Von Helga Rougui

– Muss dieses Weib denn schon wieder ihre Querflöte quälen, empörte sich Herr Wolf, gleichzeitig hielt er sich die Ohren zu.

– Da hast du recht, meinte Frau Wolf, wenn es wenigstens was Klassisches wäre. So richtig melodisch klingt das nicht.

– Also, so richtig melodisch klingt das nicht, wiederholte Herr Wolf die Worte seiner Frau, ohne es zu wissen (er hielt sich ja die Ohren zu). Das muß Jazz sein oder Zwölftonmusik. So richtig was Klassisches ist das nicht.

Als er sah, dass seine Frau grinste, nahm er die Hände runter und fragte:

– Was??!!??

– Sei doch nicht gleich pampig, Schatz. Schnapp dir den Rasenmäher und halte dagegen.

 

Das ließ sich Herr Wolf nicht zweimal sagen. Er stopfte sich Ohropax in die Gehörgänge, ging zum Schuppen und holte den Mäher raus. Der Akku des Geräts war wie immer wohlgefüllt – es war stets einsatzbereit. Die Nachbarin, Frau Hechsel, übte ziemlich oft auf ihrem Instrument, und die Wolfs hatten den am besten gepflegten Rasen der gesamten Vorortsiedlung. Nicht nur am Samstagmorgen wurde gemäht, sondern immer, wenn Musik erklang, also praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit.

 

Frau Wolf ließ sich mit ihrer Tasse Tee auf der Terrasse nieder und schaute ihrem Gatten zu, wie er den schweren Rasenmäher von einer Seite des Rasens zur andern schob und wieder zurück. Sie sagte:

– Ich habe Frau Hechsel übrigens zum Abendessen eingeladen. Da können wir uns ein wenig besser kennenlernen, und vielleicht läßt sich auch das kleine Lärmproblem besprechen und womöglich sogar lösen.

Herr Wolf sah nur, wie seine Frau etwas sagte, und rief vorsichtshalber „Ja, mein Schatz“ – er wußte, wie sauer sie reagieren konnte, wenn ihre Worte keine Beachtung fanden.

 

*

 

Henrietta Hechsel war eine Hexe. Vor zwei Monaten hatte sie ihr Hexenhaus im Wald verlassen und war in das Haus neben den Wolfs gezogen. Ihr Heim war im Jahr 1648 erbaut worden, als sie vom Herumziehen in den seit dreißig Jahren kriegsbewegten Ländern genug hatte und sich endlich etwas ausruhen wollte.

Es war ein großes Haus und nach der langen Zeit ziemlich renovierungsbedürftig, und so hatte ihr alter Freund Merlinus Merlinus eine ganze Schar seiner Zauberlehrlinge abgestellt, um die Außenwände und das Dach zu flicken, die Innenwände neu zu tapezieren, das Parkett abzuschleifen und endlich auch einen Brunnen anzulegen. Schön aus Naturstein gemauert und rund wie eine Tonne stand er mitten auf der mit frischem Kies bestreuten Zufahrt vor dem Haupttor der Mauer, die das Haus umgab.

Die Hexe hatte so ihre Pläne mit dem Brunnen. Wenn vorbeiziehende Wanderer ihn erblickten, würden sie den neuen blitzenden Eimer an der Seilwinde hinunterlassen und frisches kühles Wasser aus seinen Tiefen herausziehen, um ihren Durst zu stillen. Sie würden denken, das ist aber nett von den Besitzern des Hauses, dass sie an unsere ausgedörrten Kehlen denken, es sind schließlich Temperaturen von über vierzig Grad diesen Sommer, da können so fitte und sportliche Typen wie wir auch schon mal schwächeln ohne ausreichende Flüssigkeitszufuhr.

 

Ja, dachte sich die Hexe, fitte und sportliche Typen. Genau diese hippen Yuppies zwischen dreißig und vierzig bevorzugten den Wanderweg durch den Teil des Waldes, in dem sie wohnte. Und sie wußte auch, dass das genau die Altersspanne war, in der sie ihre Karrieren quasi in trockenen Tüchern hatten und sich nun die Familienplanung vornahmen.

Und genau hier setzten die Überlegungen Henrietta Hechsels ein. Sie haßte Kinder abgrundtief, seitdem ihre Schwester im Dreißigjährigen Krieg durch zwei dieser Exemplare zu Tode gekommen war. Wenn sie an die näheren Einzelheiten ihres Schicksals dachte, wurde ihr immer noch schlecht. Der Ofen, das lodernde Feuer, der Stoß, den die beiden Biester zusammen ausführten – selbst eine Dienerin der Dunklen Seite kam nicht an gegen Höllenglut.

