Von Karl Kieser

Jochen Schatz ist frisch verheiratet mit einem bezaubernden Exemplar des schönen Geschlechts. Er nennt sie zärtlich sein Schätzchen. Die junge Frau Schatz ist gesegnet mit einem äußerst glücklichen Naturell: fröhlich, aufgeschlossen, immer im Reinen mit sich und der Welt. Ein wahrer Schatz, nicht nur dem Namen nach.
Bei ihren gelegentlichen Besuchen in seiner Firma ist sie charmant zu jedermann.

Was liegt also näher als dass sie, auch wegen der Assoziationen, die ihr Name auslöst, bei allen seinen Mitarbeitern alsbald nur „Das Schätzchen“ genannt wird. Mit der Zeit gerät völlig in Vergessenheit, dass die hübsche Frau Schatz mit dem Namen Susanne in ihrer Heiratsurkunde eingetragen ist. Für Freunde, Bekannte und Mitarbeiter ihres Mannes ist sie allgemein nur „das Schätzchen“.

Herr Schatz wird von allen glühend beneidet wegen seiner hinreißenden Gattin. Lange Zeit weiß niemand – auch nicht Jochen Schatz – von dem dunklen Geheimnis seiner Frau.
Das Schätzchen nimmt bei ihren Shopping-Touren nämlich gerne mal etwas mit, ohne zu bezahlen. Es sind immer nur Kleinigkeiten, vor allem aber Dinge, die sie eigentlich überhaupt nicht gebrauchen kann. Zu Hause landen ihre Trophäen, die ihr den Einkauf erst abrunden, sofort wieder im Müll.
Erstaunlich lange geht alles gut, aber eigentlich nur deshalb, weil Schätzchen nur in noblen Boutiquen einkauft und die Inhaber die gute Kundin wegen ein paar Kleinigkeiten nicht in Verlegenheit bringen wollen. Außerdem ist Herr Schatz ein angesehener und sehr begüterter Mann, dem sein häuslicher Frieden sehr wichtig ist und mit dem es sich niemand verderben will.

Doch eines Tages trifft  das Schätzchen auf eine Verkäuferin, welche diese spezielle Kundin und Ihre Gepflogenheiten nicht kennt und ihr den Diebstahl nicht durchgehen lassen will. Diese Verkäuferin edler Damenmoden ist noch neu in ihrer Profession und fühlt sich für den wirtschaftlichen Erfolg ihres Arbeitsplatzes verantwortlich. Dummerweise ist der Inhaber des Ladens gerade nicht anwesend, um das Unheil auszubremsen und so kommt es zu einer Anzeige.

Schätzchen zeigt sich zerknirscht und kann nicht verstehen, was da über sie gekommen ist. Auf dem Revier sind alle Polizisten, männlich wie weiblich, von Schätzchens Charme und offensichtlicher schamvollen Reue so beeindruckt, dass man sie am liebsten mit einer Ermahnung laufen lassen würde.
Aber da die Anzeige nun mal vorliegt, muss sie notgedrungen auch bearbeitet werden. Es wird also eine Akte angelegt. Bezeichnenderweise unter dem Namen Schätzchen und die straffällig gewordene Frau Schatz nach Hause entlassen.

Susanne Schatz ist es sehr peinlich, dass man sie bei einem profanen Diebstahl erwischt und auch noch Aktenkundig gemacht hat. Sie weiß zwar von ihrer Schwäche für unbezahlte Kleinigkeiten, hat die ganze Angelegenheit bisher aber immer als harmloses Abenteuer angesehen, als kleine Zugabe zu den exquisiten, sicher auch überteuerten Sachen.
Auch wenn man bei der Polizei sehr nett mit ihr umgegangen ist, hat sie die Feindseligkeit der Verkäuferin tief getroffen, die sie wie eine gemeine Diebin festgehalten und der Staatsgewalt übergeben hat.
Sie weiß natürlich, dass sie ihren Hang zu den kleinen Mitbringseln besser unterdrücken sollte. Was ihr aber wirklich großen Kummer bereitet, ist die Vorstellung, ihrem Jochen diese Peinlichkeit beichten zu müssen.

