Von Marco A. Rauch

Es war Sonntag, Mitte Dezember. Elli und Ben saßen in der Pizzeria von Gian-Luca und warteten auf ihr Abendessen. Beide freuten sich über diese seltene Gelegenheit, mal etwas Zeit für sich zu haben. Zwischen Bens Arbeit, Ellis Studium und ihrer sechs Monate alten Tochter Kathi hatte es die letzten Monate nicht so viel davon gegeben. Es war eine dieser besonderen Gelegenheiten, durchzuatmen und die traute Zweisamkeit für ein, zwei Stunden zu genießen. Ellis alte Freundin Leonie war als Babysitter für Kathi eingesprungen und das junge Elternpaar war dankbar dafür. Ben sah sich neugierig im Lokal um, das Elli ausgewählt hatte. Sie war schon ein paarmal hier gewesen und kannte den Inhaber. Was sie nicht wusste: Er hatte sich für den Abend etwas Besonderes einfallen lassen. Und das war nicht leicht gewesen. Die Pizzeria war stilvoll eingerichtet und das Ambiente großartig. Auf jedem der edel wirkenden Tische aus dunklem Holz stand eine Kerze. Die Sitzbank war mit braunem Leder bezogen und es duftete herrlich nach frischem Essen und guter Gesellschaft. Etwas abseits, auf einem Sockel, stand eine Statue von Maria. Demütig hielt sie den Blick zu Boden gewandt und die Hände zum Gebet gefaltet. 

»Sieht wirklich toll aus hier, der Gastgeber hat sich reichlich Mühe mit der Einrichtung gegeben. Schau mal, diese ganzen Ornamente und Verzierungen an der Decke, das war bestimmt teuer«, bemerkte Ben durchaus beeindruckt.

»Schön, dass es dir gefällt, mein Schatz, aber warte, bis erst das Essen kommt. Da kann deine Tiefkühlpizza nicht mithalten, glaube mir«, beteuerte Elli fröhlich und einen Moment lang sahen sich die beiden an. Seine braunen Augen leuchteten im Schein der Kerzen und sein Blick war entspannt. Und er war milde. Mit genau diesem Blick hatte er sie damals angesehen, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Gerührt lächelte sie und kurz darauf erschien Gian-Luca. »Finalmente meine Herrschaften, einmal Pizza Salami für die Dame und einmal Spezial für den Herren. Buon Appetito.« Freundlich lächelnd deutete Gian-Luca auf das Mahl vor ihnen, dann begrüßte er vergnügt ein paar weitere Gäste, die gerade hereinkamen. 

»Meine Güte, ist die riesig!« Ben machte große Augen und lachte erheitert. Die Pizza vor ihm war etwas größer als der ohnehin schon pompöse Teller und reich belegt mit appetitlich aussehenden Zutaten.

»Ich sag dir doch, du wirst sie lieben. Das Essen hier ist wirklich großartig und ich finde, man schmeckt deutlich, dass es selbst gemacht ist. Der Boden und der Belag passen super zusammen und gemeinsam geben sie ein herrliches …« Abrupt musste sie laut lachen, denn er hatte sich bereits das erste Stück in den Mund geschoben und an seinem rechten Mundwinkel hing etwas von dem Käse herunter. Verwundert sah er zu ihr, doch dann bemerkte er den Käse und wischte ihn mit seiner Serviette ab. Mit unschuldiger Miene zuckte er kurz die Schultern und aß weiter. 

»Manchmal ist es fast, als hätte ich zwei Kinder«, frotzelte sie zwinkernd, verfestigte den Zopf, der ihre langen blonden Haare zusammenhielt, und begann, ihre Pizza zu essen. Wart du nur, Fräulein dachte Ben und genoss das kulinarische Erlebnis italienischer Kochkunst.

