Marianne Apfelstedt

Meine Gedanken schwirren wie Bienen im Stock. Leise schleiche ich mich zur Eichentür und lege zitternd die Hand auf den geschmiedeten Türdrücker. Kein Ton durchdringt das massive Holz. Was wird mich im Thronsaal erwarten? Es ist still im Raum. Ich treffe die längst fällige Entscheidung und öffne die Tür. Die Fackeln werfen tanzende Schatten an die Wände und vor dem Kamin liegen wie immer die grauen Doggen. Borum öffnet seine Augenlider einen Spalt. Als er mich erkennt, zuckt er mit der Rute, schließt die Augen erneut und liegt wieder wie aus Stein gemeißelt vor dem wärmenden Kaminfeuer.

 

„Kommst du schon wieder um mit mir zu streiten Tochter?“, donnert König Farin auf seinem Thron.

 

Die donnergrollende Stimme täuscht mich nicht. Seine Augen verraten ihn wie immer, sie mustern mich traurig. Ich verbeuge mich und schaue ihm fest ins Gesicht. „Mein König ich habe seit Monaten die gleichen Träume, deinen Sohn Xerbion mit Ketten an Stein gefesselt. Ich werde ihn retten und das gestohlene Zauberbuch zurückbringen, um meine Ausbildung zur Magyr zu vollenden. Ohne diese Zauber wird das Korn auf den Feldern verdorren. Wir brauchen eine reichlich bemessene Ernte, damit dein Volk im Winter nicht hungert.

 

„Zorya, du bist nur ein graziles Mädchen. Xerbion mein Sohn hat das Buch nicht gefunden. Welche Aussicht hast du auf Erfolg?“

 

„Ich webe Magie und durch hartes Training sind meine Muskeln gestählt. Mit dem Bogen treffe ich immer ins Schwarze. Beim Waffenmeister habe ich ein Kurzschwert beschafft. Seit Monaten übe ich mit den Knappen, im Zweikampf nehme ich es mit jedem von ihnen auf. Wo sie auf Kraft und Größe setzen, bin ich flink und wendig wie ein Hase im Feld. Bis sie ausholen steche ich schon zu. Vertraut mir! Ich bringe euch beide zurück, den Thronerben Xerbion und das Zauberbuch.“

 

„Du bist nicht nur meine Tochter, sondern die nächste Magyr des Reiches. Ich lasse dich nicht ohne Schutz ziehen. Wenn du schon keine Soldaten an deiner Seite duldest, bestehe ich darauf, dass du dir einen Gefährten mitnimmst der dir an Stärke und Jahren überlegen ist.“

 

„Ich erfülle dir deinen Wunsch mit Freuden. Einen Gefährten werde ich mir gerne suchen.“ Mit einer hastigen Verbeugung verabschiede ich mich, mein Grinsen vermag ich kaum zu verbergen. Vater hat nicht erwähnt, dass er einen menschlichen Gefährten meint. Morgen werde ich in den Borkenwald aufbrechen.

 

***

 

Genau vor einem Jahr und zwei Tagen im Vorraum des Nordturms, kurz vor Sonnenaufgang. In der Nacht bei Neumond als das Schloss in tiefem Schlaf lag, entrollte sich der Schicksalsfaden. Auf leisen Sohlen schlichen vermummte Gestalten durch das nächtliche Schloss. Die drei Kapuzenträger versammelten sich vor einer knorrigen alten Eichentür, die fest verschlossen war. Der Erste zeichnete Runen an die Tür, der Zweite erweckte sie zum Leben, der Dritte nahm die Kraft der Zeichen verband sie mit seinen Gedanken und schmolz mit der gesammelten Energie des Zauberspruchs die schmiedeeisernen Angeln. Sanft wurde die Tür herausgehoben und im Raum abgelegt. Als die Bediensteten im Morgengrauen erwachten, wurde der Nachtwächter entdeckt.

