Von Jochen Ruscheweyh

„Ist dir auch so warm?“, fragte Erich und tupfte sich die Stirn mit einem Stofftaschentuch trocken. Werner Scholz nickte: „Bei den Temperaturen kannst du nur eins machen: ölen, ölen und nochmal ölen, sonst setzen sich die Mimiken fest.“ Wie zum Beweis führte er die Schweizer Lok der Baureihe Ce 6/8, das sogenannte Krokodil über das Aufgleis in die Spur, drehte den Regler des Transformators hoch und seufzte einmal kurz auf, als die Lok mit einem metallischen Schnurren ihren Dienst aufnahm.

„Musik. das ist Musik in meinen Ohren, Werner“, sagte Erich. „Und worauf ich mich schon die ganze Woche freue: das Mett-Krokodil!“ Er hob den transparenten Plastikdeckel von der Servierplatte, auf der sich eine Nachbildung der Lok befand, die Werner soeben gewartet hatte, die Räder und Stromabnehmer liebevoll aus Zwiebeln gearbeitet.

„Auch wenn du dir wie immer viel Mühe gegeben hast, ganz ehrlich? Im Moment ist mir nicht nach rohem Hack“, räumte Heinz Popanda ein.

„Ein Clubtreffen ohne Mett-Krokodil müsste doch eigentlich gegen unsere Clubsatzung verstoßen, zumindest aber gegen meine Vorstellung von einem schönen Nachmittag“, sagte Erich in Richtung Heinz, zog einen Flunsch und bückte sich, um Fleischmann den Bauch zu kraulen, da Werners Cockerspaniel sich auf den Rücken geworfen hatte und Erich sein haariges Gemächt entgegenstreckte.

„Kein Tropfen Regen“, überlegte Heinz Popanda laut.

„Im REWE war schon das Seltina mit Kohlensäure knapp gewesen. Als wenn der Leibhaftige“ – bei diesem Wort zuckte der Spaniel zusammen und verzog sich unter beständigem Knurren unter die Werkbank-  „ach, entschuldige, Kumpel. ich tu da nie dran denken. Als wenn L alle Wolken weggeatmet hätte und jetzt luftanhaltend in seiner …“ – Erich hielt sich beide Hände wie einen Trichter vor sein Gesicht und formte mit den Lippen lautlos das Wort Hölle, woraufhin Fleischmann aufheulte.

„Konnte der calvinistische Pater aus Lüttich, dem Fleischmann vorher gehört hat, auch Gebärdensprache?“, fragte Heinz Popanda.

„Nein“, entgegnete Werner, „Blindenschrift.“

„Ach, was?“, antwortete Heinz Popanda.

 

Bei Anbruch der Dunkelheit wieder zu Hause angekommen fand Werner Scholz seine Frau Hilde auf dem mit Lampions spätsommerlich illuminierten Balkon vor. „Ein Skandal ist das! Meine geliebten Primeln verdorren und was macht Frau Merkel? Sitzt in ihrem feinen Republikpalast und lässt sich von Herrn Seehofer auf der Nase herumeiern!“

„Hilde, Schatz, denk an deinen Blutdruck. Und sag nicht Republikpalast, der ist ein Relikt aus DDR Zeiten.“

„Das ändert nichts daran, dass sie nichts gegen die Trockenheit unternimmt. Ich habe falschen Hasen gemacht, willst du welchen?“

„Sehr gerne. Dein falscher Hase ist immer ein Gedicht, egal, was wir für ein Wetter haben.“

 

***

 

Werner und Hilde saßen gerade am Tisch, als Werner plötzlich eine Leichtigkeit des Geistes verspürte, die er so nicht von sich kannte. Die Flasche Pfälzer Federweißer vor ihnen begann ein gleißendes Licht zu verströmen, bevor sie um- und zu Boden fiel, erstaunlicherweise jedoch nicht zerbrach, sondern stattdessen die Silhouette von Cockerspaniel Fleischmann an die gegenüberliegende Wand projizierte. „Sein Schatten sieht gar nicht aus wie ein Hund“, stellte Hilde mit verlangsamter Stimme fest, „aber wonach dann?“

„P-F-E-R-D?“, quälten sich die Vokale und Konsonanten aus Werners Mund.

