Von Heike Weidlich

„Noch ein Schlückchen?“

„Aber immer doch.“ Uwe schiebt mir sein Glas hin, ich ziele,- Volltreffer, oder doch beinahe. Das Bisschen das auf der Tischdecke landet ist zu vernachlässigen. Ist ja auch erst die dritte Flasche.

„Morgen ist schon wieder der vierte Advent! Kaum zu glaaaauben wie die Zeit vergeht.“ Moni sieht in die Runde und macht ein Gesicht, als hätte sie eine bahnbrechende Neuigkeit verkündet.

„Ja, ja,-  das ist wohl wahr“, sage ich gewichtig, um gleich darauf in unkontrolliertes Gelächter auszubrechen, als ich merke, welch ein (vermeintliches) Gedicht mir in meinem Zustand gelungen ist. Als ich registriere, dass die anderen mein geniales Wortspiel gar nicht begriffen haben und mich etwas irritiert ansehen, reiße ich mich zusammen und bringe,  – so honorig wie es mir möglich ist, ein: „Da hast du völlig recht“, heraus. Herrje, es ist aber auch heiß hier herinnen!

„Und nächste Woche sitzen wir, vereint mit der ganzen Familie, schon unter dem Christbaum.“ Moni ist jetzt nicht mehr zu bremsen und unterbreitet uns in aller Ausführlichkeit ihre Pläne für Weihnachten. Uwe sieht sie verliebt an, nickt hin und wieder und tätschelt dabei ihre Hand.

„Und, was habt ihr so vor an den Feiertagen?“.

„Och“, ich merke, dass, warum auch immer, meine Zunge irgendwie, wie soll ich sagen,  -blockiert, sie will nicht mehr richtig gehorchen und so finde ich es klüger Micha das Feld zu überlassen.

Dieser gibt sich vordergründig cool: „Hm, wahrscheinlich gleiches Programm wie immer. Essen gehen, Spazieren laufen, Fernseh glotzen, – chillen halt“, presst er heraus.  Begeisterung sieht anders aus.

„Was? Bekommt ihr keinen Besuch?“

„Weihnachten ist doch das Fest der Liebe und der Familie. Das könnt ihr doch nicht alleine verbringen.“

„Ella’s Eltern leben nicht mehr, und sie und meine Mutter“, er zögert, „- na ja, die haben’s halt nicht so miteinander.“

Hä? Jetzt machen hier alle auf Harmonie und ich soll den Grinch geben oder was? Aber nicht mit mir. „Du willst doch deine Mutter nie einladen!“ bringe ich so akustisch akkurat  wie es mir noch möglich ist heraus. Herausfordernd, – zumindest hoffe ich, dass es so wirkt, sehe ich Micha an.

„Ella, was redest du da. Du und meine Mutter, ihr seid wie, – na eben wie Hund und Katz oder so was.“

„Stimmt doch gar nicht“, begehre ich auf.

„Stimmt wohl! Ihr beide zusammen am Heiligen Abend. Nie würde das gutgehen. Nie!“ wiederholt er noch einmal nachdrücklich. Und wahrscheinlich ist dieses zweite „nie“ einfach zu viel für mich.

„Wetten doch!“ schleudere ich ihm entgegen.

 

Irgendetwas drückt mir die Luft ab, liegt mir bleischwer auf der Brust. Mühsam öffne ich ein Auge. Ein greller Lichtblitz fährt mir durch und durch wodurch ein wilder Sternentanz entflammt wird, – schnell wieder zumachen. Trotz meines Deliriums habe ich erkannt, dass es sich bei dem atemraubenden Gewicht auf meiner Brust um Tommi dieses Tier das bei uns wohnt, – Kater oder so was -, handelt, der meine hilflose Lage schamlos ausnützt. Unter größter Anstrengung  schmeiße ich ihn von mir und wende meinen geschundenen Leib vorsichtig, um ihn in eine halbwegs bequeme Lage zu hieven. An Aufstehen ist nicht zu denken.

