Von Helmut Blepp

Ich war einst jung, wunderschön und verdorben bis ins Mark. Die Burschen waren verrückt nach mir, und so oft ich in den Wald ging, folgte mir einer, der mutig und stark genug war, mich herzunehmen und mich anschließend huckepack nach Hause zu bringen. Einmal aber biss mich der Übermut auf dem Rücken eines kräftigen Kerls, so dass ich ihm meine Fersen in die Hüften rammte und ihn in den finstersten Tann hinein hetzte. Das war eine wilde Jagd, aufregender als das ungeschickte Besteigen, das ich zuvor hatte über mich ergehen lassen müssen. Ich feuerte ihn an, schlug ihm mit den Fäusten auf Kopf und Schultern, so dass er wie ein Dragonergaul über Stock und Stein sprang. Leider war der Spaß nicht von Dauer, denn auf einer Lichtung brach mein stolzer Hengst zusammen und nahm röchelnd Abschied von dieser Welt. 

„Da hast du mir aber einen saftigen Braten gebracht, mein Kind.“ 

Ich stand vom Boden auf und suchte, wem diese krächzende Stimme gehörte. Schon vermutete ich einen sprechenden Raben, wie sie, zum Fluchen abgerichtet, auf dem Jahrmarkt verkauft werden. Doch dann trat eine alte Frau auf mich zu. Ich erschrak fast zu Tode, denn dieses dürre Weib war so hässlich, als sei es gerade der Hölle entsprungen. 

Ihre Hände bewegten sich wie große weiße Spinnen durch die Luft, wobei ihre zu langen Krallen verformten Fingernägel aneinanderstießen und ein klapperndes Geräusch erzeugten, das mir Schauer über den Rücken jagte. Das Gesicht unter dem verfilzten pechschwarzen Haarschopf sah schrecklicher aus als die Masken, mit denen die Knechte im Februar den Winter verjagen. Ihre Nase war krumm und die Spitze wackelte wie ein Rüssel vor ihrem Maul, in dem dunkelverfärbte Eisenzähne schimmerten, während sie sich die braunen Lippen leckte und gierig meinen verblichenen Galan anstarrte. 

„Mach du ein Feuerchen, dieweil ich ihn ausnehme“, sagte sie in herrischem Ton. 

„Was … wie …“, stammelte ich. 

„Da vorm Haus, dummes Gör!“ 

Sie wies zur Seite, und als mein Blick ihrem Wink folgte, entdeckte ich tatsächlich ein Gebilde, das einer Behausung glich. Es war aus knorrigem Holz gebaut und stand auf Stelzen, die von in der Erde verankerten Balken gestützt wurden. Der ganze Aufbau schien wie von Schimmel befallen, und wohin ich auch sah, hatten sich Baumpilze festgesetzt. Das windschiefe Dach war geteert und mit den Gerippen von Vögeln bedeckt, die offenbar daran kleben geblieben waren.  

Die hühnerbeinige Hütte, durchfuhr es mich. Aber das war doch nur ein Märchen, das die Alten abends beim Stricken am Ofen erzählten, um kleinen Kindern Alpträume zu bereiten. 

Ich wandte mich der Vettel zu. 

„Bist du etwa …?“ 

„Sprich meinen Namen aus“, fiel sie mir ins Wort, „und ich reiße dich in Stücke! Jetzt wirf endlich das Feuer an! Mir knurrt schon der Magen.“ 

Ich tat, wie geheißen. Was blieb mir auch anderes übrig, wollte ich dieses Abenteuer überstehen. Diese Hexe war bösartig wie der Teufel selbst, und ich mochte weder ihre Krallen noch das fürchterliche Gebiss zu spüren bekommen. Sie verschlang den Braten, an dem ich aus schierer Not nur widerwillig knapperte. Das Muskelfleisch des haltlosen Jünglings, das sie fast ohne zu kauen hinunterwürgte, blähte sie auf zu einer fetten Frucht, die bald schläfrig von sich hinzumurmeln begann. Kurz darauf erfüllte ihr aus dem nun feisten Leib dröhnendes Schnarchen die Umgebung, vor dem alle Tiere des Waldes verhielten. Doch sie schlief nicht wirklich.