Beide starrten noch einen Moment auf die Wand, dann rollte die Flasche wieder Richtung Tisch, hüpfte das Tischtuch hinauf, positionierte sich neben Salz- und Pfefferstreuer und machte damit weiter, womit sie vor nicht ganz einer Minute aufgehört hatte: eine Flasche zu sein und Federweißer mit ihren Glaswänden zu umschließen.

„Ich bin ja nicht so für PSI, aber das war ein Zeichen!“

„M-E- ins-t du wirklich?“, fand Werner in seinen Rhythmus zurück.

„Ganz sicher! Du fährst gleich morgen in den Baumarkt und holst Bambusstäbe und Jute-Bahnen. Überleg doch mal FEDERweißer und MUSTANG! Er will, dass du ein Tipi baust.“

Werner fragte: „Wer denn?“

„Was weiß ich? Gott, Jesus, Karl May! Lass deine Fantasie doch mal etwas spielen, keine Ahnung, mit wem du alles im Clinch liegst.“

Werner stöhnte: „Hilde, ich habe über 40 Jahre bei den Stadtwerken geknüppelt, fast meinen Arm verloren, als ich mich mit – Verzeihung, Fleischmann – dem Teufel angelegt hab, ich hatte eine merkwürdige Urin-Störung, und ich habe deine Entführung verhindert. Ich kann die Welt nicht noch einmal retten. Ich bin alt … und müde.“

Hilde strich ihre Schürze glatt. Dann explodierte sie: „Also, das ist mal wieder typisch, ich steh seit unserer Hochzeit am Herd, sauge und putze diese Wohnung, erdulde das ganze Okkultimbrorium um deine Person, dein kindisches Modellbahnhobby, deinen furzenden Hund und wenn ich einmal einen Wunsch habe, dann ist Essig?“

„Hilde Schatz …“

„Nein, nicht Schatz.“

„Gut, Fleischmann und ich fahre morgen in den Baumarkt und ich errichte dir dieses Ding im Garten.“

 

***

 

Das Ding ähnelte eher einer Schwitzhütte als einem Indianerzelt, als es am nächsten Nachmittag stand. „Und jetzt?“, fragte Werner.

„Es wird Zeit für deinen Regentanz. Und zieh deine Sandalen und die Tennissocken dabei aus“, eröffnete ihm Hilde. Mit diesen Worten nahm Hilde ihre XXL Tupperschüssel Maximilian, schlug gegen den Deckel und stieg in einen He-Ja-Umtata-Gesang ein.

Mit zögernden Bewegungen tanzte sich Werner um das Tipi ein, während Fleischmann im Schatten eines Johannisbeerstrauches an einem Rinderohr knabberte.

Nach drei Stunden brannte die Sonne noch immer und das einzig Nasse war der Schweiß, der unter Werners Achseln herströmte

 „Das bringt nichts, du musst irgendetwas falsch machen!“, monierte Hilde. „Versuch es mal andersrum!“

Werner begann erneut, sich zu Hildes geschlagenem Takt zu bewegen, nun jedoch gegen den Uhrzeigersinn um das Zelt.

Wenige Minuten später kam eine leichte Brise auf. Fleischmann hob den Kopf, trottete in Richtung Apfelbaum und urinierte an den Stamm. Am Horizont zeigten sich leichte Quellwolken.

„Entschuldigen Sie, gnädige Frau!“, kam es von der Straße hinter dem Gartenzaun.

 „Oh, was für gepflegter Mann in seinem adretten blauen Anzug“, säuselte Hilde vor sich hin, während sie ihr Haar richtete, „ich gehe besser mal hin, am Ende hat er sich noch verfahren.“

Der Fremde stieg von seinem Bonanza-Rad und öffnete die Arme, einladend, als begrüße er eine alte Bekannte.

Werner rief seiner Frau nach: „Warte, Hilde, hier stimmt was nicht.“ Und auch Fleischmann begann zu jaulen, als gäbe es kein Morgen.