Zehn Minuten später starte ich einen erneuten Versuch. Langsam ziehe ich die Lider nach oben, – eins nach dem anderen und warte ab. Gut, das geht. Nach einer weiteren Viertelstunde wage ich es, mich in eine sitzende Position zu ziehen, und da höre ich es. Micha telefoniert. Am Tonfall erkenne ich trotz meines desolaten Zustandes, dass es sich bei seinem Gesprächspartner um seine Mutter handelt. Den Schwiegerdrachen, wie ich sie heimlich nenne. Hm, mir doch egal. Ich bleib im Bett.

Nach ein paar Minuten kommt Micha ins Schlafzimmer. Er strahlt: „Mutti hat zugesagt.“ Als ich nicht reagiere, versucht er es mit: „Sie ko-hommt.“

„Wohin?“

„Na hierher, zu uns.“

„Wann?“

„Ella, jetzt reiß dich mal zusammen. Am Heiligen Abend natürlich. Du wolltest das doch unbedingt!“

Jetzt stehe ich senkrecht, was eine schlechte Idee ist, weswegen ich mich sofort wieder in die Horizontale begebe, bevor noch was rausläuft.

Mein Hirn läuft auf Hochtouren, wenn man das im Moment so nennen kann. Vage Gesprächsschnipsel des Vorabends umwabern mich, – kaum greifbar. Doch plötzlich hab ich’s wieder. In meinem Vollsuff hab ich gewettet, dass der Schwiegerdrache und ich ohne Probleme ein harmonisches Weihnachtsfest miteinander verbringen könnten.

Aber das kann Micha doch nicht ernst genommen haben. Ich meine, hey, er hat doch gesehen in was für einem Zustand ich mich befunden habe.

„Freust du dich?“ Micha sieht mich fragend an. Was soll man dazu sagen? Wortlos drehe ich mich um, ziehe, – wegen des immer noch ungewöhnlich grellen Lichts in unserem Schlafzimmer, die Decke über meinen Kopf und versuche die nächste Übelkeitsattacke wegzuatmen.

 

Der Tag X ist da, daran gibt es nichts zu deuteln. Und ich, ich werde da durch- und als Sieger hervorgehen. Ist doch klar, – klar wie Kloßbrühe ist das. Jedoch, es ist nicht zu leugnen – allein die Vorstellung gleich dem Schwiegerdrachen gegenüber zu stehen, lässt mich schwindlig werden.

Es ist nicht so, dass ich generell etwas gegen, sagen wir die Betagteren unter uns hätte. Nein, ganz bestimmt nicht. Ich doch nicht. Ich diskriminiere nicht. Niemals. Niemanden. Ob die Leute grün-lila karierte Haare haben, ob sie für eine One-way-Reise ins All sparen, – es ist mir gleich. Ich bin tolerant. Allen gegenüber. Definitiv. Aber der Schwiegerdrache ist ein Fall für sich. Eine harte Nuss. Die ich jedoch gewillt bin zu knacken. Komme was da wolle, – ich bin vorbereitet!

„Elvira, wie schön dich zu sehen!“ ruft Hannelore zuckersüß als ich ihr die Tür öffne. Bei der Nennung meines Taufnamens merke ich, wie sich meine Zehennägel aufzurollen beginnen. „E- l -l -i, – Hannelore, ich werde Elli genannt, weißt du doch.“ Im Garderobenspiegel sehe ich  mein Konterfei und erschrecke über dessen golumartige Züge.

„Ach, ha ja. Wir sehen uns so selten, da ist mir das einfach nicht so geläufig Elvira, äh Elli.“

Dann fasst sie mich genauer ins Auge und ihr Blick bleibt auf meiner unteren Körperhälfte hängen. „Bist du etwa, na ja, du weißt schon“ Mit den Händen malt sie sich eine Kugel vor den Bauch.