 

„Sprich Wächter, wo ist das Buch?“, forderte Xerbion. Er drückte dem Mann einen Becher gewürzten Wein in die Hände und kümmerte sich nicht weiter um die Magd, die versuchte das getrocknete Blut von Kopf und Hals zu waschen. „Wie immer drehte ich zu jeder vollen Stunde meine Runde, aus allen Richtungen der Schießscharten sah die Nacht still aus. Ich bemerkte nichts Ungewöhnliches. Zuletzt gelangte ich an den Nordturm. Dort sah ich die aus den Angeln gerissene Tür und drehte mich um, um Alarm zu schlagen, als mich etwas seitlich am Kopf traf und mir das Licht auslöschte.“

 

Der Sohn des Königs scharte einen Fährtenleser und zwanzig Soldaten um sich. Zur Mittagszeit nahmen sie die Verfolgung der Diebe auf. Die Spur führte sie an den Rand des Borkenwaldes.

 

***

 

Mein neuer Gefährte ist Vaters Lieblingshengst Fasuld. Das große Tier ist kräftiger als ich, somit habe ich seinen Wunsch fast erfüllt. Vor mich hinträumend lasse ich Fasuld am lockeren Zügel dahintraben, ohne auf den Pfad zu achten. Der Traum der letzten Nacht hat mir keinen Weg gezeigt, aber ich vertraue darauf, dass ich die Spur meines Bruders im Borkenwald finde. Neben uns plätschert ein Bach, ich steige ab und gönne Fasuld eine Verschnaufpause und kühles Wasser. Vorsichtig nähere ich mich dem Farn zu meiner Rechten, der seltsam zittert. Mit dem Schwert schiebe ich langsam die dunkelgrünen Wedel zur Seite. Ein verletzter Rabe sucht den Ausgang aus dem dichten Grün. Ein Flügel hängt herunter, mit dem anderen steckt er im Farn fest. Er dreht den Kopf und der Blick der Obsidian schwarzen Augen dringt tief in meine Seele. Die Rune, die mir direkt nach der Geburt auf den linken Unterarm tätowiert wurde, verfärbt sich rot. Die Linien zerfließen und mein Arm brennt höllisch. Als ich den Schmerz nicht mehr ertrage, ergebe ich mich der Schwärze. Beim Erwachen spüre ich erst zart dann immer kräftiger ein Klopfen an meiner Brust.

 

„Mach die Augen auf Mädchen!“

 

Ich blinzle und blicke in ein dichtes Blätterdach über mir. Da war doch eben eine Stimme. Ruckartig setze ich mich auf, um mich umzublicken.

 

„He, Vorsicht!“, das flatternde Etwas hüpft auf einen Stein und wir beäugen uns misstrauisch auf Augenhöhe.

 

„Hey, du sprichst? Ich habe Stimmen gehört, als ich aufgewacht bin. Der Schmerz! Was hast du entfacht?“

 

„Du hörst mich?“, die Krähe taxiert mich und ich habe das Gefühl, dass ihr nicht gefällt, was sie sieht. „Zeig mir mal deinen linken Unterarm.“

 

„Wie stellst du das an? Dein Schnabel bewegt sich nicht und trotzdem höre ich deine Stimme.“

 

„Du bist eine junge Magyr. Du hast derzeit noch Eierschalen in den Haaren.“

 

„Ich habe erst wenig magische Kräfte. Meine weise Magyr ist letzten Winter gestorben. Ich hatte nicht die Macht sie zu heilen. Jetzt ist die Ausbildung unvollendet.“

 

„Wie alt bist du?“

 

„Fast sechzehn.“

 

„Beim heiligen Graubart, ausgerechnet so ein Küken ist mein Seelengefährte!“, die Krähe verdreht die Augen. „Du hast keine Ahnung, zeig mir deinen Arm.“

 

Dieser Rabe kann mir mal gestohlen bleiben, so ein eingebildeter Zausel! „Wenn du mir keine Antworten gibst, suche ich eben nach meinem Pferd.“

 

„Du meinst sicher den Hengst des Königs, der lässt sich da drüben das Gras schmecken. Den Raben und den Zausel nehme ich dir übel! Ich bin Gasula Corvus aus dem Haus der Silberkrähen und durch die aktivierte Rune bis ans Ende unserer Tage dein Seelengefährte. Jetzt hör mir zu, du bekommst deine erste Lektion. Du hast jede Menge zu lernen Zorya Königstochter, des Farin. Schau auf den Arm. Die Rune hat sich verändert, daher rührt dein Schmerz. Dort am Bach wächst ein Kraut, das aufgelegt deine Haut heilt.“

 

Ich kippe nach hinten, weil es mich vor Lachen durchschüttelt, „Geschwätzige Krähe? Der Name passt ausgezeichnet zu dir.“ Als ich die Tränen fort blinzle, blicke ich auf Zausel, äh Corvus, der mir mit wütenden schwarzen Augen entgegenblickt.

