Von Anne Zeisig

Es ist still im Raum.

Ich drapiere die Teelichter aus dem IKEA-Möbelhaus zahlreich auf die Fensterbänke.

Einerseits wegen der Romantik und andererseits sind die Deckenlampen noch nicht angebracht.

 

„Elektrik ist aber wirklich Männersache“, meint meine Liebste, die taffe und emanzipierte Schreinerin. „Plus, Minus und Erde, oder Phase anzuschließen, erfordert männliche Filigranität.“ 

 

Klar, ist es ein Risiko, dass Verena und ich eine gemeinsame Wohnung beziehen, denn wegen der Entfernung und ihrer Arbeitszeit konnte sie mich nie in meiner WG besuchen. Ich war aber oft bei ihr!

Sie meinte, dass sich eine Handwerkerin und ein Zooologiestudent mit Schwerpunkt Arachnologie gut ergänzen würden.

Ich war mir sicher, dass sie von meiner Studienvorliebe keine Ahnung haben würde. Schwebte jedoch in höheren Gefilden und sah ihre himmelblauen Augen stets vor mir.

 

„Du bist die Handwerkerin.“

Und ich versichere ihr, dass ich die Hauptsicherung außer Gefecht gesetzt habe, als die Mikrowelle ein zartes ‘Pling’ von sich gibt.

 

„Und woher kommt der Strom?“, fragt sie lächelnd.

 

„Der kann nicht da sein! Äh. Fließen.“

 

„Aber die Mikrowelle funktioniert! Und ich sehe nicht, dass du auf einem Tretrad Strom erzeugst.“

 

Auf jeden Fall freue ich mich: „Super! Die Köttbullar sind fertig!“

 

„Du hast die Sicherung also nicht abgestellt!“, mault sie mich plötzlich an.

 

Zerknirscht häufe ich die Fleischbällchen auf Teller und stelle sie auf einen der zahlreichen Kartons ab.

‘Das sieht nach Arbeit aus’, denke ich kurz und setze mich auf den Boden, ziehe Verena auch hinunter. „Jetzt stärken wir uns erstmal nach schwedischer Art mit Köttbullar.“

 

„Schöttbullar“, korrigiert sie mich.

 

Mir bleibt ein Kloß im Hals stecken und ich huste.

 

„Wenn du Fan von Schwedenmöbeln Made in Polen ist, dann solltest du auch auf die Aussprache achten!“

 

Oh! Bisher hat meine Liebste mich noch nie verbessert!

 

„Mensch, bist du pingelig!“, rutscht es aus mir heraus, ich versuche das sofort wegzulächeln und nehme ihre Hand, aber weil sie ihre Gabel festhält, kleckert der Bissen auf den Karton.

 

Sie schiebt ihren Teller beiseite und dieses Aufflammen von Grün in ihrer ansonsten blauen Iris wirkt bedrohlich. Sie blickt auf die Beschriftung der Kartonage und bemerkt, dass sich ihre Dessous darin befinden würden.

 

„Die Köttbullar, äh, Schöttbullarsosse suppt ja nicht durch, durch den Karton“, meine ich kleinlaut. „Der hält ja was aus, äh, ab, oder so.“

 

Meine zukünftige Lebenspartnerin isst schweigend und endlich überwiegt auch wieder das Blau in ihren Augen.

 

„Wenn wir gegessen haben, packen wir endlich aus und bauen auf“, schlage ich enthusiastisch vor.

 

„Ich habe mich nur deshalb auf eine Einrichtung mit diesen ‘Jaffa-Kisten’ eingelassen, weil das dein Wunsch ist.“ Sie seufzt tief ein und aus. „Wer liebt, muss Kompromisse eingehen können.“

 

Habe ich das richtig gehört? Sie vergleicht meine Möbelvorliebe mit Apfelsinenkisten? Ich hatte mich von Beginn an geoutet, dass ich IKEA lieben würde!

 

„Na hör mal!“, empöre ich mich, „das ‘Pax-Schrank-System’ fürs Schlafzimmer hat Echtholz-Türen! Gekreidete Eiche!“

 

Sie wirft ihre Mähne in den Nacken: „Na und? Mein Blond ist auch echt und du hast es noch nie gelobt! Noch nie!“

 

„He!“ Ich nehme Verena in den Arm. „Manchmal kann ich halt ein echter Beziehungskiller sein. Tut mir leid.“ Sie schnurrt wohlig in meinen Armen.

