Von Jutta Wein

Es hatte begonnen zu schneien. Endlich! Robert drückte seine Nase an die Fensterscheibe und sah den tanzenden Flocken zu. Es ging eine leichte Brise. Der Schnee wurde dichter und es fielen dicke Flocken sanft auf die Straße. Er war begeistert. Menschen liefen hastig darüber und es bildeten sich einzelne Pfützen.

Robert wollte raus, Schlittenfahren. Seine Mutter kam zu ihm ans Fenster. Sie lächelte und freute sich einen kurzen Moment mit ihm. Doch als Robert seine Mutter erwartungsvoll ansah, wurde ihr Blick wieder ernst. „Nein“, sagte sie, „der Schnee ist viel zu matschig.“ Schon verschwand sie wieder in der Küche. Robert war wütend. Was sollte das heißen? Zu matschig, so ein Blödsinn.

Am Nachmittag kam seine Kusine mit ihrer Mutter zu Besuch. Die Erwachsenen tranken Kaffee und aßen Kuchen. Er sollte mit ihr spielen. Seine Mutter hatte so ernst geschaut, da hatte er sie mit in sein Kinderzimmer genommen. Es war so öde gewesen. Mit Mädchen konnte man gar nicht spielen. Die ganze Zeit hatte es weiter geschneit und Robert wollte doch Schlittenfahren. Seine Mutter hatte nur gesagt, „Zu matschig und außerdem ist Emmi erkältet und darf nicht raus.“

Irgendwann war es doch Abend geworden und Emmi war mit ihrer Mutter wieder gegangen. Robert wollte gerade zu einer Beschwerde ansetzen, da kam ihm seine Mutter zuvor und sagte: „Das war sehr lieb von Dir mit Emmi zu spielen, aber jetzt ist es dunkel und im Dunkeln gehen wir nicht Schlitten fahren“.

Eine Welle von Wut durchströmte Roberts kleinen Körper. Er wurde ganz rot im Gesicht. Doch wundersamerweise liefen ihm ein paar Tränen über das Gesicht, die er schnell wegwischte. Er ging zum Fenster und setzte sich davor. Ja, es hatte die ganze Zeit weiter geschneit. Alles war weiß geworden. Das Licht der Straßenlaterne ließ alles so verlockend erscheinen. Es war kälter geworden und der Schnee war liegen geblieben. Es sah so perfekt aus. Robert wollte weinen, doch er erstickte ein Schluchzen. Sollte sie doch sehen, was sie davon hat.

Robert ging früh ins Bett. Er lauschte der Gutenachtgeschichte, die ihm seine Mutter wie jeden Abend vorlas. Es war wie immer. Sie gab ihm einen Gutenachtkuss bevor sie hinausging und das Licht löschte. Robert gähnte ihr zum Abschied ins Gesicht. Er hatte nicht vor zu schlafen. Müde war er auch nicht, eher aufgeregt. Seine Mutter hatte nichts davon bemerkt. Doch wie sollte er wach bleiben? Beim Nachdenken über diese wichtige Frage, schlief Robert ein, schließlich war er ein kleiner Junge.

Wie durch ein Wunder wurde er in der Nacht wach. Ein lautes Geräusch von draußen hatte ihn aufgeschreckt. Robert rieb sich die Augen und wollte schon zu seiner Mutter laufen. Doch Halt, dann würde sie ja wach sein. Er ging ans Fenster und schob die Gardine mit den bunten Dinosauriern beiseite. Die Laternen brannten und warfen ihr Licht auf eine geschlossene Schneedecke.

Draußen würde es kalt sein, erinnerte er sich. Wo war bloß seine warme Jacke? Er fand sie im Kleiderschrank auf einem Bügel. Schnell war sie angezogen.  In einer Ecke seines Zimmers, direkt neben seiner Schultasche, fand er seine Gummistiefel. Ob seine Mutter bereits schlief? Vorsichtig öffnete er die Zimmertür und schaute angespannt in die Dunkelheit. Er ging langsam in den Flur, alles schien dunkel und still zu sein.

