Von Martina Zimmermann

Was war nur aus ihr geworden? Eine verbitterte Hexe —

Anna schaute traurig an ihr hinunter und das was sie sah, baute sie nicht auf, nein, es zog sie nur noch weiter hinunter und der Hass in ihr wuchs. 

„Ich habe nie jemanden etwas angetan, aber damit ist jetzt Schluss. Sollen sie alle Angst haben, diese fürchterlichen Menschen. Ich bin fertig mit ihnen. Essen werde ich sie, bis nichts mehr von diesen niederträchtigen Geschöpften übrig bleibt. Sie haben nichts anderes verdient!“

 

Anna erinnerte sich noch genau an ihre so unbeschwerte Kindheit. Vater und Mutter waren ihr Anker und sie wurde geliebt. Behütet aufgewachsen und mit einer Energie die Welt verbessern zu können und anderen Kindern auch so eine schöne Kindheit zu ermöglichen, beschloss sie, den Beruf der Erzieherin zu erlernen. Sie liebte Kinder und wollte sie fördern und sie unterstützen. Ihr war bewusst, nicht alle Kinder wuchsen so behütet auf, wie es ihr ergangen war.

Anna lernte fleißig, machte ihr Abitur und dann fand sie eine Anstellung in einer Kita. 

Sie liebt ihre Arbeit und es machte ihr Freude, bis zu dem Tag, an den sich alles veränderte.

Gerade, als sie den Morgenkreis leiten wollte und mit allen Kindern zusammen saß, öffnete sich die Tür. Ein Mann, den Anna noch nie zuvor gesehen hatte, betrat den Raum und bat Anna höflich, ihm nach draußen zu folgen. Im Hintergrund, ihre Kollegin, die ihr unsicher zulächelte und ihr bestätigte, sie würde übernehmen. Anna erhob sich unsicher von ihrem kleinen Stuhl und lief wie ferngesteuert hinter dem Mann nach draußen auf den Flur.

 

„Guten Tag, mein Name ist Peter Melzer, Kripo Köln. Wir müssen Sie bitten uns mit auf unser Präsidium zu begleiten, es liegt eine Anzeige gegen Sie vor, zu der wir Sie befragen müssen.“

„Wie bitte? Was soll ich denn getan haben? Das kann sich doch nur um ein Missverständnis handeln.“ Anna wurde schlecht. Was sollte das alles? „Wir werden ja sehen“, beschwichtigte Herr Melzer und fasste Anna am Arm um sie nach draußen zu begleiten. Anna war sich in diesem Augenblick nicht sicher, ob es eine nette Geste sein sollte, oder ob er sie damit sichern wollte. Ihr wurde nur noch mulmiger und mit diesem Gefühl stieg sie in das Auto, welches in Zivil vor der Tür parkte. Nach einer kurzen Fahrt erreichten sie das Polizeigebäude. Anna stieg aus und Herr Melzer führte sie in das Gebäude in den zweiten Stock, dort betraten sie einen Raum, mit einem großen Tisch, um ihn herum Stühle, sonst befand sich nichts darin.  

„Setzen sie sich bitte,“ mit einer Handbewegung deutete Herr Melzer auf einen Stuhl und Anna folgte seiner Aufforderung. Herr Melzer nahm gegenüber Platz und dann kam noch eine Frau dazu.

„Mussinghoff, mein Name. Ich bin hier die Psychologin“, erklärte sie. 

„Was soll das? Was wird mir vorgeworfen?“, fragte Anna. 

„Sie sollen ein Kind aus der Kita sexuell missbraucht und gequält haben“, erklärte Herr Melzer ohne Emotion in der Stimme und schaute sie dabei an um ihre Reaktion zu deuten.

„Was soll ich getan haben? Das gibts doch nicht. Warum? Ich tue doch keinem Kind etwas an und sexuell belästigt? Ich? Wen denn? Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein?“

Anna schüttelte den Kopf, sie verstand die Welt nicht mehr. Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen. Warum tat man ihr das an? Und wer? Sie wusste, sie hatte nie etwas getan, was einem Kind geschadet hätte. Im Gegenteil, sie war auf der Seite der Kinder, dass war ihre Passion, und jetzt? Was für ein Albtraum. Sie riss sich zusammen um die Anschuldigungen zu verstehen. Wie von Ferne hörte sie dem zu. 

