Von Anne Zeisig

„Gren-zen-los durch die Na-hacht!“, trällert Sabine, erhebt sich von ihrem Stuhl und animiert die Freundinnen, es ihr gleichzutun.

„Atemlos durch die Nacht!“, schreit Vanessa mit hochrotem Teint und knallroten Lippen gegen die laute Musik an. „Ist doch ein Song von Helene Fischer!“ Sie klatscht im Rhythmus. „Oder von Andrea Berg?“

„Egal!“, tönt die schüchterne Marie nach einem Glas Sekt, wedelt sich mit ihrem Glitzerschal die Hitze weg und singt im Takt: „A-tem-los in den Kna-hast!“

Im Hotelsaal brodelt die Stimmung dem Höhepunkt entgegen.

Die Mittsechziger-Damen bewegen sich hüftkreisend voller Lebenslust.

Einige haben Tanzpartner gefunden, andere nicht, denn es ist bekannt, dass die Oldie-Männer bei derartigen Veranstaltungen mit ‘Getränke-Flat’ pausenlos saufen und nicht gerne ihre trägen Bierbäuche zum Takt schwingen.

„Schaut mal! Die Männerwelt klebt wieder an den Bierhumpen fest!“ Sabine macht eine Pause und deutet zur Bar, wo die Kahlköpfigen, sowie die Bart- und Hosenträger-Träger mit glasigen Augen und geröteten Wangen aufgereiht sitzen, rülpsen und mit leerem Blick das Geschehen auf der Bühne verfolgen.

„Wisst ihr noch?!“, fragt sie in die Runde. „Früher. Da wurde ich oft zum Tanzen aufgefordert! Kaum haste Falten, da traut sich kein Mann an dich heran.“ Sie fährt sich anmutig durch das schüttere Haar.

Vanessa steht auf und lässt ihre immer noch schlanken Lenden kreisen. „Auf träge Männer kann ich verzichten!“

„Jede Single-Party ‘Plus 60’ ist ein Reinfall!“, sagt sie laut und erhebt ein weiteres Sektglas. „Auf uns! Auf das schönere Geschlecht!“

Inzwischen hat die Cover-Band zu Andrea Berg gewechselt.

„Du hast mich tausend-mal be-trogen, du hast mich tausend-mal …“

„Ver-letzt!“, singt Marie und sinkt auf ihren Stuhl, weil sie daran denkt, dass Bernd, IHR Bernd, lange Zeit eine Geliebte hatte.

Zwanzig Jahre jünger als sie, die Noch-Ehefrau.

Und jetzige Witwe!

Am heiligen Abend im letzten Jahr erfolgte überraschend sein Herzinfarkt während des offenbar zu wilden Sex-Spielchens mit seiner Barbie-Kopie.

„Er ist wirklich unter und in mir weggestorben!“, hatte diese Klischeeblonde am Grab lauthals gejammert.

Und der Pfarrer war rot angelaufen.

Derweil Marie sich ihre Schadenfreude immer noch nicht eingestehen kann. So ist das, wenn den alten Kerlen der eheliche Kuschelsex nicht genügt: Frau unten, Mann oben, bei dieser Stellung kam er nie aus der Puste. Sie allerdings auch nie zum Höhepunkt.

Ist ja jetzt auch egal.

„Bin mit dir soooo hoch ge-flogen, doch der Him-mel war be-setzt!“, singt Freundin Vanessa und wischt sich eine Träne aus den Augen wegen ihres verstorbenen Mannes. Der war fünfzehn Jahre älter als sie. Der Krebs hatte ihn besiegt: Prostata nach Leidenszeit, denn für ihn war der Urologe weiter entfernt als der Vollmond, den sie in lauen Sommernächten angehimmelt hatten, romantisch und eng umschlungen vom Balkon aus beim Rotkäppchen-Sekt. Aber nur Rubin. Es musste der Rote sein.

„Prost! Mädels!“, erhebt sie den Wodka-Lemon und wischt sich die Tränen von ihren mit Rougepuder geschminkten Wangen.

Marie umarmt die Freundin. „Vom Trübsal blasen wird er nicht mehr lebendig.“ „Tja“, sagt Vanessa bitter, „aber Blasen konnte er gut.“

„Wenn er ‘s bei dir gemacht hat, dann war das Leck…“

„Ach!“ Die Freundin springt auf. „Immer musst du alles besser wissen!“ Und verabschiedet sich kurz mit einem „Gute Nacht“.

„Was ist denn mit Vanessa los?“, fragt Sabine.

Sie zucken mit den Schultern und nippen am soundsovielten Sektglas. „Seelenschmerz?“, vermutet Marie.

Sabine animiert die Freundin, mit ihr zu tanzen. „Hier bewegen sich eh mehr Frauenpaare auf dem Parkett.“

‘Weil Frauen länger leben’, denkt Marie und streift ihren Rock glatt, als sie der Freundin stöckelnd auf die Tanzfläche folgt.

„Ro-te Lip-pen soll man küs-sen, denn zum Küs-sen sind sie da!“, gibt der ‘Kraus-Versatz’ sein Bestes und die Tanzfläche rockt den Twist, aus dem die Träume der vergangenen Jugend sind.

Sabine will sich ihre Knie-Arthrose nicht anmerken lassen. Sie schlägt sich tapfer in ihren tänzerischen Bewegungen, verlässt jedoch alsbald den Tanzboden mit einem ‘Ich bin müde.’

Und die ansonsten zurückhaltende Marie schlingt ihren schimmernden Schal einem allein tanzenden jungen Mann um den Nacken, lächelt ihn im Schein der Glitzerkugel an.

Er zieht sie eng an sich heran, spürt ihren reifen Körper: „Habe längst ein Auge auf dich geworfen.“

Sie kichert frisch wie eine junge Frau.

Und lässt sich von ihm in die Tanznacht entführen.

 

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