 

„Törichtes Mädchen, Gasula Corvus und nicht Gerrula Corvus! Es genügt durchaus, wenn du mich mit Gasula ansprichst. Jetzt konzentriere dich, nicht laut reden ich höre deine Gedanken und du wirst es lernen. Denke und ich werde es verstehen.“

 

‚Pah, so ein Klugscheißer!‘, denke ich versuchsweise.

 

„Du gibst mir weiter kindische Namen? Wie wäre es mit Sumpfhuhn für dich, oder wir heilen Arm und Flügel und ziehen los, um deinen Bruder und das Zauberbuch zu suchen?“

 

Zerknirscht setze ich mich auf und schiebe umständlich den Ärmel nach oben. Verblüfft halte ich die Luft an, anstelle der Rune ziert der Kopf eines Raben meinen Unterarm.

 

„Es ist eine Krähe und kein Rabe, das sieht man doch!“, empört sich mein Lehrmeister.

 

„Wo finde ich diese Blätter Gasula?“

 

„Ich zeige sie dir gerne, sie sind drüben beim Bach. Kennst du Heilrunen, für Knochenbruch und Prellung?“

 

„Für deinen Flügel? Das bekomme ich hin. Bei den Kämpfen mit den Knappen habe ich schon oft Wunden versorgt. Sind die Runen bei Mensch und Tier gleich?“

 

„Knochen ist Knochen. Konzentriere dich und zeichne die Rune exakt.“

 

Ich schaue mich um, ein kleines Stück weiter endet das Moos und macht blanker Erde Platz. Achtsam zeichne ich mit der Schwertspitze die Heilrune. Dann bündle ich meine Gedanken und die Kraft der Rune auf die Krähe, erfühle die zarten Knochen und heile sie. Gasula stöhnt auf, als sich alles zusammenfügt. Vorsichtig bewegt er den Flügel auf und ab.

 

„Ausgezeichnet! Du wirst eine mächtige Heilerin werden. Komm mit, ich zeige dir das Balsamkraut für dein Mal.“

 

Das Balsamkraut wird gekaut und als Brei auf meinen Arm gepackt. Der Pflanzenbrei riecht aromatisch und kühlt die gereizte Haut. Ich teile ein trockenes Stück Brot mit Gasula und bemühe mich meine Gedanken nur auf Erfreuliches zu lenken, das für Krähenohren angemessen ist.

 

Plötzlich fliegt Gasula wie ein Pfeil davon, „Schnell aufs Pferd Krähentochter“.

 

Seine Stimme ist so eindringlich, dass ich die Gefahr fühle. Ich eile zu Fasuld und schwinge mich aufs Pferd. Bevor ich mich orientieren kann ist meine Krähe zurück, setzt sich vor mich in den Sattel und treibt mich an, „Gib ihm die Sporen, vertrau mir und wehre dich nicht!“ Ich spüre, wie mein Geist von etwas Starkem zur Seite gefegt wird und Gasula die Führung übernimmt. Der wilde Ritt endet in einer Höhle. Ich führe das Pferd in den hintersten Winkel.

 

„Verstecke dich hinter der Tür am Ende der Höhle. Ich werde in Erfahrung bringen, welche Reiter in wilder Hast durch den Borkenwald galoppieren“, erreicht mich Gasulas Stimme als er davonfliegt.

 

Fasuld und ich dringen tiefer in die Höhle vor. Langsam gewöhnen sich unsere Augen an die Düsternis. Vorsichtig taste ich mich an der groben Felswand entlang. Meine Finger übernehmen mehr und mehr die Führung, bis sie auf glattes Holz treffen. Wir verharren an der Tür. Nichts ist zu hören. Ich öffne die Tür und trete in den stillen Raum dahinter.

 

 

V 3