Von Bernd Kleber
Wir blicken in ein kleines Wohnzimmer, welches so liebevoll dekoriert wurde, als wäre es für die Zeitschrift „Schöner Wohnen“ hergerichtet worden. An den Thermofenstern glitzern gesprühte künstliche Eisblumen. Ein rotes Licht erleuchtet immer wieder blinkend den Raum, wie beim Alarm auf einem sehr bekannten Raumschiff, welches durch unendliche Weiten treibt. Jedoch ist nur ein leises Knistern von Papier zu hören.
An der Wand zwischen den beiden zuckerbegussten Fenstern steht ein Weihnachtsbaum. Er strahlt in klassisch gelbwarmem Ton. An ihm hängen winzige Strohsterne und Spielzeuge aus Holz im Retrolook. Es ist Nacht, längst nach drei Uhr.
Vor dem Baum kniet murmelnd ein Mann und richtet verpackte Geschenke zu kleinen Türmchen und Pyramiden auf. Ein Päckchen wehrt sich und springt weit unter die stacheligen Äste. Er muss sich tief beugen und strecken, es zu erreichen. Er rudert mit dem Arm ruckartig, macht schnelle Bewegungen, als stünde hinter ihm ein Kommandeur und mahne zur Eile. Dann blickt er zur Uhr.
„Mist, verdammte Kacke! Kann denn nicht einmal was funktionieren?“, flucht er flüsternd vor sich hin.
Ein Knacken! Er richtet sich schlagartig auf und hält die Luft an. Eine Gänsehaut läuft ihm über den Rücken. Die Zimmertür knarrt. Ganz langsam öffnet sie sich, als hätte die Nacht auf Zeitlupe umgeschaltet. Das Geräusch wechselt zu einem Quietschen bei fünfundvierzig Grad geöffnetem Winkel und stoppt abrupt, wie die Bewegung der Tür.
Die Hand, die die Klinke gedrückt gehalten hatte, kommt zum Vorschein. Der Mann lässt die Türfüllung nicht aus den Augen. Durch sie schiebt sich ein kleines Mädchen.
Lisa!
Mit hellblauem Nachthemd, welches am Kragenausschnitt mit weißen Schleifen verziert ist. Sie hat einen Teddybären dabei. Der kniende Mann fragt gedämpft:
„Was machst du denn hier? Es ist Schlafenszeit. Du zerstörst ja die ganze Überraschung! Ab ins Bett ganz schnell!“
„Hi!“, mit langgezogenem …ei antwortend, „ich wurde wach und habe dich kramen gehört.“
„Ab ins Bett, ich sage es nicht nochmal!“, er war ein wenig lauter geworden.
„Nö! Du hast mir gar nichts zu sagen. Wir schlafen ja jetzt eigentlich“, grinst das Mädchen und wirft seinen Zopf auf ihre Rückseite.
„Pass mal auf, auch nachts habe ich etwas zu sagen oder gerade dann erst recht!“. Der Mann schüttelt den Kopf.
„Was machst du da?“, bewegt sie sich gähnend näher auf ihn zu.
„Siehst du doch, bereite etwas für dich und alle anderen vor.“
„Ich will eine Puppe! Habe ich bestellt.“
„Wie … Puppe … bestellt?“
„Na beim Weihnachtsmann!“ Sie sieht ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ihr Blick schweift nun suchend durch den Raum.
„Das glaube ich nicht. Das wüsste ich wohl. Du hast ein Auto bestellt. Und alle haben gesagt, das ist doch ein Jungenspielzeug. Dann kam Mutti und meinte, dass du auch mit Autos spielen darfst. Heutzutage sei das egal.“
„Ja, ein Auto mit Bagger!“
„Wie bitte?“, räuspert er sich, „Ein Bagger ist kein Auto, sondern ein LKW! Du hast ein Auto gewünscht.“ Nun verdreht er die Augen und hebt seinen Zeigefinger.
„Ich will ein Auto zum Baggern, wo hinten drin Vater, Mutter, Kind und Oma wohnen können. Mit Puppengeschirr, Töpfe, Teller, Tassen und so.“
„Das ist ein Wohnmobil und zum Baggern gibt’s das nicht.“
„Doch, habe ich schon selbst gesehen, da, wo die Bauarbeiter wohnen.“
Er schaukelt seinen Kopf und atmet mit einem pustenden Geräusch aus. „Das war bestimmt ein Bauwagen und davor stand ein Bagger.“
„Kann sein“, schmollt das Mädchen, „genau das will ich ja. In blau!“ Sie wurde ganz leise.
„Bist du sicher?“, fragt er sie und blickt mit in Tsunami-Wellen gelegten Augenbrauen.
Der Teddy fällt, sie reibt sich ihre Augen. Dann holt sie tief Luft und breitet die Arme weit aus. „Ich möchte da drin sitzen wie in einem Tretmobil, so eins wie Lukas hat, von Unten, der rollt damit ganz schnell immer Runden im Hof. Ich kann das auch schon.“ Dann lässt sie die Arme sinken, als hätte sie sehr schwere Gegenstände ziemlich lange in die Höhe gehalten.
