Von Marie Masse

Es war einmal ein kleines kugelrundes Wesen. Mit seinen vielen Gliedern konnte es sich hier und da ankrallen, um voranzukommen, oder kurz fliegen. Es war extrem winzig, auch als Erwachsener, und fühlte sich von allen seinen zahlreichen Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins ignoriert. Viele von ihnen hatten schon einige Macht, wenn auch nicht uneingeschränkt. Ihre schlimmsten Feinde waren diese übergroßen Kreaturen, die man Menschen nannte und die extrem schlau waren, sie ließen sich immer wieder neue Kampfmittel einfallen. Sie, die Winzigen, hatten aber eine schlaue Waffe: Sie konnten sich wunderbar in den Menschen verstecken. Sozusagen sie von innen aushöhlen.

Das kleine Wesen träumte davon, auch mächtig zu werden. Sobald es reif genug war, fing es an, viele Kinder zu reproduzieren. Es machte ihm so viel Spaß, dass es nicht mehr aufhören konnte, und sich unheimlich freute, als seine Kinder seinem Beispiel folgten. Bald waren sie so zahlreich, dass der Platz in dem Land, in dem sie lebten, eng wurde, obwohl es ein großes Land war … aber auch dicht von den Menschen bevölkert. Das winzige Geschöpf bekam Lust, auf Reisen zu gehen. Seine Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen waren schon überall in der Welt gewesen und erzählten, wie schön sie war. Es gab warme und kalte Länder, Menschen mit verschiedenen Hautfarben, Dicke und Dünne, Alte und Junge, Arme und Reiche, Starke und Schwächere. Dank des Herumreisens hatten die Verwandten auf jeden Fall an Gewalt gewonnen. Etwas Großartigeres konnte sich das kleine Wesen nicht vorstellen. Endlich sich wichtig fühlen, von allen wahrgenommen werden. Und auch den großen Menschen zeigen, dass sie nicht die Weltherrschaft gepachtet hatten: Das wäre eine Schadenfreude!

Leider konnte es allein nicht weit fliegen, hatte aber davon gehört, dass diese Menschen eine Maschine erfunden hatten, die Flugzeug hieß, mit der sie überall hingelangten. Eine solche Reise war meistens teuer. Aber gut versteckt würde die kleine Kreatur nichts bezahlen müssen. Bald wagte sie das Abenteuer. Allein wollte sie nicht gehen und nahm gleich einige ihrer Kinder, Enkel und Urenkel mit. Denn inzwischen war die Familie recht groß geworden und wurde immer größer.

Anscheinend fiel es den Menschen auf, wie der kleine Organismus seine Macht ausbaute, er hörte immer öfter von sich reden. Wow, dieses Gefühl der Stärke trotz seiner körperlichen Winzigkeit! Er merkte, wie er immer mehr Menschen besiegte, wie sie immer größere Angst vor ihm bekamen und seine weiteren Verwandten fast vergaßen.

Klar, selbst wurde er nicht jünger und er wusste, dass seine Zeit bald zu Ende gehen würde. Er sammelte all seine Kinder, Enkel, Urenkel, Ururenkel und auch Urururenkel – den Überblick über die Zahl der neuen Generationen hatte er verloren! – um sich und schärfte ihnen ein, weiter über alle Grenzen zu fliegen, sich weiter zu reproduzieren, nicht zu zögern, in ein Land, das sie schon verlassen hatten und ihnen doch gefiel, zurückzukommen. Sie sollten die Zeit ausnützen, denn die Menschen waren ihnen auf der Spur. Noch ohne Erfolg. Die Macht, die seine Familie gewonnen hatte, war nicht mehr zu leugnen. Sogar in Ländern, wo die regierenden Leute behaupten, die Welt zu beherrschen, mussten diese sich ihre Niederlage eingestehen, wenn einige auch es sehr ungern taten. Denn nun waren ER und seine Familie die Herrscher über die Erde. Vor kurzem hatte er sogar erfahren, dass die Menschen ihm den Namen „Krone“ gegeben hatten, halt auf Italienisch.

Dieser Titel freute ihm sehr: „Mein Herr Corona“, das hörte sich ja gut an.

Und da sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.

 

 

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