Bis zu Jochens Heimkehr am Abend hat ihr sonniges Naturell aber schon dafür gesorgt, dass die unschöne Angelegenheit immer mehr geschrumpft ist bis hin zu einer Winzigkeit, die mit einer besonders liebevollen Zuwendung an den Göttergatten aus der Welt zu schaffen ist.
Jochen Schatz kommt also am Abend in den Genuss einer besonders zärtlichen Ehefrau und weiß sein Glück durchaus zu schätzen. Und dass, obwohl er inzwischen informiert wurde über das Ungemach, das seiner Liebsten zugestoßen ist.

Die verantwortungsvolle Verkäuferin hatte nämlich voll Stolz ihrem Chef bei seiner Rückkehr von ihrer Heldentat berichtet. Sie war erstaunt und frustriert darüber, statt überschwänglicher Lobreden nur tadelnde Nörgeleien, verbunden mit einem Vortrag zu hören, wie der unvermeidliche Schwund in die Preisgestaltung Eingang findet.
Gleich anschließend hatte der Ladeninhaber den hoch geachteten Herrn Schatz telefonisch über den bedauerlichen Irrtum einer Hilfskraft informiert und dass die unglücklicherweise erfolgte Anzeige selbstverständlich umgehend zurückgezogen würde. Gemeinsam entwerfen sie ein Milieu, welches die Polizei von der absoluten Harmlosigkeit der Angelegenheit überzeugen sollte.

Und so erfährt die Polizei, dass die Marotte der Frau Schatz bei den Inhabern der Butiken, Parfümerien und Feinkostläden in der Stadt bekannt ist und mit Herrn Schatz eine entsprechende Vereinbarung existiert, den Schwund an Kleinigkeiten diskret monatlich auszugleichen. Dass es sich also nicht um einen Diebstahl, sondern um eine geduldete Mitnahme handelt und die neue Mitarbeiterin durch ein Versäumnis des Inhabers bedauerlicherweise noch nicht entsprechend instruiert wurde.

Bei der Polizei ist man erleichtert, dass man die sympathische Frau Schatz nicht auf den dornigen Pfad der Justizverfolgung schicken muss. Zur Sache Schätzchen wird nichts mehr unternommen. Die Akte wird  wegen Geringfügigkeit geschlossen.

Jochen Schatz hatte den Schock bei dem Telefonat mit dem Inhaber der Butike schnell verdaut. Vor allem, weil jener es ihm auch sehr leicht gemacht und einen eleganten Ausweg gezeigt hatte.
Weil er seine Frau wegen ihrer vielen wunderbaren Eigenschaften geradezu abgöttisch liebt, kommt er auch überhaupt nicht auf die Idee, zu Hause ein Donnerwetter zu inszenieren, das Haushaltsgeld zu verknappen, eine Therapie einzufordern oder ähnliches. Herr Schatz ist ein kluger Mann. Daher erweitert er klammheimlich die neu geschaffene Vereinbarung mit der Butike auf alle anderen einschlägigen Läden in der Stadt, bei denen seine Frau Kundin ist.

Er kann es sich finanziell leisten. Auch wenn er sich darüber im Klaren ist, dass er bald den gesamten Schwund dieser Läden, vielleicht auch noch ein bisschen mehr, übernehmen wird.
Dafür hat er aber daheim eine wunderbar ausgeglichene Frau, die ihm auf vielerlei Art eine ideale Partnerin ist.

Und das Schätzchen? Sie ahnt sehr wohl, dass ihr kluger Mann etwas damit zu tun hat, dass sie von der Anzeige nichts mehr gehört hat. Das findet sie schließlich bestätigt von der Verkäuferin, die ihr eigentlich nicht vergönnt, so ungeschoren davongekommen zu sein und sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen kann.
Ihren Jochen liebt sie dafür umso mehr.
Trophäen nimmt sie nur noch selten mit und auch nur dann, wenn sie es für angebracht hält.

V1