Von Daniela Seitz

Es war still im Raum. Ich traf die längst überfällige Entscheidung und öffnete die Tür. Entfloh der Teamleiterfeedbackrunde, für die mein Team zusammen mit einem Psychologen in dem Raum zusammensaß, um mir eine ehrliche, aber faire Rückmeldung über meinen Führungsstil zu geben.

Svenja hatte sich ganz schön in Rage geredet und war auch von dem Psychologen nicht zu bremsen gewesen. Da war es wohl besser uns allen eine Pause zu gönnen. Insbesondere mir. Draußen vor dem Gebäude füllte ich meine Lunge mit Luft. Mein Atem bildete aberwitzige Kringel, die sich der strahlenden Sonne in klirrender Kälte entgegenstreckten, um dann ohne weitere Spuren zu hinterlassen in den Himmel entschwanden.

Schlechtes Timing nennt man das wohl, wenn ein Geheimnis, wie meine Affäre mit Silvana, in solche einer dämlichen Feedbackrunde gelüftet wird.

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„Svenja, Ihnen ist schon klar, dass Sie gerade zu weit gegangen sind“, fragte der Psychologe.

„Warum? Weil ich es vor allen gesagt habe, statt hinter verschlossenen Türen die Wahrheit zu vertuschen? Ich habe ein Foto als Beweis“, entgegnet Svenja bissig.

„Svenja, alle wissen doch, dass du gute Arbeit leistest. Nimm dir das doch nicht so zu Herzen“, versuchte Carina Ihre Kollegin zu beschwichtigen.

„Du hast leicht reden Carina. Schließlich musstest nicht du die Mehrarbeit auffangen, weil Silvana immer weg war. Aber ich bin Silvanas Vertretung und habe mir hier Nächte um die Ohren geschlagen. Für was, bitte? Sag es mir!“

Svenjas Augen blitzten gefährlich. Sie war auf Kriegspfad. Sie hatte mehr als ein Jahr lang die Arbeit sowohl in Silvanas als auch in ihrem eigenen Bereich erledigt. Alleine! Ohne irgendeinen Ausgleich zu bekommen. Zu sehen, dass Silvana mit dem Teamleiter eine Affäre hatte und beider Abwesenheiten nicht zufällig zusammengefallen waren, hatte ihr die Augen geöffnet. Und heißen Zorn entfacht.

„Im Übrigen hat sich Silvana nicht über deine Arbeitsweise beschwert, Carina. Ich stand beim Teamleiter, der alles was sein Liebchen verzapfte, für bare Münze nahm und wurde für Fehler zusammengestaucht, die ich gar nicht gemacht hatte. Mir wurde keine Chance gelassen erst nachzusehen, wo der Fehler liegt und dies dann auch zu erklären, das weißt du genau!“

Heiße Tränen brachen sich auf Svenjas Gesicht Ihre Bahn. Hinterließen eine verschmierte, schwarze Spur, die Svenja entnervt wegwischte. Sie schnappte sich ihre Flasche mit Wasser und trank ohne abzusetzen die Flasche leer. Sie schwor auf den Trinkvorgang, wenn es darum ging den Heulreiz zu beschwichtigen und ihre Halsmuskulatur so zu entspannen, dass der Reiz wie von Zauberhand verschwand und sie ohne zu heulen weiterreden konnte.

„Silvana hat mich in Verruf gebracht, damit ich mich nicht um ihre Angelegenheiten kümmere. Wenn ich nicht mit meinen sogenannten Fehlern beschäftigt gewesen wäre, hätte ich mich ja womöglich zuerst über ihre Arbeitsweise beschweren können, da es ihre Fehler waren. Hätte womöglich die beiden nicht erst zusammen in ein Hotel gehen sehen müssen, sondern hätte auch so die richtigen Schlüsse gezogen. Und dem wollte sie wohl zuvorkommen. Angriff ist halt die beste Verteidigung“, sinniert Svenja.

