Von Helga Rougui

GOTT, gefolgt vom Obererzengel Manuel, betrat den Konferenzraum, in dem Gott mit seinen Erzengeln Michael und Gabriel wartete.

Wie immer war er in Eile – sein Terminbuch, in dem der Obererzengel just das gerade stattfindende Treffen abhakte, war prall gefüllt. Da er weder Schlaf noch Muße kannte, folgte ein Rendezvous auf das nächste, und wenn er – bzw. Manuel – sich nicht irrten, sollte er in etwa 10 Minuten bereits auf Teide 1b im Sternbild Taurus sein.

Also mußte wieder mal alles recht flott vonstatten gehen. GOTT ließ sich in einen Sessel fallen und schaute Gott auffordernd an.

– Irgendwelche Beschwerden auf diesem Planeten?

Er hoffte halbwegs, daß die Antwort „Nein, alles klar hier, und Tschüss!“ sein würde, aber als er sah, wie Gott tief Luft holte, seufzte er.

Natürlich hatten diese Menschlein – so nannte sich die spezies ingeniosa hierzulande – wieder irgendetwas, was ihnen an der großen und gediegenen Weltenordnung nicht paßte – einmal war es das Klima, ein anderes Mal irgendeine obskure Präsidentenwahl, dann mochten sie kein Himbeereis mehr (vermutlich eine Folge dieser Coronaepidemie – man nannte dieses Phänomen inzwischen sogar die Himbeereisepidemie), dann wollten plötzlich alle Frauen über 60 glatte Haut, und als er ihnen das Hyaluron geschenkt hatte, meckerten sie, daß es nicht wirke. Dabei stand in der Gebrauchsanweisung ausdrücklich, daß man es regelmäßig über einen längeren Zeitraum anwenden müsse – so etwa 250 bis 300 Jahre … konnten sie auf diesem Planeten denn nicht lesen?

Er seufzte noch einmal, merkte, daß Gott bereits mitten in seinem Vortrag war, und vernahm:

– … und so lehnen sie diesen Akt, der den ewigen Kreislauf alles Lebendigen garantiert, rundweg ab, und das geht schon seit Jahrhunderten so –

– Was genau lehnen sie ab? fragte GOTT nach, der durch seine Gedankenpromenade einigen Infos hinterherhinkte.

– Na, platzte Gott heraus, der langen Rede kurzer Sinn – sie wollen nicht mehr sterben.

– Wie – nicht mehr sterben? Der Tod räumt auf, um Platz für nachfolgende Generationen –

– Also, so wie ich das sehe, fiel ihm Gott ins Göttliche Wort, geht ihr Verhalten insgesamt dahin, daß sie immer weniger Nachwuchs produzieren. Ich glaube, die Fortpflanzung wird von den meisten nicht mehr vorrangig favorisiert. Viel lieber hätten sie grenzenlos alle Zeit der Welt für ihre Vergnügungen und sportlichen Aktivitäten und dieses Internetgedöns …

– Ach was? Eine Änderung in der Formatvorlage also? Das ist schon ein dicker Hund.

In diesem Moment räusperte sich der Obererzengel und zeigte mit spitzem Finger auf einen Eintrag auf der geöffneten Seite des Terminbuchs:

– Euer Exzellenz, der Taurus …

– Okay, meinte daraufhin GOTT und erhob sich, dann wolln wir mal.

Ich, GOTT, kraft meiner Amtsbefugnis für den Sektor Sonnensystem, hier: Erde, verkünde, daß es ab sofort keine Todesfälle auf dem Planeten Erde mehr geben wird, und alles, was zu diesen führen könnte, sei außer Kraft gesetzt. Das ist im Einzelnen: alle Eukaryota, ergo: Lebewesen mit Zellkern, ergo: Tiere inklusive Menschen werden ewig leben – dafür aber wird es auch keinen Nachwuchs, weder natürlich noch retortengezogen, geben, um dem Problem der Überfüllung des Planeten zuvorzukommen. Sic sit et amen –  und nun ab die Post.

GOTT rauschte hinaus, Obererzengel Manuel flog hinter ihm drein wie der Wind, und verschwunden waren sie.

