Von Andreas Wickli
Es ist kurz nach Mittag und ich sitze im Park auf dem Gelände des Universitätsspitals. Eigentlich sitze ich fast immer um die Mittagszeit hier und beobachte das Geschehen im Park. Natürlich nur, wenn es das Wetter erlaubt. Der Park ist öffentlich und erlaubt es jedem für ein paar Minuten der Stadt zu entfliehen. Unglaublich, was die Grünflächen und der alte Baumbestand für eine Wirkung ausstrahlen. Sogleich macht sich Entspannung bemerkbar. Patienten sowohl als auch das Pflegepersonal nutzen diesen Garten Eden für ihr Wohlbefinden und für Gespräche untereinander. Ich hingegen, bin eher introvertiert und scheue den Kontakt zu anderen. Doch insgeheim sehne ich mich danach, Nähe zu spüren oder eine neue Bekanntschaft zu machen. Wie lange es seit dem letzten Mal schon wieder her ist? Ich kann mich gerade nicht mehr daran erinnern. Vielleicht verdränge ich es aber auch einfach. Wir männlichen Wesen haben so unsere Mühe mit Beziehungen die abrupt enden. «Harte Schale und weicher Kern» – da ist wohl was dran. Die letzte Beziehung wurde eigentlich ausschließlich auf körperlicher Ebene geführt. Kaum Dialoge – kurze intensive Treffen – pure Emotionen. Mein Hirn versucht stetig diese Erinnerungen in einen Wachtraum zu verwandeln, um all das Erlebte noch einmal Revue passieren zu lassen. Ihre Augen waren so verführerisch und ihre Grazie, wenn sie sich bewegte – ein Gedicht. Ich konnte mich an ihr nie satt sehen. Das wusste sie auch und verführte mich mit ihren erotischen Bewegungen, bis sie mich dort hatte, wo sie wollte. Sie trieb dieses Spiel oft bis zum Äußersten und ließ mich fast darunter leiden. Doch die Marter hatte auch ihren Reiz, denn in Gedanken verführte ich meine Kleine bereits während ihres lasziven Vorspiels.
Was für ein fürchterliches Geratter? – Jäh werde ich vom Lärm eines Infusionsständers auf dem Natursteinboden aus meinem Tagtraum gerissen. Just in dem Moment registriert meine empfindliche Nase zudem diesen penetranten Spitalgeruch, der wohl von dem älteren Patienten stammt, der sich gerade neben mich gesetzt hat. Ich ertrage einfach bestimmte Duftnoten nicht, schon gar nicht während meiner Ruhepausen. Fast jähzornig, entferne ich mich von der Parkbank. Mein kurzer Blick zurück, lässt mich in ein sichtlich verdutztes Gesicht blicken. Tut mir ja leid, aber meine Gedanken waren gerade eben interessanter, als dass ich mich auf einen langweiligen, einseitigen Smalltalk hätte einlassen wollen. So gehe ich den schmalen Weg entlang in Richtung der mächtigen Eiche und lasse den etwas verdutzten alten Mann hinter mir. Unheimlich welch großen Schattenwurf der mächtige Baum erzeugt. Kaum zu glauben, aber die Sonne dreht trotz Spätherbst noch einmal gehörig auf und es lässt sich in der prallen Sonne kaum aushalten. So bin ich eigentlich gar nicht unglücklich, dass ich meinen angestammten Platz habe aufgeben müssen. Zudem gibt es in der Nähe der alten Eiche noch einen Kräutergarten mit wohlriechender Minze. Dort fühlt sich mein sensitives Riechorgan gleich viel wohler. Ich hatte seit jeher eine Passion für den guten Geschmack und zwar alle Sinne betreffend.
