Von Evelyn Kofler
Es war ein ruhiger Abend im Dezember. Elyse sass vor dem Kamin und strickte. Stricken war ihre Leidenschaft seit über 40 Jahren. Sie strickte Socken für die Enkel, die Urenkel und gelegentlich auch für sich. Mal Bettsocken, mal Kuschelsocken, mal farbig und manchmal einfach nur weiss. Stricken wirkte sich sehr meditativ auf sie aus und so auch an diesem besagten Abend, als sie, gemütlich in ihrem kleinen Häuschen an der Willerby-Street in ihrem Schaukelstuhl sass. Draussen blies ein fieser Wind und Elyse, die nun schon über 70 war, fand es doch ein wenig ungemütlich. Sie hob sich aus dem Stuhl, stützte sich dabei auf den Lehnen ab. Ja, sie war auch nicht mehr die Jüngste, dachte sie. Das ging alles auch schon einfacher. Sie nahm den Korb, der neben dem Kamin war und ging raus, um ein wenig Holz hinter dem Haus zu holen. Ihre klammen Finger hielten den zur Hälfte mit Holz gefüllten Korb fest. Als sie wieder ins Haus kam, hörte sie ein komisches Geräusch aus dem Wohnzimmer. Sie drückte sich mit dem Rücken an die Wand, Angst kam in ihr hoch. Langsam schob sie sich in Richtung Wohnzimmer. Den Korb hatte sie abgesetzt, jedoch vorher einen Holzscheit entnommen, falls sie sich wehren müsste. Nun, sie wusste, dass egal wer da drin war, ihr körperlich überlegen war, aber das Stückchen Holz gab ihr Sicherheit, wenn auch nur um sich an etwas festzuklammern. Sie wagte einen Blick um die Ecke und sah, dass da jemand im Kamin steckte. Wahrhaftig, da steckte jemand im Kamin und die schwarzen Schuhe lugten unten raus und zappelten. Die Person im Kamin hustete. Elyse traute sich nach vorne, die Situation schien ihr sicher. Sie war sich sicher, dass es sich um einen Herren handelte. Sie klopfte mit dem Scheit auf den Boden und sagte: «Der Herr, was machen sie in meinem Kamin bitteschön? Sind Sie ein Einbrecher?»
«Natürlich nicht», hustete eine tiefe Stimme zurück.
«Bei mir gibt es auch nichts zu holen. Was tun sie denn da?», fragte Elyse
«Helfen Sie mir bitte raus, gute Dame. Ich krieg kaum noch Luft», hustete es weiter.
Elyse gab sich einen Ruck, zog den Herrn an den beiden Beinen runter bis es nachgab und der Körper in den Kamin runterplumpste. Eine grosse Aschewolke füllte den Raum, Elyse und der Unbekannte mussten wieder husten.
«Danke», sagte der Mann. Elyse schaute ihn kritisch an, von oben bis unten. «Sagen Sie mal der Herr, sie tragen aber wahrlich komische Kleidung. Gehen Sie etwa auf den Karneval?» Elyse zog eine Augenbraue hoch, musterte die rotsamtene Kleidung des Fremden. Besonders komisch fand sie den weissen Bommel am Ende der Zipfelmütze. Wer trägt denn sowas?
«Nein nein, meine Gute. Das ist meine Arbeitskleidung», der Herr lachte und klopfte sich die Asche von den Kleidern.
Elyse wurde langsam ungeduldig, was wollte der Mann da in ihrer Stube?
«Kommen Sie zur Sache, Schätzchen!», Elyse hob mit Befehlston den Finger, «was machen Sie hier drin?»
«Na, was wohl?», der Herr lachte wieder und zwirbelte seinen weissen Bart. Er nahm hinter seinem Rücken einen Sack hervor. Herrje, jetzt werde ich in den Sack gesteckt, dachte sich Elyse und schlug die Hände ins Gesicht, um sich die Augen zuzuhalten. Der Mann war verunsichert, er legte ihr etwas auf den Tisch. «Bis zum nächsten Mal!», rief er. Elyse spürte einen Luftzug und nahm die Hände vom Gesicht, sie zitterten. Der Mann war weg, dafür lag auf dem Stricktischchen ein Paket, eingepackt in goldenes Papier und einer schönen roten Schleife. Elyse fand das alles sehr seltsam. Sie ging in die Küche, schenkte sich ein Glas Wasser ein und nahm ihre Alzheimer-Tabletten.
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