Sie verstand nur noch Bruchstücke, bevor alles herum um sie dunkel wurde und als sie wieder zu sich kam, dachte sie für einen Moment, sie hätte alles geträumt, aber das war nicht so.

Es folgten, Fotos von einem kleinen Jungen, übersät mit blauen Flecken, an denen sie Schuld sein sollte. An Misshandlungen … die Liste war lang … 

Anna konnte es nicht fassen. Dieses Kind hatte laut Aussage der Eltern, eine Blutkrankheit die bei jeder kleinsten Berührung einen blauen Fleck hinterlassen würde. Sie hatten sogar ein Attest eines Arztes dabei, so hatte Anna sich auch nie Gedanken gemacht. Dieser Junge war auffällig still, auch das hatte sie der Krankheit zugeschrieben und darum hatte sie sich umso mehr um ihn gekümmert, aber nicht in sexueller Sicht. Sie hatte ihn besonders gefördert und ihm im Auge behalten. Sie wollte, dass es ihm gut geht und er die gleichen Chancen bekommt, wie die anderen Kinder. Seine Eltern waren komisch und unkooperativ, sie hatte einige Versuche unternommen mit ihnen ein Gespräch zu führen und nach den letzten vergeblichen Versuchen, hatte sie gedroht, das Jugendamt einzuschalten, sollten sie sich nicht melden. Und jetzt so etwas.

 

Anna schossen so viele Gedanken durch den Kopf. 

„Hat dieser Junge etwa keine Bluterkrankung?“, fragte sie. Sie wusste die Antwort bereits. 

Dieses Kind wurde Zuhause misshandelt und jetzt, wo sie die Eltern in die Enge getrieben hatte, da drehten sie den Spieß um und beschuldigten sie. Genauso war es und sie hatte es nicht bemerkt. Wie konnte sie das übersehen haben, das arme Kind.

Anna beteuerte ihre Unschuld und natürlich wurde sie von einem Anwalt vertreten. Es folgte ein schmutziger Prozess, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde, sie wurde als Hexe betitelt, die Kinder misshandelt. Sie die Hexe, wurde nach langen Monate endlich frei gesprochen, aber was nützte es? Anna konnte sich nirgendwo mehr blicken lassen. Jeder hatte sie als Hexe abgestempelt und alle meinten, es könnte etwa wahres an der Geschichte sein. Sie fand keine Arbeit mehr, und alle mieden sie. Anna wurde wütend. Immer wütender und sie wusste nicht mehr wohin sie sollte. Sie fing an, alle Menschen zu hassen und auch die Kinder. 

„Durch diese Geschöpfte wurde mein Leben zerstört. Jetzt zerstöre ich euer Leben. Wartet ab, wenn ich euch zu packen bekomme, dann ist es aus und vorbei. „

Anna zog in ein kleines abgelegenes Häuschen tief im Wald, abgeschieden von den Menschen, die ihr so viel Leid zugefügt hatten. Und hier würde sie nur auf ihre Opfer warten. Sie würde sie braten und dann essen und dann ging es ihr gut. Ja genau, so würde sie es machen. 

 

Anna lebt viele Jahre in ihrem kleinen Häuschen. Immer wieder fielen ihr Menschen zum Opfer, die auf sie herein fielen, bis auf zwei Geschwister. Die beiden hielten zusammen, sie nutzten ihre Schwäche aus. Anna war mit der Zeit im dunklen Wald fast blind geworden, und so konnte sie getäuscht werden. Schließlich landete Anna im Ofen statt Hänsel und somit hat die Geschichte ein Ende. 

Die Moral von der Geschichte: 

Nicht jeder ist von Natur aus böse, kann aber böse werden.

Behaltet das Gute in euch, denn das Gute bleibt bestehen und das Böse wird vergehen.