Und schlage vor, das wir als Erstes das Billy-Regal aufbauen sollten, damit ich meine Sammlung morgen darauf platzieren könne, die seit einiger Zeit im Untergeschoss meiner Eltern untergebracht ist. 

 

„Auf deine Sammlung“, sie verdreht ihre Augäpfel, „bin ich inzwischen sehr neugierig, aber vorher musst du in den Keller.“

 

Sie deutet mein Fragezeichen-Gesicht richtig:

„Ich benötige einen Akkuschrauber mit unterschiedlichen Vorsätzen, man nennt das auch Bits, und eine Wasserwaage“, Verena macht eine kleine Pause, „und zwei Zwingen, falls du mit deinen linken Händen nichts halten kannst.“ Stemmt ihre Hände in die Hüften und blickt mich erwartungsvoll an.

 

„Sonst noch was?“, frage ich zaghaft und hätte ihr am liebsten vorgeschlagen, selber nach unten zu gehen, um das Gewünschte auszusuchen.

 

„Weißt du, was du hochholen sollst?“, fragt sie gedehnt.

 

Ich nicke.

Und könnte mir gerade jetzt etwas Besseres vorstellen, als Werkzeug zu holen. Mache jedoch keinen Versuch, Verena auch nur ansatzweise in Richtung horizontaler Lage zwecks Sex zu bekommen, aus Furcht vor ihrem ‘Grünen Blick’.

Greife stattdessen beherzt zum Cuttermesser und befreie die Regalbretter von der umgebenden Pappe.

„Der Karton mit deiner Sexy-Wäsche wäre mir zwar lieber“, witzele ich, aber sie zieht mich hoch und erinnert mich an den Gang in den Keller.

 

Ich schlage vor, dass wir gemeinsam das Werkzeug aussuchen können. „Vielleicht siehst du dann etwas, an das du noch nicht gedacht hast. ‘nen Hammer vielleicht? Oder mehrere?“

 

ICH benutze die Tools, DU holst sie mir hoch.“

 

Okay, das klingt unmissverständlich: „Hast du Angst vor den Spinnenmonstern, die da unten auf dich lauern könnten?“, sage ich ironisch, denn so eine taffe Frau wird sich niemals vor Was auch immer fürchten, das ist mir klar.

 

„Bist du womöglich nicht in der Lage, mir das passende Werkzeug zu holen, weil du davon keine Ahnung hast?“

 

Was soll das?

„Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich zwei ‘Linke Hände’ habe.“

 

Nach lautem Aufstöhnen wird sie aktiv.

Wendet sich dem Regalstapel zu, hebt das erste Brett heraus, lässt es abrupt fallen.

Bilde ich es mir ein, oder ist Verena plötzlich blass um die Nase?

Sie sitzt wie eingefroren da und starrt auf den halb ausgepackten Karton.

Ich folge ihrem Blick, der weder Grün noch Blau enthält, weil sich ihre Iris in ein blässliches Grau eingefärbt hat.

 

Aber da!

Nun sehe ich sie.

Mein Atem stockt, denn sie ist ein besonders schönes Exemplar!

Eine Eratigena atrica. Sie hangelt sich grazil über den Verpackungsrand und krabbelt gezielt auf die Kartonagenunterseite zu, um in die Dunkelheit zu kommen.

 

„Eine Spinne!“, gellt es just durch das Zimmer. „Die musst du sofort töten! Ich hasse Spinnen!“ Verena steht auf und trommelt mit beiden Fäusten auf mich ein. „Warum tust du denn nichts? Hockst da wie hypnotisiert!“

Sie flüchtet panisch auf den Balkon.

 

Ich nehme die filigrane Schönheit liebevoll zwischen meine hohlen Hände.

Es handelt sich um eine große Winkelspinne, welche zur Familie der Webspinnen gehört.

 

„Aber das Tier will mit uns Menschen überhaupt nichts zu tun haben!“, rufe ich laut, damit sie mich bis auf den Balkon hört. „Die hat eher Angst vor dir! Die ist nicht giftig!“

 

„Egal! Ich hasse diese Viecher!“, gellt es an meine Ohren.

 

Ich stehe langsam auf, spüre eine tiefe Traurigkeit, als ich die Wohnungstür öffne.

Mir ist schlagartig klar, dass es für Verena und mich keine Zukunft geben würde, weil sie nicht taff und cool ist.

Niemals würde sie meine Spinnen-Terrarien auf dem Billy-Regal akzeptieren.

Treffe eine Entscheidung und bringe die Hausspinne hinunter in den Keller.

 

end VERSION