„Sie ruinieren sich noch Ihre Frisur durch diese unnütze körperliche Anstrengung. Kümmern Sie sich nicht um das Wetter. Das war immer so. Mal regnet es, mal schneit es und mal scheint die Sonne. Der Klimawandel ist eine Erfindung gescheiterter Wall Street Banker.“

Hilde fiel schluchzend in die Arme des Fremden. Er drückte sie an seine Brust und erklärte: „Schon bald werden deine Primeln in neuer Kraft erblühen.“

„Hilde!“, herrschte Werner seine Frau nun an, „das ist ein Trick, Gerhard Schröder wäre auch nicht auf einem Kinderrad an deine Gartenpforte gekommen, sondern hätte den politischen Diskurs im Bundestag gewählt!“

Im selben Moment nahm der sonst eher träge Fleischmann Anlauf, sprang über den Zaun und verbiss sich rückwärtig in der Anzugjacke des Fremden, bis plötzlich der Anzugstoff einriss und mit der Sprungkraft einer gebogenen Feder der feuerrote Schwanz des Teufels hervorschnellte, dessen gezackte Spitze wütend gen Himmel zuckte. Der so Entlarvte hob die Arme und stieß einen kehligen Laut aus. Hilde taumelte gerade so weit zurück, dass Werner sie packen konnte. Fleischmann ließ vom Anzug des Teufels ab und raste stattdessen in einem bizarren Zick-Zack-Kurs um den Herrscher der Unterwelt. „Er rennt einen Drudenfuß und bannt ihn damit in den Begrenzungen des Zeichens!“, rief Werner, während die ersten Tropfen vom Himmel fielen. Mit quietschenden Reifen hielt ein silbergrauer Opel Vectra vor dem Garten und Erich sprang heraus. „Mein Gott, ich bin sofort gekommen, als ich davon gehört hab“, rief er Werner zu.

„Wie hast du denn davon gehört?“, erwiderte Werner, die weggetretene Hilde im Arm haltend.

„Ja“, wunderte sich Erich, „jetzt, wo du es sagst, tu ich mich das auch fragen.“

„Vergiss es“, stieß Werner hervor, „und konzentrier dich auf das Mächtigste, was du dir vorstellen kannst, es wird dann kommen und den Teufel vertreiben.“

„Woher weißt du das?“, fragte Erich.

„Woher wusstest du …?“, gab Werner zurück.

„Verstehe!“, lächelte Erich, führte die Hände an seine Schläfen und schloss die Augen.

Zum Regen mischte sich ein dunkles Grollen, das eine beängstigende Intensität annahm.

„Oh, mein Gott“, brachte die wiedererwachte Hilde hervor.

Als Werner ihrem Blick folgte, entdeckte er das überdimensionale Mett-Krokodil am Horizont, das sich rasch über Bäume, Zäune und Vorgärten vorwärts walzte.

Der Teufel schnellte herum, konnte sich aber nicht aus dem Drudenfuß befreien, den Fleischmann unaufhörlich um ihn in den vom Regen aufgeweichten Boden hineintrampelte.

Werner trat einen Schritt auf den Gehörnten zu: „Gib uns unser Wetter zurück und verzieh dich in deine Hölle!“

„Niemals, eher …“

„Eher was?“, fragte Werner.

„Gehe ich in die Schweiz ins Exil.“

„Von mir aus, Fleischmann: Aus und bei Fuß!“

In dem Moment, als der Cockerspaniel von ihm abließ, erfasste das nahende Mett-Krokodil den Teufel, drehte bei und verschwand in der aufziehenden Abenddämmerung.

„Kann ich jetzt aufhören?“, fragte Erich mit immer noch geschlossenen Augen und an die Schläfen gepressten Händen.

„Ja, mein Freund“, lachte Werner. „Wenn wir dich nicht hätten und dein Zwiebelmett …“

 

***

 

In jenem Herbst regnete es wieder regelmäßig und ausreichend, der Rheinpegel hob sich. Heinz Popanda hängte einen Jahresplaner in seiner Werkstatt auf, in dem die drei Hobby-Eisenbahner seit jenem Tag so akribisch Wetterphänomene dokumentierten wie sie ihre Loks ölten.

In Zürich hingegen braute sich etwas ganz anderes zusammen, aber das ist eine andere Geschichte.