Von Marianne Apfelstedt
Es gibt Menschen, die leuchten wie die Sterne am Himmel. Funkelnde, strahlende Schönheiten, oben schwimmend im Strom der Zeit. Auf ihren Wegen ziehen sie die Blicke der Vorbeieilenden an, wie Magnete. An den Kassenschlangen werden sie vorgelassen, ohne zu fragen. Daneben gibt es die Anderen. Sie sind wie Walnüsse am Baum, unscheinbar. Erst wenn die Frucht reift, bekommt sie Risse, enthüllt die harte Schale, darunter verborgen der weiche Kern. Diese Menschen sind auf der Straße unbeachtet, transluzent im Blick der vorbei hastenden Passanten.
Zu dieser Sorte gehöre ich. Von Montag bis Freitag bin ich Frau Biedermann, da arbeite ich im Supermarkt um die Ecke. Genau da, wo die Wurst an der Theke bis auf ein Gramm exakt abgewogen wird. Ich ziehe die Einkäufe von Huber und Müller über das Band, zähle die Retour-Groschen und wünsche den Kunden einen schönen Tag. Bin immer pünktlich bei der Arbeit, jeden Tag von 8.00 bis 18.00 mit langer Mittagspause. Auf dem Heimweg bin ich die Frau im beigen Mantel, den Kopf zwischen die Schultern geklemmt, um kleiner zu erscheinen. Zuhause putze ich einmal im Monat die Fenster und beziehe mein Bett jede Woche frisch. Herrenbesuch gibt es bei mir nicht. Wozu auch? Mit straßenköterblondem Bob, mausgrauen Augen und grobem maskulinen Körperbau bei einer Größe von 1,80 bin ich den meisten Männern nur im Sitzen einen Blick wert.
Freitags wird die Schale gepellt. Die Dämmerung kehrt mein Inneres nach außen. In der Duschwanne entferne ich die nachgewachsenen Stoppeln an Beinen, Achseln und der Scham. Nach dem Duschen benutze ich von Kopf bis Fuß das Bodyöl mit Kokosduft. Das kurze Haar kämme ich mit Wachs zurück, es glänzt wie Schokoladenguss. Auf dem Bett liegt die schwarze Lederhose, das Penisimitat täuscht das Fehlende vor. Ein weißes Achselshirt versteckt die Hühnerbrust. Mein sehniger Körper sieht im Spiegel exzellent aus. Durch Lidstrich und Highlighter erstrahlen die Augen in mattem Platin. Der dunkle Oberlippenbart macht die Annäherung an mein Idol komplett. Das markante Kinn unter dem Bart wirkt jetzt männlich. Ich werfe mir einen sexy Blick aus dunkel getuschten Wimpern zu, betrachte wohlwollend den knackigen Po in der hautengen Lederjeans. Stolz richte ich mich auf, strecke den Schwanenhals. Mit den Biker Boots sind die langen Beine bestens in Szene gesetzt. Schwarze Lederjacke und Mütze vervollständigen mit der Piloten Sonnenbrille das Outfit in dieser Nacht. Bevor ich die Wohnungstüre schließe, raune ich dem Spiegel im Flur zu „Zur Sache Schätzchen! Die Fans warten.“
Mit polternden Schritten und Hüftschwung tänzle ich die Treppe hinunter, auf den Weg zu meinem Auftritt mit der Chippendales Cover Group. Die Sterne leuchten heute nicht nur am Himmel.
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