von Bernd Kleber

 

Da standen wir nun in diesem kalten, zugigen Hausflur und über allem hing das Plärren unserer kleinen Luise, meiner Enkeltochter. Naja, also angenommene, vom Mann meiner Tochter. Der Weihnachtsmann steckte im Fahrstuhl fest, mein verkleideter Sohn. Klara, meine Freundin, rief aus der Wohnung: „Emaille oder Alutopf?“. Ich verdrehte die Augen und erwiderte: „Den Topf mit der Ausgießtülle!“ Dabei dachte ich, sicher muss ich es ohnehin gleich selbst machen. Was ist daran so schwer Glühwein zu erwärmen? Kann meine Freundin überhaupt was alleine? Sie merken schon, ich erzähle von einer dramatischen Familienfeier an Heiligabend. Hören Sie gut zu!

Viel komplizierter war es nun, das Kind Luise zu beruhigen. Ich nahm sie auf den Arm und sie heulte weiter, als wäre heute der letzte Tag der Erde. Man weiß ja nie, Kinder haben ja so Ahnungen. Nicht nur, dass mir das Mädchen leidtat, nein, ich war froh, dass Benjiro, mein Sohn, nicht weinte, denn der ist erwachsen. Er, als Weihnachtsmann verkleidet, steckte im Fahrstuhl fest. Der Vater von Luise hatte irgendwelche Handwerker angerufen, die wohl gemeint hatten, es gäbe heute viel zu tun. Am Heiligabend? Alle als Weihnachtsmänner unterwegs, oder was gibt es da zu tun?

Klara kam auf den Flur, „Hilde, soll ick beede Pullen rinnjießen oder erstmal nur die eene?“.

„Mensch, Klara, dit sind doch sowieso zwee unterschiedliche Sorten, eene Pulle is Vanille-Punsch, die andere Christkindelglühwein aus Nürnberch, also eene nach der anderen!“

„Oh, Mist, dann trinken wa jetzt eben Christkindelvanillepunsch, weil, sind beede schon im Topp!“

„Wat fragste denn dann erst, na dit wird ja ne Plörre wern, bin jespannt, aber ejal, ick brauch dit jetz! Wat machen denn die Männerse?“

„Die kieken irgend nen Sport inne Glotze!“ „Heute, uff Heilichabend, wo is denn da Sport?“ „Hilde, sicher da, wo heut keen Heiligabend is, in Dubai oder so? Keene Ahnung!“

Luise hatte sich plötzlich beruhigt, bestimmt, weil wir beiden Alten son Quatsch gelabert haben. Ich schaukelte sie ein wenig und ging mit ihr auf und ab. Dabei stellte ich fest, dass so ein Kind dann doch schon ganz schön schwer ist.  Luise griff meine Wangen und schaute mir mahnend in die Augen. „Oma Hilde, was machen wir denn nun, wir müssen doch den Weihnachtsmann und den Benni retten! Bestimmt frieren die.“ Da merkte ich wie das Kind schlotterte, war eben kalt auf dem Flur. Ich stellte sie wieder auf ihre eigenen kleinen Tapperchens und wischte ihre feuchten Wangen ab.

Wir lauschten nun beide am Fahrstuhlschacht, Luise in Höhe meiner Knie, ich weiter oben. „Benjiro, auf welcher Etage steht ihr denn!“ Ich musste dran denken, dass wir ja so taten, als wäre Benjiro nicht allein im Schacht, äh im Korb. Ach, Sie wissen schon!

„Dit wees ick doch nich, hier is allet duster, nur rotit Licht und det blinkt wie blöde!“

„Musst du dem Weihnachtsmann die Mütze über die Augen ziehen!“, rief Luise. Ich verstand es nicht, aber sagte nichts dazu. Ich nahm das Kind an die Hand und ging mit ihm eine Etage tiefer. „Sag mal was!“, rief ich in den Schacht durch den verschlossenen Schlitz. Luise und ich lauschten.

„Watten?“, kam es mit Hall.

Ich sah Luise an und wir gingen noch eine Etage tiefer. „Du Mutti, Jimmy und ich gehen in die Wohnung und warten dort. Ihr seid ein duftit Team!“, rief uns Hannah hinterher.

