Von Kai Braddick

Die Tür wollte sich nicht öffnen. Die schiere Arbeitsverweigerung des abgewetzten Pressplattenholzes trieb ihn zur Verzweiflung. Er zog kräftig an der matten Klinke und die Scharniere ächzten und protestierten. Die Tür hasste ihn und er hasste sie.

Die Zahnbürste liebte ihn auch nicht sonderlich, sonst hätte sie heute Morgen sicher nicht die Zahnpasta über ihn verspritzt und hässliche Flecken auf seinem Hemd zurückgelassen.

Er steuerte auf seinen Wagen zu, nachdem er sich über unendliche viele Stufen und etliche Türen, in die Tiefgarage gequält hatte. Die drückende Hitze und der Geruch von verbranntem Diesel und Benzin griff nach seinem Hals und drückte ihn mit seinen giftigen Fingern zu. Unweigerlich musste er husten.

Schnell zog er den Schlüssel aus der Tasche seines grauen Mantels. Der Kragen und die Ärmel, des alten Kleidungsstücks, schimmerten in einem speckigen Schwarz. Der dritte Knopf von oben war schon vor einigen Monaten spurlos verschwunden und er hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu ersetzten.

Wie auch?

Der Schlüssel steckte im Innenfutter fest. Sein Bart krallte sich, wie Finger, in den Stoff und wollte nicht loslassen. Mit einem kräftigen Ruck riss er ihn los und fluchte. Stoff hing an der Spitze des Schlüssels.

Nachdem er umständlich in den Wagen gestiegen war, rückte er den Spiegel zurecht und blickte in trübe, blaue Augen, die von tiefen Augenringen untermalt wurden. Blondes Haar, das sich nicht entscheiden konnte lang oder kurz zu sein, hing planlos an seinem Kopf. Es rahmte ein trauriges, aber nicht altes Gesicht ein, in dem Bartstoppel versuchten Fuß zu fassen.

Er drückte mit dem Daumen in seine Wange und beobachtete, wie die Haut sich verformte, um dann in ihre ursprüngliche, schlaffe Form zurückzugelangen.

Missmutig startete er den Wagen. Er legte den Gang ein und rollte aus der Tiefgarage in einen neuen, langweiligen Tag, wie er fand. Er fragte sich, warum ihn die Tür überhaupt herausgelassen hatte, und ob im Bett zu bleiben, nicht die bessere Option gewesen wäre.

Ein gewaltiger Irrtum.

 

Die Tür schwang beschwingt auf und säuselte dabei eine liebliche Melodie. Das Holz roch nach einer Politur, die fast schon Rosen glich und die Klinke fühlte sich weich und geschmeidig an. Warm und sanft lag sie in der Hand.

Es war eine glückliche Tür, die gerne ihre Aufgabe verrichtete. Sie liebte diese Tür. Wundervolle Tür!

Das Zähneputzen fiel ihr heute besonders leicht, denn sie benutzte eine neue Zahnbürste. Weich und angenehm fuhren die Borsten über ihre Zähne und kitzelten ein wenig das Zahnfleisch. Wundervolle Zahnbürste!

Sie sprang die Treppe hinunter und beobachtete dabei ihre Schuhe. Sie waren hellgrün und schmiegten sich angenehm an ihrem Fuß. Ihr knöchellanger Rock schien ihnen, bei jedem Hüpfen, zuzuwinken.

Sie hatte sich heute Morgen für eine leichte Bluse entschieden, denn die Sonne entfaltete bereits ihre Kraft und verbreitete eine angenehme Wärme, obwohl es erst März war. Sie erreichte ihr Fahrrad und sog die frische Morgenluft ein. Beseelt von dem schönen Wetter, schwang sie sich auf den Sattel und radelte los. Dies würde ein schöner, gewöhnlicher Tag werden, so wie sie sie am liebsten mochte.

 

Nachdem er sich durch die Dresdener Innenstadt gequält hatte, erreichte er den Parkplatz, des Bürokomplexes. In der letzten Reihe fand er einen Platz. Er parkte ein und ärgerte sich ein wenig, da sein Nebenmann entweder ein beschissener Einparker oder eine Frau sein musste, was für ihn aufs Gleiche herauskam, und schlurfte zum Eingang.

Er reckte seinen Hals und starrte an der Fassade des gewaltigen Gebäudes empor. Das dunkle Glas schrie bedrohlich. Es schien ihm entgegenzuschleudern, er solle gefälligst fort bleiben.

Die großen, roten Lettern der Leuchtschrift, wirkten wie spitze Zähne und der mattschwarze Eingang wie ein grässlicher Schlund.

Er blieb einen Moment stehen und schaute auf seine Uhr. Zwanzig Minuten hast du noch, dachte er erleichtert. Er kramte in seiner Manteltasche und entnahm eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug. Er brauchte natürlich mehrere Anläufe, endlich brannte die Zigarette und er blies ein paar Rauchkringel in die Dresdener Märzluft.