Gott sagte zu seinen zwei Erzengeln:

– Zuerst einmal schließen wir das Paradies. Sagt dem Petrus, daß es keine Nachrücker mehr geben wird.

Luzifer, der still lauschend unauffällig in einer Ecke gesessen hatte, flüsterte seiner Großmutter ins pelzige Ohr, während sie sich ächzend von ihrem Schemel erhob:

– Wie langweilig – nun müssen sich die Beelzebuben mit dem vorhandenen Material verlustieren bis zum Jüngsten Tage – ach Mist, den gibts ja nun nicht mehr … aber schaun mer mal … noch ist nicht aller Tage Abend.

Die Großmutter grinste. Sie liebte die wirren Mal-Mots ihres Enkels.

 

***

 

– Schatzi, nicht so schnell, okay? Man sieht ja die Hand vor Augen nicht …

Die Scheinwerfer des Alfa Romeo schneiden im Vorbeirasen rechts und links der Landstraße Schemen aus Nebel und Dunkelheit, Bäume tauchen sekundenlang auf im Licht und werden sofort von der Nacht verschluckt.

– Schatziii …

Schatzi lacht, drückt aufs Gas, 210 Sachen, Rausch der Geschwindigkeit, Wodka und Wagemut –  plötzlich mitten auf der Fahrbahn ein Reh, wie angeleimt starrt es dem heranrasenden Wagen entgegen, Kollision, Crash, ohrenbetäubender Lärm.

Dann Stille. Totenstille. Der Alfa, von der Fahrbahn abgekommen, um einen Baum gewickelt, ist ein Haufen zerbeultes Blech.

Stunden später, im Morgengrauen, alarmiert der Fahrer eines Hyundai die Polizei, die, als sie eintrifft, denkt, nur noch den Tod der Unfallbeteiligten feststellen zu können.

Mitnichten.

Die Unfallbeteiligten müssen sich im Laufe der Nacht wohl selbst aus den Trümmern des Autos befreit haben, sie liegen friedlich im Moos, keineswegs tot, und schlafen ihren Rausch aus. Zu ihren Füßen gemütlich zusammengerollt das Reh, ebenfalls tief schlafend und unverletzt.

 

***

 

Nach einer Weile stellt die Menschheit fest, daß seltsame Dinge vor sich gehen.

Bei schweren Verkehrsunfällen krabbeln die Beteiligten putzmunter aus den Trümmern ihres Gefährts.

Attentate bleiben erfolglos. Im Krieg sterben keine Soldaten mehr.

Mörder werden arbeitslos, weil, egal, was sie veranstalten, das Opfer einfach nicht totzukriegen ist.

In den Hospitälern bleiben die Todkranken am Leben, ganz gleich, wieviel Morphium gegen die Schmerzen man ihnen gibt.

Die Menschheit begreift, daß der Tod seine Macht über sie verloren hat.

Die Veganer triumphieren, als sich alle Menschen ausnahmslos ihrer Ernährungsweise anschließen. Die Tiere gehören zu den Eukaryota – alle Schlachtversuche fruchten nichts, die Schweine grunzen heiter weiter, die Hühner gackern giggelnd auf dem Hof, die Kühe grasen bedächtig und achten des Metzgers nicht – wenn man genau hinschaut, umweht jedes Getier eine leichte Aura der Schadenfreude.

Die Frauen, die schwanger sind, gebären ihre Kinder. Aber es gibt keine neuen Schwangerschaften – es ist, als ob der gesamte weibliche Teil der Menschheit und auch der Tiere unfruchtbar geworden sei. Was zur Folge hat, daß die Vokabeln für „Volle Windel“ und „Frühstücksei“ aus allen Sprachen der Welt verschwinden.

Alle freuen sich. Besonders wer jung, fit und gesund ist und keine Kinder will, wähnt sich im Paradies.

Andere, deren Lage gesundheits- und altersmäßig nicht optimal ist, versuchen sich mit ihren Defiziten abzufinden, was ihnen nicht allzu schwer fällt, brauchen sie doch mit zunehmenden Jahren keine Angst mehr vor dem Tod zu haben.