Nach dem Essen saßen beide satt und zufrieden am Tisch und sahen sich an. Ben nahm Ellis Hand und sagte: »Das Essen war lecker. Das Ambiente ist schön. Mir gefällt es hier, aber noch mehr gefällt es mir, wenn es dir gefällt. Und ganz nebenbei: Du gefällst mir.« 

»Wie, ich gefalle dir nur?«, tat sie betont empört, doch gleich darauf musste sie lachen und ergriff vergnügt auch seine andere Hand. Dann blickte sie ihm tief in die Augen und raspelte süßlich: »Du gefällst mir auch, Herr Elderich.«

Beide lachten und auf einmal rief er empört: »So weit kommts noch, du bist die Frau und musst meinen Namen annehmen. Und der Name ist Baker.« 

Für einen Moment ging ihr Blick zur Seite und aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass er sich zu Gian-Luca umgedreht hatte. Und während sie noch überlegte, was sie ihm auf diese kleine Frechheit antworten sollte, bemerkte sie, wie auf einmal fünf weiß gekleidete Personen an ihren Tisch kamen. Es waren drei Frauen und zwei Männer und sie trugen eine Art Kostüm. Ein jeder trug denselben Namen mit blauem Garn auf der Brust gestickt: Büchenbacher Gospelchor. Und noch bevor sie irgendwie reagieren konnte, war Ben bereits aufgestanden und kniete vor ihr nieder. Der Chor bereitete sich vor zu singen und kurz darauf sangen sie das Stück, bei dem sich die beiden das erste Mal begegnet waren: Time after Time von Cyndi Lauper. Feierlich kramte Ben, gut vorbereitet, ein kleines, rotes Etui aus seiner Tasche, öffnete es und hielt es ihr hin.

In diesem Moment spürte sie, wie ihr Herz hüpfte, und bevor der Chor leise anfing zu singen, drückte sie eine Hand auf ihr Herz und stammelte gerührt: »Du spinnst!«

»Lying in my bed, I hear the clock tick and think of you …«

»Elisa Maria Elderich, seit zwei Jahren sind wir beide nun ein Team und wir haben gemeinsam Höhen und Tiefen durchschritten. Wir haben gelacht, getanzt, aber auch geweint. Wir haben uns immer wieder zusammengerauft, haben uns unterstützt und uns gegenseitig Trost gespendet, wenn es nötig war. Nun möchte ich den nächsten Schritt gehen, weil ich dich liebe. Ich liebe dich von ganzem Herzen und mit dir zusammen möchte ich alt werden. Deswegen frage ich dich vor Gott und dem Büchenbacher Gospelchor: Willst du meine Frau werden?«

»Time after time …«

Ein paar Tränen kullerten ihre Wange hinunter, doch plötzlich sprang sie auf, umarmte ihn mit feuchten Augen und schrie: »Du spinnst, du verdammter … Ja, ich will. ICH WILL! Mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele und mit all meiner Kraft will ich deine Frau werden, du Blödmann.« 

»If you’re lost you can look and you will find me …«

Sie drückte ihn so fest an sich, wie sie nur konnte. Alle in diesem Raum applaudierten dem Paar und es war zu der Zeit niemand dort, der sich nicht für sie gefreut hätte. Die Leute jubelten und immer wieder gab es Zwischenrufe wie »Masel-tov« oder »Heyhey«. Einige von ihnen pfiffen auch vergnügt. Selbst der Chor unterbrach seine Darbietung sichtlich gerührt, applaudierte kurz und nach einem flinken Griff in ihre Taschen warfen sie Hunderte von roten Rosenblättern in die Luft, die von dort auf die beiden herabregneten. Die zwei küssten und umarmten sich ausgelassen und immer wieder zwischendurch quiekte sie vergnügt: »Du spinnst!«