„Svenja, das glaubst du doch nicht wirklich“, rief Carina entsetzt.

„Das sind schwere Anschuldigungen, die sie sich, schon dem Betriebsfrieden zuliebe, gut überlegen sollten“, erklärte der Psychologe salomonisch.

„Ach ja? Wirklich? Was ist mit meiner Beurteilung, die aufgrund von Silvanas Beschwerden so schlecht ausfiel, dass ich erst bei der nächsten Beurteilung in zweieinhalb Jahren wieder eine Chance auf eine Beförderung habe“, fragte Svenja.

Ihre Stimme war so eisig, dass die Temperatur im Raum schlagartig um 20 Grad fiel. Sechzehn Augenpaare warteten auf den Donnerschlag, den dieser Tonfall unvermeidlich ankündigte. Sechzehn Menschen fragten sich gleichzeitig, ob Svenja auch so unverblümt reden würde, wenn Silvana anwesend wäre.

„Dem Betriebsfrieden zuliebe, sollte ich als meine Personalentwicklung drei Jahre nach hinten schieben? Obwohl nicht ich den Betriebsfrieden mit einer Affäre gestört habe? WER GIBT MIR DIESE DREI JAHRE WIEDER? WER?“, brüllte Svenja die letzten Fragen.

Es war still im Raum. Svenja glaubte ein Deja Vu zu haben. Auch sie traf nun die längst überfällige Entscheidung, sammelte ihre Sachen ein und öffnete die Tür. Sie blickte zurück.

„Ich gehe damit jetzt zum Personalrat. Es ist eine Unverschämtheit, was Silvana und der Teamleiter hier mit mir abgezogen haben, nur, weil ich als Silvanas Vertreterin der Wahrheit zu nahe war.“

Die Tür knallte hinter ihr.

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Ich war es leid, meinem Atem und den verlöschenden Luftkringeln zuzusehen. Zurück wollte ich aber auch noch nicht. Svenja hatte ein Temperament gezeigt, dass ich ihr nie zugetraut hätte.

„Willst du auch eine?“, fragte mich mein Kollege Alex und hielt mir eine Zigarette hin.

Eigentlich hatte ich aufgehört. Silvana mochte keinen Raucher küssen. Aber Alex war nicht nur mein Jugendfreund, mit dem ich zusammen das Rauchen und mehr entdeckt hatte, er war auch beim Personalrat. Und mit dem würde ich mich wohl unweigerlich auseinandersetzten müssen, so wie Svenja drauf war.

„Ja, danke“

Während Alex mir die Zigarette anzündete, überlegte ich, ob ich ganz intuitiv in die Raucherecke geflohen war. Der heimlichen Schaltzentrale einer jeden Firma. Hier trafen sich team- und bereichsübergreifend die Urheber für den Flur Funk. Gerüchte wurden hier geboren, verfeinert und in die Teams getragen. Ich musste verrückt gewesen sein, mir das Rauchen abgewöhnen zu wollen.

„Mieser Tag?“

Alex konnte mich lesen wie ein Buch. Wir waren alleine. Ich nahm einen tiefen Zug. Noch einen und noch einen, blies meinen Rauch in den von Alex. Doch der Rauch vermischte sich nur, statt wie früher einen Kreis zu bilden, der sich durch einen bereits gebildeten Kreis drückte. Alex und ich fingen gleichzeitig an, über meine kläglichen Versuche zu lachen. Und ich konnte wieder klar denken.

„Richtig mieser Tag. Kannst du mir einen Gefallen tun?“

Svenja wollte Krieg? Den würde sie bekommen. Noch war die Affäre nicht bewiesen. Und Svenja hatte außer Acht gelassen, dass das Wie man die Dinge anging, einzig zählte. Ich hatte sechzehn Augenzeugen für einen Auftritt, der bestenfalls hysterisch war.

„Erzähl, worum geht’s?“

 

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