„Ja, schon gut“, erwiderte ich und prüfte Richtung Schacht, „Hallo?“ Man vernahm deutlich, dass wir dem Korb mit Benjiro näher waren.

Bald hatten wir mit der Methode erreicht, dass wir sicher waren, der Personenbeförderungskorb war nur wenige Meter unter uns. Sie glauben ja gar nicht, wie man als Mutter und Oma mit den Kindern mitleidet.

„I wonder what we’ll say when the elevator’s fixed and I’m in here without Santa.”

“Wat redest du da, ick versteh nur Bahnhof!“

Luise sah mich fragend an: „War bestimmt der Weihnachtsmann, der kann ja jede Sprache!“

„Say what we say, when there’s no Santa here!”

Luise sah mich fragend an.

Ich verstand mit meinen Rudimentatäre oder wie man so letzte Reste nennt, was mein Sohn meinte. Ja, wir sollten uns etwas ausdenken und zwar schnell, sehen Sie sicher genauso, oder?

„Luise, möchtest du nicht auch oben in der Wohnung warten?“, fragte ich vorsichtig, die, die wie eine Klette an meinem Hosenbein hing. „Nein!“, war die sehr laute und eindeutige Meinung.

„Benjiro, kann es sein, dass der Weihnachtsmann ohnehin weiter muss wegen der vielen anderen Kinder?“, fragte ich mit roboterhafter Stimme wie eine Bandansage bei der Telekom.

„Ja!“ scholl es aus einem Meter fünfzig Tiefe.

„Luise, der Weihnachtsmann muss nun Zauberkräfte anwenden und zu den anderen Kindern, er kann ja hier nicht durch den Schornstein, aber er kann oben aus dem Fahrstuhlschacht rausfliegen“, kündigte ich an.

„Nein!“ behauptete die Kleine.

 Ich war tatsächlich besorgt, wie wir das regeln wollten, dass Luise nicht den Glauben an den Mann verlor, bevor sie das Alter dafür erreicht hatte.

„Ick gloobe, der macht sich jetzt vom Acker!“, rief Benji.

Ich hatte keine Ahnung, wie er das meinte, aber es stimmte mich ein wenig froh, das können Sie mir glauben. Oder was hätten Sie in dieser Situation gemacht? … Ja, ja, einer muss ja immer klug schnaken, war ja klar!

Aber hören Sie mal, wie es weiter ging.

Jimmy, der Vater von Luise, kam mit einem Brecheisen die Treppe herunter. „Sitzt er hier fest?“, fragte er uns und blinzelte seiner Tochter zu. Luise, die, und das können Sie mir glauben, wirklich ein sehr kluges Kind ist, antwortete prompt: „Papa, sie sitzen fest, der Weihnachtsmann uhund Benjiro!“ „Ach ja, sie, Recht haste Lischen!“. Jimmy und ich sahen uns mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich hob beide Arme.

Nun stemmte Jimmy die Brechstange in den Schlitz und bekam sie dazwischen. Er hebelte, bis eine Öffnung entstand. Geschickter Kerl, können Sie glauben. Nicht wie mein Mann Herbert.

Danach griff er hinein und zog die beiden Türen auf, die sich zwar schwer bewegten, aber in dieser Stellung dann auch blieben. Wir blickten in Benjiros Gesicht, das sich auf Höhe unserer Waden befand. Luise schmiss sich auf den Boden und schrie: „Wo ist er, wo ist er? Sag schon!“

Benjiro sah sie mit gerunzelter Stirn an und antwortete am Rand einer Flüsterei, sie können sich gar nicht vorstellen, ich hätte mir beinahe die Ohren gebrochen. „Er ist oben rausgeflogen, ich soll dir liebe Grüße sagen, und deine Geschenke hat er hiergelassen.“

„Und die für Oma Hilde und Papa und Mutti und alle anderen?“, forschte Luise, die sehr einsichtig wirkte.

Benjiro schob den Sack auf die Etage und stemmte sich dann wie am Rand eines Schwimmbeckens hoch und kroch heraus. „Alle hier drin!“, lachte er und umarmte seine Nichte. Sagt man doch so, auch wenn sie angepartnert ist, oder?