Kaum an meinem zweiten Wohlfühlplatz angekommen, wird meine Aufmerksamkeit auf etwas ganz Besonderes gelenkt. Ich möchte ja gegenüber dem weiblichen Geschlecht nicht unhöflich sein, aber es gibt Momente, wo es uns starkem Geschlecht einfach unmöglich ist, nicht hinzusehen. Leider mutiert das Sehen dann oft in ein Starren und gerade hier fängt der Kontrollverlust an. Ob dies am Testosteronspiegel liegt oder am im Ur-Hirn verankerten Fortpflanzungstrieb, wir Herren der Schöpfung wissen es schlichtweg nicht, es geschieht einfach. Zu diesem Extremverhalten werden wir verleitet, wenn uns eine feminine Gestalt durch ihre Wesensart, ihren Gang, ihre Augen oder manchmal auch alleine durch ihre Anwesenheit verführt. Es ist oft kaum in Worte zu fassen, was exakt uns daran fasziniert. Man könnte auch vereinfacht sagen, sie passt exakt in unser Beuteschema, obschon wir ja nicht wirklich auf die Jagd gehen. – Gemächlich, fast etwas verträumt geht dieses unheimlich geschmeidige Wesen den Durchgangsweg zum oberhalb des Unispitals gelegenen Stadtteil entlang. Was für eine Schönheit und was für eine Ausstrahlung – ihre Körperproportionen sind so reizvoll. Kaum zu glauben, wie sie mich in den Bann zieht. Ob sie mich wohl auch bemerkt hat? Kaum zu Ende gedacht, dreht sie ihren Kopf zu mir, nur kurz, aber lange genug um mir das Gefühl zu geben, sie fand den Blickkontakt ebenfalls interessant.
Plötzlich zischt es fürchterlich neben mir und sogleich bin ich auch schon pitschnass. Der Rasensprenger scheint es auf mich abgesehen zu haben, wohin ich auch flüchte, der eiskalte Wasserstrahl verfolgt mich mit jedem Laufschritt. Verdammt warum gerade jetzt!? Mein suchender Blick in Richtung meiner Venus verrät mir – sie ist leider schon weg. – Nun gut, die Natur hat es ja nötig, es ist in den letzten Wochen kaum Regen gefallen und die Bäume haben mittlerweile schon genug Mühe, durch ihre Wurzeln überhaupt an Wasser zu kommen. Eigentlich könnte ich mich hier direkt auf die Bank legen und ein kleines Nickerchen machen. Die Temperatur ist hier angenehm und es scheint auch gerade kein weiterer Patient nach Gesellschaft Ausschau zu halten. Gesagt getan, nehme ich die Parkbank in Beschlag und bin nach kurzer Zeit eingenickt. Mein leichter Schlaf hat aber sogleich einen Begleiter. Ein wunderschöner Traum bahnt sich an.
In meiner virtuellen Welt ist es wieder Sommer. Das Buschwerk erstrahlt in bunten Grüntönen und wird von der nahen Blumenwiese in ein wunderschönes Gemälde verwandelt. Ich liege auf einer Decke und als ich meinen Körper mehr in Richtung Mitte der Picknickdecke bewege, spüre ich hinter mir einen sanften Körper. Da ich mich der Berührung mehr hingeben möchte, mache ich dies durch sanften Gegendruck bemerkbar. Sogleich spüre ich, wie mein Rücken eine sanfte Massage erhält. Wie gut es doch immer wieder tut, solch einfühlsame Berührungen zu genießen. Nun fühle ich ihre Nase in meinem Nacken. Sanft streicht sie um meinen Hals. Eine wohlige Wärme macht sich in mir breit, mein Inneres schreit nach mehr, doch ich lasse uns Zeit. Zeit die man sich oft nicht gibt, die aber so wertvoll und so viel Geborgenheit verspüren lässt.