Man feiert, ohne noch viel zu arbeiten, irgendwann werde man schon wieder beginnen. Überall geraten Produktionsabläufe, Projekte, Unternehmungen ins Stocken – warum sich beeilen, wenn man doch alle Zeit der Welt hat.

Dann aber wird klar, daß zwar das Sterben aufgehoben ist, aber der natürliche Alterungsprozeß nicht.

Die Babys werden zu Kleinkindern, diese zu Jugendlichen, alsdann gibt es nur noch Erwachsene, und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt nimmt die Zahl der Greise und Greisinnen zu.

Die Zellen altern weiter wie gehabt, degenerieren, die Menschen werden schwächer und schwächer, und irgendwann sind alle im einem Zustand amöbenhafter Betäubung. Hinzu kommt, daß es niemanden mehr gibt, der die Alten und Kranken pflegt – es gibt ja nur noch Alte und Kranke, die sich nicht mehr helfen können, ausnahmslos.

Die Menschen überall auf der Welt liegen entkräftet darnieder, stinkend, bewegungsunfähig, hilflos, hungernd und durstend, wimmernd vor Entkräftung und Muskelschwund, vertrockneten fauligen Pestpflaumen gleich, mit Unrat und Eiter übersät.

Sie atmen, also sind sie lebendig. Nun ja – sie sind nicht tot.

Wer noch einen klaren Gedanken fassen kann – für ein 500jähriges Gehirn, das für den Gebrauch von maximal 80 Jahren ausgelegt gewesen ist, nicht leicht zu bewältigen – dem schießt es durch den Kopf:

– Was hat sich Gott bloß dabei gedacht?

Selbst Gott sagt zu seinen Erzengeln:

– Was hat sich GOTT bloß dabei gedacht?

 

***

 

Nun begab es sich aber, daß allenthalben auf der Erde große schwarze Rolls Royce wie aus dem Nichts erschienen, darin saßen schwarzgekleidete Männer mit knallroter Haut und zwei kleinen, fast unsichtbaren Höckern in ihren wuscheligen schwefelgelben Haaren. Mit unendlicher Geduld fuhren sie von Haus zu Haus, von Oca zu Oca, von Iglu zu Iglu, von Kontinent zu Kontinent und legten jedem Menschen ein Schriftstück vor.

Ganz oben stand „Petition“.

Und darunter: „Wir bitten um die Wiedereinführung des Todes.“

Wer konnte, malte ein Kreuz auf das Blatt, und wer das nicht mehr konnte, krächzte mit trockenen Lippen ein „Ja, verdammt!“ in ein Diktaphon.

 

Luzifer stand auf dem höchsten Berg der Hölle und beobachtete, wie  seine Beelzebuben fleißig Unterschriften und Sprachmemos sammelten. Er bemerkte zu seiner Großmutter:

– Nun müssen die armen Würmer noch 2500 Jahre überstehen bis zum nächsten Besuch von GOTT – dann übergebe ich ihm die Petitionen und das Verdikt wird aufgehoben.

Vermutlich dürfen wir die gesamte Erdbevölkerung behalten, denn für den Himmel sind sie in gar zu schlechter Verfassung, und vom ewigen Leben haben sie sicherlich fürs erste genug. Ein bißchen Höllenpiekserei wird ihrem Kreislauf guttun. Strafe muß sein – der unselige Wunsch, auf den Tod zu verzichten, ist schließlich von ihnen ausgegangen.

Des Teufels Großmutter nickte und meinte:

– Also repariert Satan mal wieder die Folgen göttlicher Hast. Eigentlich solltest du alles Irdische leiten, mein lieber Enkel.

– Verehrte Grand-Mère – das mache ich doch schon seit der Geschichte damals mit dem bösen Apfel vom Baume der Erkenntnis – von wem, glaubst du, haben denn die Menschlein ihre Todesangst?

Aber – und da bin ich selbst erstaunt – so reiche Ernte wie jetzt war uns noch nie beschieden.

Es geht doch nichts über GOTTES Beistand!

 

V1