Sein Schlitten stand bereits im Treppenhaus, das wusste er genau. Sein Vater hatte ihn hergebracht und augenzwinkernd gesagt, dass an Weihnachten sicher Schnee liegt. Dann war er wieder gegangen. Die Kufen habe er schon gewachst, hatte er beim Abschied gesagt. Robert öffnete die Wohnungstür, die nicht wie sonst verschlossen war. Kurz wunderte er sich darüber, dann war er schon draußen, die Wohnungstür fiel leise ins Schloss. Dort stand er, sein Schlitten, wie gehofft. Er versuchte ihn anzuheben, um ihn die Treppe hinunterzutragen. Doch er war zu schwer. So ein Mist. Was nun? Irgendwie schaffte er es, ließ den Schlitten Stufe um Stufe die Treppe hinuntergleiten. Er selbst davor, auf seinen Knien.

Als er die Haustüre öffnete, schlug ihm eisig klare Luft entgegen. Der Atem stockte ihm für einen Moment. Die Straße war trotz später Stunde erleuchtet von vielen einzelnen Glühbirnen, die sich zu hübschen Deko-Weihnachtssternen formierten. In Hauseingängen standen strahlend beleuchtete Rentiere, Schlitten, große Sterne und natürlich Weihnachtsbäume, gut bestückt mit bunten Lichterketten. Der ein oder andere Weihnachtsmann versuchte schon an Hauswänden kletternd sein Glück.

Robert bemerkte das nicht. Er schaute nicht nach rechts oder links. Der kleine Junge hatte nur Augen für den Schnee und seinen Schlitten, den er tapfer und frierend durch die Kälte dieser vorweihnachtlichen Nacht zog. Der Schnee war nun angefroren und eher eine Schicht aus glitzerndem Eis. Schon nach wenigen Minuten kroch die Kälte erst in seine Gummistiefel und dann langsam seine Schlafanzughose hoch. Robert beachtete das nicht. Er würde gleich Schlittenfahren und nur darauf kam es an. Unbeirrt stapfte er die Straße hinunter, die Augen an den Boden geheftet, mit ernstem Blick. Sehr bald würde die steile Gasse kommen, die bestimmt voll Schnee sein würde.

Einige Jugendliche mit Bierflaschen und Zigaretten in ihren frostigen Händen liefen grölend an dem kleinen Jungen vorbei, den sie gar nicht zur Kenntnis nahmen.

Robert war angekommen. Endlich. Das Eis funkelte im Schein der Straßenlaterne. Verlockend sah es aus. Robert rieb die Kufen mit Schnee ein, wie es ihm sein Vater gesagt hatte. Jetzt war es soweit. Für einen Moment wurde ihm warm ums Herz. Er setzte sich in Position auf seinen Schlitten und drückte sich einmal kräftig mit seinen verfrorenen Füßen ab. Auf der festen Eisschicht gewann er schnell an Tempo. Zu schnell! Als er mit seinen Gummistiefeln bremsen wollte, geriet sein linker Stiefel unter den Kufen. Blitzschnell überschlug sich der Schlitten und Robert fiel nach vorn aus Eis. Sein Kopf schlug auf etwas Hartes. Dann wurde alles um ihn schwarz.

„Hallo, hallo“, hörte Robert jemand rufen.

Er schlug die Augen auf. Seine Mutter stand an seinem Bett. „Du hast aber lange geschlafen. Heute ist Weihnachten hast du das vergessen?“ „Mama“, rief Robert und streckte seine Arme nach ihr aus. Sie drückte ihn fest an sich und strich ihm über seinen Kopf. „Au“, Robert zuckte zurück und fasste sich erstaunt an eine Beule.

„Der Schnee ist liegen geblieben. Wie siehts aus? Möchtest du Schlitten fahren?“ Dann hörte Robert sich sagen, „Keine Lust, keine Lust gerade.“

Ende