 

Fahrrad fahren, durch eine Stadt, die an einem herrlichen Morgen aufwachte, zauberte ein Lächeln auf ihr schmales Gesicht. Ein wenig Rouge betonte dezent ihre Wannenknochen und der leichte rosé Schimmer ihrer Lippen ließ sie noch fröhlicher wirken, als sie schon war. Von Weitem konnte sie bereits das hohe Gebäude erkennen, in dem sie arbeitete. Dunkel hob es sich vom Blau des Himmels ab, nach dem es sich zu strecken versuchte. Ein helles Band aus weißen Fensterrahmen umschlang die dritte Etage und verlieh dem ganzen etwas wunderbar Einfaches.

Die Türen des Gebäudes schwangen sanft zur Seite. Die große Halle begrüßte sie mit helleren Farben, als man erwarten konnte, wenn man die Fassade betrachtete. Ein weicher Teppich schluckte jegliche Geräusche, die durch Schuhe oder Stiefel verursacht wurden. Sie steuerte beschwingt auf den Fahrstuhl zu. Ein neuer Tag. Viele neue Herausforderungen.

Es war immer wieder aufs neue eine Herausforderung, aber er meisterte sie mehr recht als schlecht. Ihm missfiel das Rot des Teppichs, der die Eingangshalle einzuhüllen schien. Er blicke nach oben. Die schweren Zeiger, die unaufhaltsam und unbarmherzig über die römischen Ziffern, der großen Uhr führen, verrieten ihm, dass es jetzt allerhöchste Zeit war. Er stolperte in Richtung Fahrstuhl und sah, wie die Türen sich unbarmherzig schlossen, um im selben Moment sanft zurückzufahren. Dabei gaben sie den Blick auf einen kleinen, beschuhten Fuß frei, der sich sanft in die Tür geschoben hatte, um zu verhindern, dass sie sich schloss. In diesem Moment begann sein Herz zu schlagen, zum ersten Mal, an diesem Morgen. Er beeilte sich und betrat den Fahrstuhl. Der Duft von Rosen und Morgentau schwebte über der stickigen Luft des Fahrstuhls.

„Ach sie sind es“, wurde er fröhlich begrüßt.

Verlegen erwiderte er den Gruß. Er blickte sich um. Die Kabine des Fahrstuhls war klein, wirkte aber größer, da man Spiegel angebracht hatte, unter der Decke und hinter ihm, dort wo die Steuerkonsole war. Gegenüber verzierte eine Fototapete die karge Wand. Sie zeigte den Lilienstein. Eine Herbstimpression und für einen Moment war ihm, als rieche er buntes, feuchtes Laub.

Ihr Rock knisterte und die Bluse raschelte leicht, als sie einen Schritt auf ihn zu tat.

„Haben sie nicht heute Geburtstag?“, fragte sie und er stutzte, dachte kurz nach. Dann fiel es ihm wieder ein. Er wollte nur nickten, denn kein Ton fand den Weg über seine Lippen, da fuhr der Fahrstuhl an und es schüttelte ihn, für einen kurzen Moment, sodass er nach vorne stolperte.

Ihre Gesichter berührten sich fast, die Tiefe ihrer Augen schien unendlich. Das Herz, was den ganzen Morgen nicht schlagen wollte, raste davon, als wolle es, vor diesem verwirrend schönen Moment fliehen, doch es fand keinen Weg aus der Brust.

„Na dann: Alles Gute!“

Er spürte ihre Lippen auf seiner Wange, die Erde wankte und der Fahrstuhl auch. Rumpelnd kam er zum Stehen. Das Licht flackerte und sirrte.

„Ich fürchte, wir sind stecken geblieben.“

Ihr Lächeln wirkte magisch im diffusen Licht der Notbeleuchtung. Er spürte ihre Wärme, aber auch einen Windhauch. Ein kleiner Schmetterling flog an seiner Wange vorbei und berührte ihn sanft. Laub fiel auf den Boden der Kabine. Fasziniert starrten beide auf das Bild. Der Wind wehte über die Hügel und trieb Blätter vor sich her.

Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und berührte die Tapete, die überraschender Weise, nachgab. Wie wenn man Wasser berührt, schlug sie kleine Wellen. Jetzt schob er seinen Arm auf die Tapete zu. Sein Unterarm verschwand halb und als er ihn zurückzog, betrachteter er verwundert die sich aufgerichteten Härchen. Auch schien der Arm kälter als der andere.

Ihre Augen funkelten.

„Haben sie Lust auf einen Geburtstagsspaziergang?“, fragte sie. Und er nickte, nahm sie bei der Hand und beide traten auf die Tapete zu und verschwanden.

Das Licht im Fahrstuhl brannte wieder und die Kabine setzte ihren Weg fort. Irgendwann öffneten sich die Türen, um neue Fahrgäste aufzunehmen, denn das war ihre Aufgabe.