 

Sie hatte ihre Schwester nie recht gemocht, diese war ein egoistisches, berechnendes, gefräßiges Weib gewesen, aber das hatte sie nun wirklich nicht verdient. Also hatte sie beschlossen, ein bißchen Familiensinn zu zeigen und auf lange Sicht etwas zu unternehmen. Dreihundertfünfzig Jahre hatte sie hin- und herüberlegt, und endlich war ihr die Lösung eingefallen – ein Brunnen mußte her mit lieblich wohlschmeckendem frischem Wasser, das allerdings eine besondere Eigenschaft hatte. Es war mit einer empfängnisverhütenden Substanz versetzt, die jede Frau und jeden Mann, der davon trank, auf immer und ewig unfruchtbar machte. Und der besagte Wanderweg wurde sowohl im Sommer als auch im Winter sehr rege frequentiert, so dass der wohltuende Effekt nicht auf sich warten lassen würde: der Kinderbestand in diesen Breiten würde rapide sinken, und wenn die Sache hier ausgereizt und erledigt schien, würde sie halt umziehen und neu bauen und woanders, wo es von Kindern nur so wimmelte, einen schönen, neuen, sehr speziellen Brunnen errichten.

Als Hexe hatte sie ein sehr, sehr, sehr langes Leben (wenn man sie nicht gerade in einen Backofen verfrachtete), und sie würde noch sehr, sehr, sehr viel Gutes tun können.

 

*

 

– Gerd, sei so nett und guck mal in den Backofen, wies Frau Wolf ihren Gatten an, wie weit das Essen schon gediehen ist.

Während Herr Wolf in die Küche trottete, um nach dem Bräunungsgrad der gefüllten Ente zu sehen, setzte Frau Wolf ihr Gespräch mit der wirklich sehr netten Frau Hechsel fort. Sie war neu in der Gegend, das wußten sie schon, sie war unverheiratet und hatte keine Kinder, wie sie leicht verkniffen zugegeben hatte. Ihr Alter konnte Frau Wolf schlecht schätzen – manchmal wirkte sie blutjung, dann wieder zog ein Schatten über ihr Gesicht, der sie um Jahre, ja Jahrzehnte altern ließ.

Bei ihrer Ankunft war Herr Wolf zusammengezuckt, als er den Instrumentenkasten in Frau Hechsels Hand bemerkte; er entspannte sich aber, als er erfuhr, dass sie gerade von ihrer Querflötenstunde kam und mitnichten vorhatte, ihren Dank für die Einladung in Form eines Ständchens abzustatten.

 

Man setzt sich zu Tisch, Herr Wolf tranchiert die Ente, dazu wird ein schöner dunkelroter, fast schwarzer Malbec getrunken, die Stimmung lockert sich, und Herr Wolf denkt, wenn Frau Hechsel, also Henrietta, man ist inzwischen per du, nicht gerade auf ihrer Flöte flötet, dann ist sie richtig, richtig süß und charmant und sehr, sehr sympathisch. Nur als das Gespräch auf die Enkelkinder kommt, wird Henrietta etwas einsilbig und guckt – Frau Wolf ist sich nicht sicher, denn das kann doch gar nicht sein – sogar leicht angewidert.

Die Wolfs haben zwei Enkel, einen Jungen und ein Mädchen, Zwillinge, blond, blauäugig, absolut entzückend und der Schatz der gesamten Familie. Gerade will Frau Wolf das Fotoalbum herauskramen, in dem die bisherige Lebensgeschichte der beiden dokumentiert ist – vom ersten Schrei bis zur Party vor drei Monaten, als sie ihren achten Geburtstag feierten.

Da klingelt es an der Tür, wer kann das wohl sein, na so was, Überraschung, die Zwillinge – gefolgt von ihrer Mutter – stürmen ins Wohnzimmer, beginnen umgehend zu streiten und zu zetern, jeder will die Oma als erster umarmen, wo ist die Spielkiste, ist mein Trecker noch im Sandkasten, Omi, kann ich ein Eis, dürfen wir Disney Channel gucken, und Frau Hechsel guckt, als wolle sie sich gleich übergeben.

Frau Wolf fragt besorgt:

– Ist Ihnen nicht gut? War die Ente doch zu fett? Wollen Sie einen Schnaps? (Sie ist noch immer per Sie mit der Nachbarin.)

– Nein, nein, dankeschön, alles in Ordnung … ich glaube, ich sollte jetzt wirklich  …

Henrietta beginnt zu würgen, sucht hektisch nach einem Taschentuch, während die Zwillinge neben ihrem Sessel auf den Teppich plumpsen und sie von unten herauf aus großen blauen Augen anstarren.

Sie hört noch, wie Frau Wolf sagt:

– Also, das sind meine Enkel, Johannes und Margarete, gerade sind sie etwas aufgedreht, wo kommt ihr denn jetzt noch her?

– Wir waren im Kino, der neue Film im Cinestar, „Die Brüder Grimm“, wir dachten, es geht um Märchen, aber der war wohl doch etwas zu gruselig für die Kids.

 

Frau Hechsel hört das nicht, sie schaut wie gebannt in die blauen Tiefen dieser ach so harmlosen Kinderaugen, sieht dort hochauf gelbrote Flammen lodern auf dem Grund und so langsam ahnt sie, dass diese Kinder ihr Schicksal sein werden, wenn sie einmal älter sind.

Noch weiß sie nicht, wann, wo, wie – aber die Flammen, die Flammen, die lodernden Flammen …