den Beleidigten.

 

Kanaken Öhsie trinkt wieder. „Das habe ich nur wegen der Integration gesagt.“ Und übergibt mir das Gesöff.

 

„Ey!“ Ich schlage ihm auf die Schulter. „Wenn schon Integra… äh … dann aber auch richtig. Kirche und Poppen, das geht mal garnicht und ich bin katholisch getauft worden! Stimmts Willi?“   

 

Emscher Willi nimmt nun die Whiskeymischung an sich, hebt die Flasche hoch, dreht sich im Kreis und verkündet: „Seht ihr hier irgendwo eine Kirche? Ich nicht! Und deshalb wird unser allseits geschätzter Buden-Heini dem Weibe Eva beiwohnen im Bette!“

 

„Haste das aus Goethe?“, fragt Öhsie.

 

Willi winkt ab.

Meine Freunde schauen hinüber zum Salon ‘Evas Pechsträhnchen’.

 

„Da ist leer! Keine Kunden in Sicht! Pirsch dich ran Buden-Heini!“

 

„Zeig ‘s ihr!“

 

Sie schubsen mich über den nassen Platz und ich stolpere hinein in das Ladenlokal, wo es bestialisch nach Chemie stinkt.

Mir rinnt das Wasser aus den Turnschuhen. Und der Schweiß über die Stirn hinunter, schmeckt salzig auf meinen Lippen.

Oh manno, habe ich vielleicht Muffensausen!

Hätte mir vorher noch einen Schluck Whiskey-Cola genehmigen sollen, aber zuviel Alkohol soll ja auch nicht gut sein für die Erek, äh, tion. Ich stehe einfach nicht auf Blondondulierte mit einer schwarzen Strähne an der Schläfe.

 

„Hoppla! Was für einen begossenen Pudel haben wir denn da?“

Als sie auf mich zutrippelt, wippt ihr Busenschlitz wie eine besoffene Spardose in dem tiefen Ausschnitt auf und ab und hin und her.

‘Wackelpudding!’, denke ich spontan. Leider weder rot noch grün, sondern sehr blass mit bläulichen Adern durchzogen. Igitt!

Dass sie ein schwaches Bindegewebe hat, das hat Willi aber nicht erzählt! Überhaupt haben beide Freunde kaum etwas preisgegeben von ihren Schäferstündchen weil ‘ein Kavalier genießt und schweigt’.

Ich hätte große Lust, Trinkgeld in diese Brustrille zu stecken, aber ich habe kein Geld bei mir und stehe auch nicht auf Perversitäten.

 

„Trockenschnitt mit dem Rasierer?“, fragt sie mich und benetzt mit ihrer Zunge die rotlackierten Lippen, als sie mich abschätzend ansieht. „Neun Zentimeter?“

 

„Was?“, schreie ich entsetzt. „Nur neun Zentimeter?“

 

„Ey“, haucht Eva, „Langmähnen sind seit den Beatles ausgestorben, aber entscheide dich endlich, du nässt mir hier ja den ganzen Boden ein. Sehe ich etwa aus wie ‘ne Putze?“ Sie kringelt ihre schwarze Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger hindurch.

 

Alles klar! Sie meint die Haarlänge und nicht meinen Pimmel!

Ich stehe in einer riesigen Pfütze, blicke nach draußen und sehe, wie meine Freunde erwartungsvoll unter dem Baum stehen.

 

* * *

 

Keine Ahnung wie und warum, ich hatte herumgedruckst, dass ich keinen Schnitt brauche, es bei mir allerdings Redebedarf gäbe und …

 

Nun liege ich mit nassem Parka auf Evas Schlafsofa im Hinterzimmer ihres Salons und das scheint sie nicht im geringsten zu stören,weil sie schluchzend ins Kissen heult.

Ich verstehe nicht ein einziges Wort ihres Geschwafels, ahne allerdings, dass die Blondine offenbar immer an die falschen Männer gerät, egal, ob die jung seien, oder im gesetzteren Alter, sie streichelt über meine nassen Haare und wirft sich rücklings stöhnend auf das Canapee.

Mir solls recht sein. Solange sie herumlamentiert, geht sie mir nicht an die Wäsche. Plötzlich bäumt die Dame sich auf. „Sie dich an! Nett, höflich! Ein guter Zuhörer! Hättest das Zeug, ein guter Friseur zu werden.“

 

Wenn ich nach dem Realschulabschluss meinem Vater mitteilen würde, dass ich Friseur werden will, der würde mich glatt als Sohn verleugnen.

Nein!

DAS kann ich ihm nicht auch noch antun!

Von der Alki-Klauerei mal ganz abgesehen.

Und … vom Rest auch … aber das später.

Dennoch ist mir klar, dass ich mit Paps endlich Klartext reden sollte, müsste.

 

Sie küsst mich auf die Stirn.

Ich verziehe angeekelt mein Gesicht und wische mir das Geschmiere ihres Lippenstiftes mit dem Handrücken ab.

Das war eine Reflexhandlung, denn als Beweis hätte sich das vor Öhsie und Willi bestimmt gut gemacht.

 

„Und Öhsie und Willi waren auch nicht die richtigen Kerle für Sie, äh, dich, tja, ist ja auch egal. Oder?“

 

Sei klammert sich fest an mich: Öhsie? Öhsie!“, schreit sie hysterisch und lacht schrill. Streichelt meinen Nacken.

Ich schüttele meinen Kopf, denn diese Aufdringlichkeit ist mir ganz und garnicht angenehm.

 

„Du bist wenigstens ehrlich“, haucht sie in mein Ohr, „du gibst nicht vor, etwas zu sein, was du nicht bist.“

 

Ich horche auf! Was meint sie damit? Fühle mich ertappt … will aufstehen.

Sie hält mich zurück.

Also kraule ich anstandshalber mit flinken Fingern durch ihre Locken, obwohl sich dabei meine Nackenhaare aufstellen und ein gewisser Ekel vom Magen aus in mir aufsteigt.

Aber schließlich warten da draußen meine Spezies und die wollen ein Resultat haben!

Allerdings regt sich in meiner Hose nichts!

 

Jetzt setzt sie sich auf und schlägt beide Hände vors Gesicht: „Willi“, haucht sie, „auch noch fast ein halbes Kind. Nun denn. Was soll ich sagen. Mein Steuerberater ist fünfzig. Gepflegt. Klar. Und dennoch … “

Abermals heult sie los und blickt mich mit schwarzverschmierten Augen an. „Die Nettesten sind halt immer – .“ Und bekommt einen Hustenanfall.

 

Ich klopfe ihr auf den Rücken.

„Wie sind alle sechzehn!“, stelle ich unser Alter richtig. „Öhsie wird im nächsten Monat sogar siebzehn! Was haben Sie überhaupt gegen meine Freunde? Wir kennen uns bereits seit der Grundschule!“

 

Eva blickt hoch und lächelt: „Ihr habt eucht bestimmt nicht gesucht, aber gefunden.“ Sie nimmt meine Hand und tätschelt sie. “ Es ist nicht schlimm, wenn man schwul ist, aber man muss dazu stehen und darf einer Frau nichts vorgaukeln.“

 

Und weil sie lächelt, ist ihre Erkenntnis für mich garnicht schlimm.

 

Aber mein Herz hüpft fast vor Freude in die Emscher, weil ich Öhsie mit dem rosabestickten Taschentuch vor mir sehe, wie er am Ufer des Rhein-Herne-Kanals in der Sonne sitzt und sein Haar blauschwarz schimmert.

 

 

anne zeisig, version ZWEI