Von Anna-Lisa Winter

 

Frau Kleinschmitt wurde von der Maklerin am Bahnhof abgeholt, nun saß die ältere Dame auf dem ledernen Beifahrersitz des SLK, um aus der Stadt zu fahren. Nach ein wenig Smalltalk begann die geübte Verkäuferin das Gespräch auf die Immobilie zu lenken.

„Ich muss zu dem Haus sagen – es ist ein echtes Liebhaberobjekt. Mit ein wenig Zeit und Geld lässt es sich in ein einzigartiges Schmuckstück verwandeln. Und der Preis spricht natürlich für sich.“

„Frau Stanzel, Sie wissen ja, dass ich einen sehr engen finanziellen Rahmen habe, den ich nicht überschreiten kann.“

Frau Stanzel blickte kurz nach unten zum Lenkrad und dort auf ihre frisch modellierten French-Nails. Natürlich hatte Frau Kleinschmitt ihr schon am Telefon von ihrem über viele Jahre angesparten Bankguthaben und ihrer kleinen Rente erzählt.

„Das ist mir bewusst und ich glaube dieses Objekt könnte genau das Richtige sein.“

Sie fuhren jetzt schon eine Viertelstunde über Land und kamen an immer kleineren Dörfern und Ansiedlungen vorbei. Immer mehr wirkte es so, als wäre nur für die Häuser das Grün des Waldes ein Stück zurück geschnitten worden.

„Ich habe ja schon am Telefon gesagt, dass das Haus im Grünen liegt, eine wundervolle Lage!“

Die letzten Worte schwangen wie eine Melodie durch das Wageninnere. 

„Ja, das hatten Sie erwähnt, aber ist es nicht etwas sehr abgelegen?“

„Keine Sorge, wir sind gleich da. Das letzte Stück müssen wir allerdings zu Fuß gehen, das macht mein Wagen nicht mit. Ein kleiner Spaziergang und die frische Waldluft werden uns gut tun!“

Kurz darauf steuerte Frau Stanzel ihre Luxus-Limousine auf einen Waldparkplatz, sie wechselte das Schuhwerk und die beiden Frauen durchquerten das Gehölz, das immer dichter zu werden schien.

„Die Wegeführung können Sie dann natürlich, in Absprache mit der Kommune, an ihre Bedürfnisse anpassen.“

„Frau Stanzel, Sie müssen mir helfen! Ich sehe nicht mehr besonders gut.“

Frau Stanzel hakte sich bei Frau Kleinschmitt unter und führte die Dame selbstsicher durch das Gestrüpp. Sie freute  sich im Verborgenen über die preisgegebene Schwäche der alten Dame.

Am Zielobjekt angekommen, pries die Maklerin sehr routiniert die Vorzüge der alten Jagdhütte an. Die recht offensichtlichen Baumängel mussten bei Frau Kleinschmitts Sehschwäche erst gar nicht thematisiert werden. Frau Stanzel gab zu, dass es keine Anbindung an das öffentliche Wasser- und Abwassernetz gab und dass die Fassade erneuert werden musste – was jedoch kein Problem darstellen sollte. Sie würde auch den Kontakt zu einer Fachfirma für die anstehenden Arbeiten herstellen. Im Gegenzug lobte sie außerdem das romantische Selbstversorgerleben, in Zeiten der industriellen Ausbeutung der Erde.

„Man könnte hier den ganzen Tag sitzen und dem Rauschen des Waldes und dem Gesang der Waldvögel lauschen, finden Sie nicht auch?“

„Es gefällt mir, aber ich muss mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lassen und natürlich die Finanzierung klären.“

„Warten Sie aber bitte nicht zu lange. Das Objekt passt so wundervoll zu Ihnen und da wäre es schade, wenn Ihnen ein anderer Interessent zuvor kommt.“

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Schon vier Wochen später hatte Frau Kleinschmitt ihre wenigen Habseligkeiten gepackt und mit Hilfe ihrer Tochter ins neue Haus im Grünen gebracht.

