Von Nico Haupt

Hagzissa, stand grässlich gebeugt vor ihrem Kessel und braute nachdenklich einen Trank. Schon sehr lange lebte sie hier mitten im Wald, fernab von all den Menschen, die sie als Hexe verschriehen. Sie hatten ihr diesen Namen gegeben, denn wie sie wirklich hieß hatte sie vor langer Zeit vergessen. Einst war sie ein wunderschönes Mädchen, doch das Leben hatte es nicht gut mit ihr gemeint. Ihr Vater war ein wohlhabender Kaufmann und die Familie sehr geachtet in ihrer Stadt, doch wurden beide Eltern schwer krank. Kein Arzt, egal wieviel Honorar er forderte, natürlich immer im Voraus, vermochte ihnen zu helfen, oder ihrem Leiden auch nur Linderung zu verschaffen. Deshalb lernte sie als kleines Mädchen bereits den Umgang mit allerlei Kräutern und wurde sehr geschickt darin. 

Zu heilen vermochte sie die Krankheit ihrer Eltern auch nicht, sie linderte lediglich die Symptome und den Schmerz, bis sie, trotz all der Mühe, viel zu früh zur Vollwaisen wurde. Die Achtung, die die Familie zuvor genossen hatte starb mit ihrem Vater, denn wie das überall so ist, gibt es immer Menschen, die einem den Dreck unter den Nägeln nicht gönnen. Obwohl sie gerade ihre Eltern verloren hatte, beneideten sie viele und trachteten nach ihrem Erbe. Diese garstigen Gestalten schlossen sich in ihrer Raffgier zusammen und schmiedeten einen Plan, wie sie das Haus plündern könnten und zwar ganz legal, denn mit dem Gesetz wagte sich keiner von ihnen anzulegen. Viel zu abschreckend schienen die Konsequenzen für sie, sollten sie dabei erwischt werden. 

Natürlich hatten sie mitbekommen, dass Hagzissa sehr geschickt mit Kräutern war und so war der Vorwand schnell gefunden. Man würde sie als Hexe denunzieren, denn eine Hexe durfte man ausrauben, ihr allerlei Gewalt antun und glauben würde ihr niemand. Alle Methoden eine als Hexe beschuldigte Frau freizusprechen führten gemeinhin zum Tod, sodass keine Chance für sie bestand zu ihrem Recht zu kommen. 

Zum Glück aber gab es einen Jäger, der von dieser miesen Intrige erfuhr und es gut mit dem Mädchen meinte. Oft hatten sie sich im Wald zufällig getroffen und sie war fast war wie eine Tochter für ihn geworden. Sofort nahm er die Beine in die Hand und stürmte zu ihr. Erschrocken öffnete sie ihm die Tür, worauf er sofort entschlossen ihren Arm packte und sie mit sich zog. „Ich erkläre dir alles unterwegs“, raunte er. „Nur lauf!“ Sie vertraute ihm und folgte seiner Führung. Als die alarmierten Wachen auf Befehl des Priesters, die Hexe festnehmen wollten, war das Haus leer. Die Besitztümer teilten ihre Feinde, mit einem kurzweiligen Gefühl des Triumphs, untereinander auf, während weit weg von der nächsten Siedlung, mitten im Wald ein Jäger eine Hütte baute.

Eine zeitlang wohnten sie hier gemeinsam, der Jäger beschaffte Nahrung und Brennholz, sie kochte und versorgte ihn, wenn er sich verletzt hatte. Dann jedoch zog ein Krieg über das Land und Soldaten fanden die Hütte im Wald. Sie plünderten und taten ihr unsägliche Grausamkeiten an, der Jäger konnte sie alleine nicht gegen so viele beschützen und wurde schwer verletzt. Mühsam hatte sie ihn wieder aufgepäppelt, aber sein Versagen nagte weiter an ihm und ließ ihn nie wieder in Frieden. Auf den Krieg folgte eine Hungersnot, die Menschen trieb es hinaus in den Wald und einige fanden die Hütte, wieder taten sie ihr weh und wollten alles stehlen was sie besaß. Diesmal jedoch schaffte der Jäger es sie zu überwältigen, infizierte sich dabei aber mit der Pest, die dem Krieg immer hinterher zog. 

Hagzissa konnte sein Leben nicht retten, denn er hatte sich bereits aufgegeben. Und so lebte sie verbittert und einsam im Wald, aus Angst, dass sich die furchtbaren Dinge, die ihr widerfahren sind, wiederholen könnten. Um nicht wieder gefunden zu werden, hatte sie gelernt einen Trank zu brauen, der die Menschen in der Nähe der Hütte halluzinieren ließ. Ihr Überlebenswille wurde stärker, je mehr die Menschlichkeit tief in ihrem Herzen erlosch. 

Tiere wagten sich nicht in die Nähe ihrer Hütte, na gut bis auf ihren Raben Asrael, der ihr einziger Begleiter war. Ihr Trank, verlieh ihr selbst und ihrem Raben ein ungewöhnlich langes Leben, doch hielt er nicht den Prozess des Alterns auf. Sie wurde bucklig, ihre Haut ledrig und faltig, die meisten Zähne hatte sie längst verloren und ihr Haar war licht und grau geworden. Ihr Augenlicht war schwach, beinahe gebrochen, weshalb sie sich angewöhnt hatte mit den Händen zu „sehen“. 

Essen konnte sie nur was sie in der Umgebung der Hütte fand, denn weit kam sie schon seit Jahren nicht mehr. Stattdessen sorgte sie dafür, dass das Feuer unter dem Kessel immer brannte, denn niemals durfte er aufhören, seine Wirkung zu entfalten. 

Doch trotz alles Vorsicht waren da draußen Geräusche zu vernehmen, ganz deutlich. Sie blickte hinaus und sah zwei Bälger, die versuchten ihr Haus aufzuessen. Was um alles in der Welt halluzinierten sich diese Kinder denn da zusammen? Holz und Reissig sind doch nicht essbar, aber sie schienen es lecker wie Lebkuchen zu finden. Hagzissa musste sie vertreiben und so sagte sie in ihrer schaurigsten schrecklichsten Stimme: „Knusper Knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“

Doch die Kinder schreckt das nicht in die Flucht. Was würden sie tun, jetzt da sie wussten wo Hagzissa wohnte? Würden sie es ihren Eltern sagen? Würden diese mit Soldaten wieder kommen? Nein, dieses Mal, dazu war sie entschlossen, würde sie nicht durch die Hand anderer leiden. Wenn ich den Jungen als Druckmittel einsperre, so dachte sie sich. Wird das Mädchen brav tun was ich sage und ich könnte endlich meine müden alten Knochen schonen. 

Niemals wäre ihr in den Sinn gekommen, den Jungen zu essen, doch um nicht preiszugeben, wie hilflos sie selbst in Wahrheit war, beschloss sie dem Mädchen Angst mit dieser Drohung zu machen. Wenn sie mich fürchten, erklärte sie gedanklich ihrem Raben. Werden sie nicht wagen, mir etwas zuleide zu tun. 

Wie die Geschichte ausging, kennt heute ein jedes Kind.