Kennen Sie den Klassiker von Andersen, „Des Kaisers neue Kleider“? Bestimmt! Genauso trällerte Luischen los: „Aber, du hast ja gar nichts an!“

Das schallte so laut durch den Hausflur, dass ich mich sofort umblickte, wir waren ja vier Etagen unter unserer, und wer weiß, wen wir hier in der Ruhe des Heiligabends störten. Benjiro, den ich vor drei Stunden nochmal in seine Wohnung gejagt hatte, sich umzuziehen, dass er in das Weihnachtskostüm passte, stand nun vor uns in einer sehr eigenartigen Unterwäsche. Ich habe solche Plünnen jedenfalls noch nicht gesehen. Schuhe, Socken, und dieses Etwas. Benji sah mich mit verzerrtem Gesicht an, bis ich endlich wieder in eine andere Richtung blickte.

In dem Momang öffnet sich eine Wohnungstür und eine Frau betrat den Flur. „Ja, sagen Sie mal, was ist denn hier los und was macht denn der nackte Mann vor dem kleinen Mädchen und welche Rolle spielen Sie denn dabei? Ist das nicht die kleine Jordan aus der Fünften?“ Sofort jedoch verschwand sie wieder in der Wohnung, kopfschüttelnd. Ich schob schnell Luise vor mich her, mussten ja jetzt die ganzen Treppen wieder hoch, ohne die Hilfe durch die Aufzugtechnik. Verstehen Sie? Peinlich war mir das mit meinem halbnackten Sohn, halbnackt, er hatte ja sowas wie Wäsche an, glauben Sie mir. Aber ich geh mal lieber nicht ins Detail, dachte nur an Nierenbeckenentzündung.

Oben musste Benjiro mit Kleidung von Jimmy versorgt werden, die ihm ein bisschen zu groß war. Klara juchzte auf wie eine alte Jungfrau, die dumme Pute. Na jedenfalls sollte nach dem Abendbrot nun Bescherung sein.

„Bestimmt klopft es gleich nochmal, als Zeichen, dass wir jetzt auspacken dürfen!“, meinte Hannah. Ich ermahnte sie: „Wer soll denn jetze noch kloppen, sind heute alle bisschen Kotelett, bekloppt von beeden Seiten, ja, dit gloobe icke!“

Da klingelte es! Luise quiekte laut auf. Ich weiß auch nicht warum, vor Schreck oder weil gerade vom Klopfen gesprochen wurde.

Hannah eilte zur Tür und kam kreidebleich zurück. Hinter ihr zwei Polizisten.

„Guten Abend, uns liegt eine Anzeige vor. Ist hier alles soweit in Ordnung? Wer sind die Eltern des Kindes? Ist mit dem Kind alles in Ordnung? Gab es einen Vorfall mit einem Pädophilen oder einem Exhibitionisten? Können Sie dazu Auskunft geben? Wir müssen einen Bericht verfassen und benötigen von allen Anwesenden die Ausweise.“

Ich musste mich setzen. Klara plärrte: „Also mein Mann Erwin und ich gehören nicht zur Familie!“, griff dabei nach Erwins Arm, stand auf und zog an ihrem Mann. Unwürdig!

Benjiro ging sofort mit in den Flur, flüsterte und zeigte den Kommissaren das versteckte Weihnachtsmannkostüm im Sack. Sollte ja das Kind den Schwindel nicht merken. Sie verstehen mich, ja? Die Beamten entschuldigten sich lächelnd und gingen, nachdem sie den ganzen Schlamassel verstanden hatten. Im Flur erschienen dann auch noch die Handwerker, die wir gleich wieder wegschickten. Für uns war ja alles erledigt.

„Also da muss man sich ja überlejen, ob man bei Eurem Weihnachten mitmachen will!“, echauffierte sich meine Freundin.

„Klara, sach mal bei dir piept’s wohl oder haste zu viel warmen Wein jesoffen?“

Alle lachten und es wurde noch ein schönes Fest mit leuchtenden Kinderaugen und dem doofen Parföng von Klara im Julklapp, das niemand haben wollte. „Frohes Fest!“

V3/9988