Er schlägt seine Hand an die Stirn. „Also, Lisa, willst du nun einen Bagger? Tretmobil kannst du sofort vergessen!“
Lisa zupft an einer weißen Schleife. Die öffnet sich. Nun beginnt sie mit ungelenken Fingern die Bänder zu binden. Sie versucht es jedenfalls. Stöhnt!
„Mann!“, mit langgezogenem „a“, „Ich meine die Schleife.“ Entschuldigt sie sich kopfnickend. „Ich wünsche mir einen Bagger und eine Puppe, die ich da reinsetzen kann. Mutti sagt, die nennt man dann Bauarbeiterin.“ Das „in“ betont sie extra laut.
„Eben wolltest du zusätzlich den Bagger.“
„Die Puppe auch! Ich habe ja noch keine, die, wie Aluna hat. So eine Puppe möchte ich.“
„Wie sieht denn die aus?“, brummt er zurück.
„Sie sieht hübsch aus, ganz süß. Und sie kann pipi machen und hat Windeln. Und einen Schniedelwutz, obwohl sie ein Mädchen ist. Sie kann sogar stehen und laufen und man kann die Windeln abmachen, dann pullert sie ein. Und so eine Puppe gibt es bei Neumanns an der Ecke, sitzt da im Schaufenster.“
„Du darfst jetzt überlegen Auto oder Pipi-Puppe.“ Er denkt über die zwittrige Puppe nach, sagt dazu aber nichts.
„Nur eins? Und du hast gesagt, dass das Auto LKW heißt.“ Sie nickt heftig.
„Du bekommst ja noch mehr als das Auto. Aber weil du mich hier nun überfallen hast und ins Bett sollst, darfst du ein zusätzliches Geschenk auswählen. Eins! Aber dafür musst du jetzt sofort ins Bett.“ Er hebt seine Hand und wedelt mit ausgestrecktem Zeigefinger ihr zu.
Sie macht die Gebärde nach. „Okay! Dann nehme ich die Puppe, aber doch lieber eine blonde Puppe. Die bei Neumanns hat braune Haare. Dann sieht sie nicht wie Aluna aus. Und auch nicht wie ich. Und wir pullern ja nicht mehr ein, sind ja schon groß. Ein Aschenputtel wie im Märchen, so soll sie aussehen. Ja! Das ist viel besser. Duhu?“
„Ja?“, rollt er die Augen.
„Kann ich nicht einen Bagger, so klein … “, sie hält beide Hände auf Abstand, dass drei von den Strohsternen vom Baum dazwischen passen könnten, „… bestellen?“
„Mal sehen, was sich machen lässt. Aber nun musst du ins Bett.“
„Du … musst … versprechen, … nicht … zu … lügen“, spricht jedes Wort gedehnt und langsam, die Kleine. Will ihren Vertrag absichern.
„Pass mal auf! Zur Sache Schätzchen! Ich lüge nie und muss heute noch weiter, Rudolf scharrt schon mit den Hufen und ich muss noch mehr Geschenke verteilen. Du hast einen eindeutigen Wunschzettel ausgefüllt und das schon kurz nach Ostern. Den kann ich dir zeigen. Ich habe hier nicht ewig Zeit!“
„Okay!“, sie zieht das „…ay“ ganz lang, „Du legst mir da noch einen LKW hin und ich verschwinde ins Bett und verrate Mutti und Papi auch nicht, dass ich dich hier erwischt habe. Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an.“
Nun kramt er hektisch in dem großen Jutesack, der neben ihm steht. Zerrt ein in hellblaues Papier gehülltes Paket hervor, auf dem Wichtel Schlittschuhe laufen. Er reißt das Etikett ab, liest. Dann sucht er unter dem Baum, wühlt, wirft die aufwendig gestaltete Pyramide um. Nimmt ein Paket in rosa Papier, auf dem Christkinder in Nachthemden, ähnlich wie das der Lisa, flattern, und zupft auch hier das Schildchen ab. Er spuckt auf das eine und dann auf das andere Namensschild, klebt die auf das Geschenkpapier. Dann verstaut er im Sack das rosa Paket und schleudert das blaue unter den Baum zu dem Stapel, der jetzt an ein Erdbeben erinnert, nachdem er es noch einmal hochgehalten hatte und Lisa mit gekniffenen Augen ansieht. Sie lächelt. Dann kramt er wieder und holt ein rehbraunes Paket hervor, auf dem Sterne blinken. Mit einem Stift, den er aus der Jacke fischt, schreibt er in großen Lettern „LISA“ darauf und wirft es ebenfalls unter den Baum. Er schaut erneut zur Uhr, knurrt laut und verbleicht ätherisch samt Jutebeutel zu einem Nichts.
Sie lacht und macht die eben erlernte Zeigefingerbewegung. „Das Leben kann so schön sein!“, mit langgezogenem „o“! Dann angelt sie ihren Bären mit weit ausgerecktem Arm, kippelt, greift sein Ohr, legt ihn in ihren Schoss und rollt mit Ihrem Stuhl lautlos aus dem Raum.
Hat der Teddy eben „Aua!“ gebrummt?
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