Auf einmal kam Gian-Luca zu Elli und zwinkerte ihr zu. Sie umarmten sich und Elli ließ es sich nicht nehmen, ihm vorzuwerfen: »Du hast es gewusst, oder? Du hast es gewusst!« Beide lachten und Gian-Luca zwinkerte erneut. Kurz darauf fiel sie Ben wieder um den Hals. Sie küssten sich noch einmal leidenschaftlich und die Menge applaudierte und jubelte erneut. Sie war so gerührt, dass sie schließlich überhaupt nicht mehr wusste, was sie noch sagen sollte, und das war neben dem Tag, an dem sie Ben kennengelernt hatte, und abgesehen von Kathis Geburt der mit Abstand schönste Tag in ihrem Leben und sie war sich sicher, sie würde sich noch lange daran erinnern. Doch als schließlich ein Mann mit einer Kamera zu ihr kam, um eine kleine Speicherkarte zu überreichen, wusste sie endgültig, dass sie diesen Tag niemals vergessen sollte. Auf seinem Pullover stand in kleiner Schrift Büchenbacher Gospelchor und als sie das las, fiel sie ihm spontan um den Hals und rief: »Ihr spinnt doch alle!« Lachend gab sie ihm einen Kuss auf die Wange, umarmte ihn noch einmal und bedankte sich für das Video.

Der Mann war seinerseits sichtlich gerührt, trippelte einige Schrittchen zurück und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.

Dann drehte Elli ihren Kopf wieder zu Ben, schüttelte ihn kurz, rannte auf ihn zu und sprang freudig quiekend auf seine Arme. Es war unglaublich, sie würde heiraten und damit endgültig ihre Familie auch vor Gott und der Gemeinde begründen. Dieser elendige Mistkerl dachte sie. Wie hat er das nur gemacht? »Du Spinner«, flüsterte sie in sein Ohr und drückte ihn an sich. Einen Moment schloss sie die Augen und genoss seine Wärme. Und ihn zu spüren, war in dem Moment das beste Gefühl auf der Welt. 

Nachdem sich alle halbwegs beruhigt hatten, spendierte Gian-Luca allen Gästen im Restaurant eine Runde Grappa aufs Haus und sogar Elli nahm dankbar einen Schluck, obgleich sie es kurz danach bereute. Dieses fiese Brennen im Mund hatte sie noch nie leiden können. Doch an diesem Tage, der so anders als alle anderen war, erlaubte sie es sich ausnahmsweise und war überglücklich und sprichwörtlich auf Gottes altehrwürdiger Wolke sieben. 

Etwas später verließen sie das Restaurant und im Auto zischte sie mit drohendem Unterton: »Warte nur, bis wir zu Hause sind, mein Freund.« Dabei lächelte sie ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Und so geschah es. Zu Hause angekommen, erzählte sie Leonie aufgeregt von dieser abenteuerlichen Neuigkeit und als sie es hörte, quiekten beide und jubelten, fassten sich an den Händen und sprangen immer wieder in die Luft. Dabei drehten sie sich im Kreis und quiekten mehr, als sie riefen »Wir werden heiraten!« und »Du wirst heiraten!« und »Ich fasse es nicht!« und »Ich kann es nicht glauben!«

Ben stand derweil an der Tür und beobachtete schmunzelnd und kopfschüttelnd die Szene, die er da sah. So ausgelassen und kindisch hatte er Elli noch nie erlebt, aber er freute sich für die beiden und ließ ihnen die Albernheiten. Denn er freute sich auch für sich und für Kathi. Er fühlte sich bestätigt, dass es der richtige Schritt und der passende Moment gewesen war und dass nun endlich sein Traum einer eigenen Familie mit Gottes Unterstützung wahr werden würde. Kurz darauf kam Leonie auf Ben zugelaufen und umarmte ihn spontan. Sie wünschte ihm und ihnen alles Gute und ließ die beiden alleine. Elli kümmerte sich noch um Kathi, wechselte die Windel, und als es kurz darauf an der Zeit war, ins Bett zu gehen, da zeigte sie ihm im Schlafzimmer, was sie von seiner Idee hielt und beide genossen es bis zum frühen Morgen.

 

#feelgood

 

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