Von einem wundervollen Gedanken zum anderen, werde ich durch lautes Hundegebell aus dem Schlaf gerissen. Ein Dobermann jagt herrenlos und ohne Leine durch den Park. Weit und breit ist noch kein Besitzer auszumachen. Der Hund hat sichtlich seine Freude ob dem jungen Dalmatiner den er da gerade verfolgt. Die Hetzjagd hat dann doch noch ein gutes Ende. Zwei sichtlich verstörte Hundebesitzer tun gerade ihr Bestes, die zwei wildgewordenen Vierbeiner wieder an die Leine zu kriegen. Nur schade, mein wunderschöner Traum ist auch weggerannt. Trotz allem, ich bin immer wieder ob meiner blühenden Phantasie fasziniert, möge sie mein Leben noch lange versüßen. Durch meine ständig abschweifenden Gedanken verwirrt, suche ich erneut einen ungestörten Platz im Park. Da war doch noch der alte Weg am Teich vorbei. Die Pflastersteine wurden zwar bereits entfernt um das Grün wieder drüber wachsen zu lassen. Doch alte Hasen wie ich, kennen diesen versteckten Pfad natürlich noch. Kaum zehn Schritte gegangen, treffen sich erneut die zwei Augenpaare von vorhin. Wie versteinert bleibe ich an ihren wunderschönen Augen kleben. Sie macht keine Anstalten ihren Blick abzuwenden. Wow – göttlich ihre Gestalt! Mit einem einladenden Kopfschwenk lade ich sie ein mir doch zu folgen. Was sich hier gerade abspielt, ist das Realität oder gaukelt mir mein Kopf etwas vor? Ein kurzer Blick über meine Schulter verrät mir, es passiert wahrhaftig, sie folgt mir. Ich verlangsame meine Schritte, drehe mich langsam um und genieße diesen Moment des ersten Aufeinandertreffens. Irgendwie fremd und doch so vertraut. Trotz nonverbaler Kommunikation verstehen wir uns scheinbar blind. Mit einer verführerischen Berührung an meiner Seite, gibt sie nun mir zu verstehen ihr zu folgen. Ihre Aufforderung hätte bei mir auch ohne Berührung funktioniert und von ihrem femininen Duft bin ich längst in den Bann gezogen. Kaum zu glauben wie stark ihre Pheromone wirken. Wie in Trance folge ich ihr in kurzem Abstand bis wir beim alten Teich angelangt sind. Sie dreht sich zu mir um und schaut mir tief in die Augen. Sie bittet mich nicht um Feuer, nein, sie entfacht es gleich in mir. Langsam legt sie sich im kurzgeschnittenen Gras auf den Rücken, dreht sich sogleich auf den Bauch und geizt dabei nicht, mich mit ihrer Schokoladenseite komplett aus der Bahn zu werfen. Sanft knabbere ich an ihrem Hals und flüstere ihr in Gedanken ins Ohr: «Jetzt geht’s zur Sache, Schätzchen!» Schnell spüren wir, dass unsere Körpersprache in Harmonie geht. Wir genießen sogleich jede noch so feine und intime Bewegung. Im Liebesrausch versunken, geben wir uns ohne Scham unserem Verlangen hin. Langsam umkreisen wir unseren gemeinsamen Höhepunkt und geraten mehr und mehr in Ekstase. Ungezählte Minuten vergehen in glühender Erotik unter freiem Himmel. Erschöpft und erlöst liegen wir noch einige Zeit im Park. «Ist die Natur nicht wunderbar» -flüstere ich in den Himmel? Wie besagt doch ein altes Sprichwort – «Gelegenheiten sollte man wahrnehmen, wer weiß ob sie wiederkommen.»
Von weitem vernehmen wir plötzlich eine Stimme rufen. Es ist der Hausmeister vom Universitätsspital. Den fragenden Blick meiner neuen Liebschaft beantworte ich mit einem Wink mit dem Kopf: «Folge mir!» Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Lieferanteneingang. Sanfte Berührungen lassen mich wissen, dass wir von nun an zusammengehören. Am breiten Eingangstor angekommen, erblicke ich, was ich erwartet hatte. Dort stehen wie jeden Tag zwei Schälchen Katzenfutter am Boden. Heute gibt es zur Feier Fisch für uns Frischverliebte. Ich könnte mir kein schöneres Herrenleben vorstellen, denn dasjenige als Kater im Park des Unispitals.
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