„Schön, Mama. Schön hast du es hier… Ein bisschen abgelegen… aber echt schön. Sieht ja fast so aus, als hätte die Eigenbedarfskündigung deiner alten Wohnung doch noch zu etwas Gutem geführt.“

„Die Fassade lasse ich noch richten. Und wenn ich mit dem Garten fertig bin, bin ich so gut wie autark!“

Die Tochter war froh, über die neue Tatkraft der Mutter, denn diese war bis zum Tod ihres Gatten nie wirklich selbstständig. Recht schnell verabschiedete sich die junge Frau wieder. Mit ihrem stressigen Job in der Marketingabteilung eines renommierten Unternehmens und ihren drei lebhaften Söhnen war es schwer möglich mehr Zeit entbehren.

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Frau Kleinschmitt packte an! Sie beauftragte die empfohlene Fachfirma „Rund ums Haus“ und schon wenige Tage später standen zwei junge Burschen in karierten Hemden vor der Hütte im Wald. Nach ungefähr vierzehn Tagen zogen die Handwerker nach getaner Arbeit wieder ab. Was diese auf dem Rückweg zu ihrem Lieferwagen sprachen, konnte Frau Kleinschmitt natürlich nicht hören…

„Die Alte ist fast blind. Die merkt nie, dass das keine Holzschindeln sind…“

Die Freude über das renovierte Haus, der frische, fast süße, an Gewürze erinnernde Geruch und das Lachen der abrückenden Handwerker, das bis zu ihrem Haus zu hören war, stimmten Frau Kleinschmitt fröhlich.

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Mit der Zeit wurde es allerdings einsam im Wald. Der nächste Nachbar, der nächste Supermarkt, die nächste Apotheke, das nächste Cafe, der nächste Arzt waren in schier unerreichbarer Entfernung. Frau Kleinschmitt saß immer öfter vor dem Häuschen, lauschte den Geräuschen des Waldes und hing dabei ihren Gedanken nach. Als sie noch mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Stadt wohnte, als sie noch in der Bibliothek arbeiten konnte, das waren glückliche Zeiten. Oder auch später noch, als sie mit ihren Enkelkindern auf den Spielplatz gegangen ist. Frau Kleinschmitt fühlte sich bedrückt, was neuerdings schon an ihrer gebückten Haltung zu erkennen war. So schlurfte sie an diesem Mittag mit ihrem Mobiltelefon (für einen besseren Netzempfang) hinaus zur Lichtung  und tippte eine Nachricht an ihre Tochter.

‚Grüße aus der grünen Oase! Komm mich doch bald mal mit deiner Rasselbande besuchen! Ich mache uns einen leckeren Walnusskuchen.‘

Sie lief noch ein Stück Richtung Straße, um die Antwort nicht zu verpassen. Aber es kam keine.

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„Mensch Jungs, wir müssen Oma mal besuchen.“

„Ich will nicht zu Oma, da gibt es kein W-Lan!“

„Was sollen wir dort im Wald? Ich kack doch nicht in so ein beschissenes Plumpsklo!“

„Naja, ich kann euch ja verstehen. Ich möchte am Wochenende auch lieber zum Tennis. Es passt mir gerade überhaupt nicht! Oder ihr fahrt mal ohne mich, mit dem Bus…?“

„Oh neeee, da brauchen wir doch bestimmt zwei Stunden und dann noch durch den Busch schlagen!? Das machen meine neuen Sneakers echt nicht mit!“

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Die Zeit verging. Die vorübergezogenen Jahre, die Arbeit an Haus und Garten, die Einsamkeit und die fehlenden Kosmetikprodukte hatten ihre Spuren an Frau Kleinschmitt hinterlassen. Sie machte sich häufig Sorgen, ob es ihrer Tochter und den Enkelkindern gut ging. Die drei Jungs mussten ja schon ziemlich gewachsen sein – natürlich nur sofern ihre Tochter sie gut ernährt hätte.

Sie war gerade hinter dem Haus in ihrem Garten, zog Rüben aus der Erde und brabbelte unverständlich vor sich hin. Da hörte sie von Weitem Kinderstimmen. Freude erhellte ihr Gesicht, sie ließ die Rüben zu Boden fallen und eilte leichtfüßig zu ihrem Holzofen. Der Teig war schnell gemacht. Das Feuer prasselte bereits im Ofen, als sie zur Tür ging.

„Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“

 

                   Version 3