Von Miklos Muhi

 

Ich sollte bereits im Zug sitzen. Stattdessen stehe ich auf einem Bahnsteig in der Vorstadt zusammen mit verärgerten Menschen herum. Auch sie würden gern in den Zug steigen. Doch seit 50 Minuten ist kein Zug gekommen. In einer Stunde kommen normalerweise sechs.

Laut Durchsage gibt es technische Probleme mit den Signalanlagen. Ich habe wohl schon wieder die Ehre, auf andere Verkehrsmittel auszuweichen und zusammengepfercht mit Fremden fast eine Stunde zu verbringen. Ich wohne JWD und selbst wenn alles bestens läuft, verbringe mindestens 90 Minuten am Tag auf öffentlichen Verkehrsmitteln.

Sich auf den Zug zu verlassen ist eine Unvernunft, die ich mir nicht länger als nötig leisten möchte.

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Laden und Werkstatt sind voll. Im Gegensatz zu den meisten Anwesenden weiß ich genau, was ich haben möchte. Alles ist vorrätig. Die an der Kasse genannte Summe ist schon happig.

Mit all dem Zeug kann ich nicht in die Straßenbahn steigen, also bestelle ich ein Taxi. Für das Wochenende bin ich nun beschäftigt.

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Gegen Sonntag Mittag bin ich mit der Reparatur fertig. Am Nachmittag sehe ich mir Straßenkarten an und lege mir eine Route zurecht. Die führt durch Teile der Stadt, die ich noch nie zu Gesicht bekommen habe. Das macht nichts. Wie schlimm kann es denn werden?

Kurz vor elf Uhr abends lege ich mich zufrieden und voller Erwartungen ins Bett.

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Als der Wecker piepst, bin ich schon seit Minuten wach. Die Morgenroutine ist schnell erledigt. Warnweste und Helm sitzen, das frisch reparierte Fahrrad steht bereit. Die Märzsonne scheint prächtig und vertreibt schnell die noch eisige Kühle des Morgens.

Fest im Sattel fahre ich los. Bald stehe ich vor einem Bahnübergang mit Lichtschranke. Sie blinkt rot. Die Schlange an beiden Seiten lassen zwei Schlüsse zu: Der Berufsverkehr ist in vollem Gange und das rote Blinken dauert schon etwas länger.

Es geht endlich weiter. An der nächsten Kreuzung muss ich nach links auf den Radweg. Die Blechlawine rollt jedoch unerbittlich zu meiner Linken und es ist schwer, eine Lücke zu finden.

Der Radweg führt durch ein Industriegebiet voller Chemiewerke. In der Luft breiten sich seltsame Gerüche in verschiedenen Intensitäten aus. Unter den Rädern reiht sich Schlagloch an Schlagloch, was den spärlichen Verkehr erklärt.

Die Straße neben dem Radweg ist stark befahren. Das macht die Reise lauter, als mir lieb ist. Bald kommt eine Strecke durch einen Park, da wird es bestimmt leiser.

Da ist sie auch schon. Allerdings endet der Radweg an einer vierspurigen Straße (die Schienen der Straßenbahn in der Mitte nicht mitgerechnet). Auf der anderen Seite liegt der Park.

Eine Ampel gibt es nicht. Ich soll eine Verkehrslücke durch vier Spuren und zwei paar Straßenbahnschienen im Morgenverkehr finden? Echt jetzt? Unmöglich ist das nicht, aber es dauert.

Die Strecke durch den Park endet an einer Ampel. Auf der anderen Seite geht es bergab. Das bequeme Rollen endet mit einer Vollbremsung. Alles ist aufgebohrt, eine Umleitung ausgeschildert. Ein neues Schwimmbad wird für irgendeine Weltmeisterschaft gebaut. Durch die Baustelle geht es nur langsam voran.

Danach kommt eine Brücke, die ich schon von Halbmarathon-Wettläufen her kenne. Mit dem Fahrrad ist der Aufstieg trotz Gangschaltung keinen Deut leichter.

In der Mitte des Flusses liegt eine Insel, die sich bis zur nächsten Brücke erstreckt, und auf der der Radweg weitergeht. Es gibt eine Abfahrt für Fahrräder, eine sehr steile. Mit angezogenen Bremsen rolle ich herunter und versuche nicht daran zu denken, wie es denn wäre, wenn die Bowdenzüge reißen würden. Am anderen Ende der Insel steht die nächste Brücke und es geht schon wieder bergauf.

Auf den letzten Kilometern wird der Verkehr dichter. Fußgänger, die wohl irgendetwas gegen Radfahrer und heile Knochen haben, verirren sich gelegentlich auf den Radweg. Der geht weiter bis zum Eingang der Bürogarage. Da kann ich das Fahrrad abstellen. In der Umkleide der Turnhalle der Firma gibt es Spinde und Gelegenheit zum Duschen.

Frisch geduscht setze ich mich mit einem Seufzer an meinen Platz hin. Erst jetzt blicke ich auf die Uhr. Das Ganze hat genauso lange gedauert wie die Kombination aus Zug, U-Bahn und Straßenbahn. Zumindest habe ich etwas Bewegung gehabt.

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Nach einer durchgestandenen Stirnhöhlenentzündung mit hohem Fieber (vor Sophie kein Sommer, nach Sophie kein Frost), sehe ich mich gezwungen, den nächsten Schritt zu wagen.

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Mit dem Autohändler bin ich schnell einig. Das ausgezeichnete Angebot nehme ich auf der Stelle an. Um den Deal zu besiegeln, überweise ich den Vorschuss sofort.

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Zu Hause wartet ein Schreiben meiner Vermieterin auf mich. Da sie die Wohnung verkaufen möchte, hat sie den Mietvertrag fristgerecht gekündigt. Für den Umzug habe ich sechs Wochen Zeit. Das Auto würde ich in der Zeit sicherlich nicht bekommen, aber es gibt genug Carsharing-Anbieter. Bezahlbare Mietwohnungen gibt es jedoch kaum.

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Ich sitze jetzt in einer etwas kleineren Wohnung in einer guten Gegend der Stadt. Vor dem Haus steht mein Auto. Das Parken ist hier noch umsonst.

Wenn ich durch das andere Fenster blicke, sehe ich das Bürohaus, wo ich arbeite. Manchmal dauert der Fußweg bis dahin ganze fünf Minuten.

Drei mal pro Woche benutze ich meinen verstaubten Wagen, um zum Training zu fahren. Oder fahre damit in den Urlaub. Sonst steht er nur da.

Schon wieder eine Unvernunft.

 

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