„Schößchenkleid“, murmle ich, – mein Lächeln bleibt eisern. Ich werde die Wette gewinnen, koste es was es wolle. „Darf ich dir aus deinem Mantel helfen?“

Das Essen wird zur Härteprüfung. Die Gans ist zu zäh für Hannelores alte Zähne, sie kann sie nicht beißen. Die Kartoffeln findet sie zu matschig, „mach dir nichts draus Elvira, das ist mir auch schon einmal passiert, und der Essig am Salat ist, naja, ein bisserl fad halt.“ Mein linkes Augenlid beginnt zu zucken, aber ich habe mich ansonsten voll unter Kontrolle. Zum Ausgleich biete ich ihr vom Rotkraut an. „Elvira, davon bekomm ich doch Ausschlag“, vorwurfsvoll sieht mich Hannelore ob dieses Lapsus an.  Ich soll mir aber keine Gedanken machen. Sie hat schon ein Wurstbrot gegessen, bevor sie aufgebrochen ist. In weiser Voraussicht, denn man weiß ja nie. Das fertig gekaufte Dessert wird dagegen gelobt. „Das kauf ich auch immer. Es schmeckt doch recht gut und ist ja auch sehr günstig, nicht wahr?“

Die Wette, die Wette, die Wette, – wie ein Mantra kreist es durch meinen Kopf.

Als wir unseren Standort zur Bescherung ins Wohnzimmer verlagern, schlägt sich Hannelore an die Stirn. „Ach, das darf doch wohl nicht wahr sein. Jetzt hab ich das schöne Geschenk für Elvira zu Hause liegen lassen. Aber zum Glück hab ich deins noch eingesteckt.“ Sie überreicht Micha einen Gutschein für ein pikfeines Restaurant. Überrascht und beinahe ein bisschen gerührt,  bin ich gleich etwas milder gestimmt, bis sie zu Micha sagt: „Da können wir beide mal schön essen gehen, wenn du mich das nächste Mal besuchen kommst.“

Äußerlich unbeeindruckt, ziehe ich siegessicher unser Geschenk aus dem Köcher und  überreiche es Hannelore. Ich werde nicht aus der Rolle fallen. Eine sündhaft teure, seltene, exotische Topfpflanze aus „Ottis Blumenland“, dem exklusivsten Blumenladen der ganzen Stadt.

„Sehr schön, vielen Dank.“ Einen Moment falle ich auf Hannelores Haifischlächeln herein. Offenbar habe ich tatsächlich ihren Geschmack getroffen. Dann kommt der Tiefschlag.

„Das ist praktisch, jetzt habe ich zwei davon. Letzte Woche habe ich mir auch so eine bei Aldi geholt. Im Angebot,- 3,99 €.“

Ich merke wie mir die Gesichtszüge entgleisen und rette mich aufs Klo. Die Wette, die Wette, die Wette.

Unbemerkt sehe ich auf die Uhr. Keiner hätte es gedacht, aber ich habe tatsächlich eine reelle Chance zu gewinnen, ja, ich habe den Sieg sogar schon beinah in der Tasche, als sie im Flur, bereits zum Gehen bereit, zum finalen Schlag ausholt: „Ach Micha, ehe ich’s vergesse. Letzte Woche habe ich Britta getroffen. Du weißt schon, die hübsche Blondine aus dem Nachbarhaus, die dir schon immer so gefallen hat. Ich habe sie für nächsten Mittwoch zum Kaffee eingeladen, also wenn du Lust und Zeit hast, bis du herzlich eingeladen. Nichts für ungut Elvira, äh Elli. Das ist nicht gegen dich, ganz bestimmt nicht, aber die beiden haben sich schon immer so gut verstanden. Das verstehst du doch, oder?“

Um es kurz zu machen. Ich habe die Wette verloren. Auf die näheren Umstände möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Aber Freunde werden Hannelore und ich in diesem Leben wohl nicht mehr.

Und was haben wir daraus gelernt: Wette nicht, nie, unter keinen Umständen, wenn du nicht Herr deiner Sinne bist!