Von Rada Grbic

die Nebelmaschine verströmte einen süßlichen Geruch. wie von Popcorn, gebrannten Mandel und Zuckerwatten vom Jahrmarkt. könnten das nicht auch einen umfangende Zuckerfäden sein, der Nebel, der einen umhüllt, einfängt. nur Babsi bemerkte davon nichts.

 

die Nebelmaschine stand unter ihrem Lehrerinnenstuhl im Klassenzimmer und arbeitete auf Hochtouren. der Nebel war ihr so natürlich geworden, dass sie sich bei der Korrektur der Klassenarbeiten nicht davon ablenken ließ. Babsi hatte sich von ihren Schülern erklären lassen, dass es sich um eine Bodennebelmaschine handelte, die sie eigens für die Fastnachtsdisco am heutigen Vormittag umgebaut hatten.


„die Wetterphänomene spiegeln die innere Befindlichkeit des Helden.“

las sie an einer Stelle der, vor ihr auf dem Pult liegenden, Klausur. die Schüler nannten sie Frau Werther und es war ihr fast so recht wie
„Captain!“
oder eben lieber. war es doch nicht so hierarchisch und sie versuchte mit den Kindern auf freundschaftlicher Ebene umzugehen.


„der Regen kündigt Unheil an.“
hatte sie damals in einer anderen Klausur, es ging um einen Krimi, gelesen. in der Klasse wurde Fastnacht gefeiert mit veganen Snacks, anti-alkoholischen Drinks, Musik, Tanz und eben der Nebelmaschine zu ihren Füßen.


Nebel wirkt geheimnisvoll bis unheimlich. beim Autofahren kann einem Angst werden. Alleine und zu Fuß im dichten Nebel – nein, das hatte Babsi so noch nicht erfahren. einen leichten Nebel, der sich schnell auflöst, den kannte sie.

„was habe ich?“
fragte Naomi in ihre Gedankenverlorenheit hinein und blickte sie durch den weißen Rauch an. Babsi hielt kurz die Hand vor den Mund und blickte, wie es ihre Art war, knapp an dem Mädchen vorbei:
„am Aschermittwoch bekommt ihr die Arbeiten und Noten.“

sagte sie dann und hätte sich fast geräuspert, obwohl sie gar keinen Frosch im Hals hatte.


„Naomi, komm. das ist doch das Lied…“
und da saß Babsi wieder allein auf ihrem Stuhl, an ihrem Pult und mit der Nebelmaschine zu ihren Füßen. warum hatten die Schüler die Bodennebelmaschine ausgerechnet fast unter ihren Stuhl gestellt? wunderte sich Babsi kurz. um sich sofort wieder der Korrektur der Klausuren zu widmen. die Arbeit würde gut, so hatte sie mit den Schülern gearbeitet, ausfallen. und da war sie auch ein bisschen stolz. mehr auf die Kinder als auf sich selbst weniger.


am Aschermittwoch würde sie zudem was Süßes für die gesamte Klasse ausgeben. vielleicht sogar einen Kuchen backen – schließlich war ihr Geburtstag und die Schüler wussten davon. manchmal fragte sie sich, woher. sie sie so gut kannten. Babsi war eher zurückhaltend, besonders was Persönliches anging. und zudem hatte sie, trotz des Jobs als Lehrerin für Deutsch und Ethik, ihre Schüchternheit nie ganz ablegen können.

 

sie würde Krapfen ausbacken. in Fett. tausend Krapfen würde sie mitbringen und 300 Energydrinks in einer Kühlbox, die man mittels eines Zigarettenanzünders im Auto anschließen konnte. ein Glück, dass sie nicht rauchte. früher gelegentlich. jetzt gar nicht mehr und niemals süchtig nach dem Zug an einer Zigarette war sie gewesen.


als sie aufstand, sah sie, dass Kreide an ihrem Stuhl klebte. sie strich sich mit der flachen Hand über die Gesäßtaschen der Jeans.
es klingelte. die Schüler würden heute zur Pause nicht nach draußen gehn. Nathan öffnete das Fenster. es war warm geworden.

 

sie dachte an Nebelgedichte und die Vereinsamung, die darin oft beklagt wurde;sie sehnte sich geradezu nach dem Alleinsein. warum, wusste sie gar nicht so genau. wobei sie eigentlich nur das Alleinsein kannte und sich bisher noch nie einsam gefühlt hatte. das gesellige Beisammensein von Menschen war ihr ein Graus. sie versuchte aber, ein gesellschaftliches Leben, nach und neben der Arbeit, zu führen. wenn sie, so wie heute, mit vielen Menschen in einem Raum war, fühlte sie sich doch als wäre sie ganz für sich und von den anderen abgeschlossen.

 

sie hatte sich als Charlie Chaplin als brauner Diktator verkleidet. zuerst hatte sie überlegt, ganz authentisch sich den Damenbart als Hitlerbärtchen wachsen zu lassen. jedoch war sie, schon als nur erst einmal ein Schatten zu sehen war, davon abgekommen. die Schüler waren Polizisten in den unterschiedlichsten Variationen. wobei einige Mädchen auch als Prinzessinnen gingen. obwohl sie doch aus dem Alter schon heraus waren. Ritter gab es keinen, aber noch einen Zauberer, der sich aber selbst
„Entzauberer.“
nannte.


am Aschermittwoch war ihr 28. Geburtstag. sie würde ihn nicht feiern. Planung und Vorbereitung solcher Feierlichkeiten hielten sie oft stunden- und tagelang wach. sie konnte dann vor Aufregung nicht einschlafen. sie würde die wenigen Freunde, die sie hatte ,irgendwohin irgendwann einmal einladen. vielleicht ins Kino. im Sessel sitzend einen poetischen Krimi schauen. Cola light trinken. nicht so viel reden. das würde Babsi wohl am meisten Freude bereiten.