„Mach dich ins Stroh“, schrie sie plötzlich. Dabei klatschte sie in die Hände, worauf die Stelzenhütte einen hektischen Tanz vollführte und einen Eingang offenbarte, zu dem eine Hühnerleiter führte. Ich kletterte eilig hoch, warf mich ins Hirsestreu und schlief nur leicht in allerlei Befürchtungen für die Nacht, doch die Hexe blieb beim Feuer.

So wurde ich Magd und Adeptin der Dämonin des Waldes. Jedes Kraut, jedes Moos, jeder Pilz wurden Bestandteil meiner Lehre. Ich saugte das Gift aus Kröten für Liebestränke und spuckte es in Blütenkelche, deren Innenseiten mit dem Blut von Singvögeln bestrichen waren. Die Schwimmblasen der Bachfische blies ich mit Gasen auf, die ich aus den Därmen von Eichhörnchen gewann, und setzte alles mit unverdauten Nusssamen an für eine Tinktur, die böse Feinde in den Wahnsinn treiben konnte. Eidechsen warf ich in Töpfe mit kochendem Wasser, ließ sie aufgehen und verfallen, bis ein Sud entstand, der, mit Spinnenbäuchen vermengt, für gute Träume sorgen sollte. 

Arzneien, Gifte, und Zaubertränke waren meine täglichen Lektionen. Dazu die Bannsprüche und Flüche aus einem Buch, viel älter als die Hexe, aus dem sie mir mit rasselndem Atem vorlas, wenn in der Dämmerung die Flammen des Abendfeuers hochschlugen, über dem ein Rehkitz, öfter ein Hase briet. 

Zum Glück stand Menschenfleisch nur ab und an auf dem Speiseplan. Äußerst selten verirrten sich ein gedankenloser Holzfäller oder ein betrunkener Köhler in unseren Teil des Waldes. Solche Unglücklichen musste ich dann zu Tode reiten, weil das der Alten gefiel. Und tatsächlich hatte auch ich gottlosen Spaß an diesem Treiben, mehr als an dem folgenden Festschmaus, bei dem sie sich selbst mästete wie ein Schwein. Ich nahm meist mit einem Stückchen der Innereien vorlieb. 

Jedes Frühjahr und jeden Herbst kam fahrendes Volk durch den Wald, um uns zu besuchen. Diese geheimnisvollen Leute, die sich in einem seltsamen Kauderwelsch unterhielten und dabei ihre dunklen Augen rollten, verehrten die Alte seltsamerweise. Nur gebeugten Hauptes näherten sie sich ihr. Keine wagte, ihr ins Gesicht zu schauen.

Sie kamen zum Handel, packten emsig Flaschen und Kisten mit unseren Elixieren und Salben in ihre Pferdewagen und gaben meiner Herrin prall mit Gold und Silber gefüllte Lederbeutel. Die Hexe war verrückt nach diesen glänzenden Schätzen, obwohl sie die Lichtung mit der Hütte nie verließ und mit ihrem Vermögen gar nichts anfangen konnte. 

Ich aber hatte sehr wohl eine Vorstellung davon, welch ein Leben man dank dieser Münzen, Ringe und Geschmeiden hätte führen können, und als der vierte Frühling meiner Fron gekommen und mit den reisenden Händlern wieder gegangen war, begann ich bei meiner gewohnten Kräutersuche heimlich, den Gefleckten Schierling zu sammeln. Ich nahm seine Früchte aus den Hülsen und zerrieb sie zu einem feinen Pulver, das ich mit einer Essenz aus Mohn vermischte. 

Mein großer Tag kam wenig später. Ich hatte unterwegs einen verirrten Frischling erlegt und präsentierte ihn der Alten. Gierig hieß sie mich, das Feuer anzufachen, und ich gehorchte gerne. Als sie sich während der Garzeit voller Vorfreude zu einem kleinen Schläfchen in die Hütte begab, nutzte ich die Gelegenheit, um Fleisch und Innereien des Tieres mit dem Schierlingsgift einzureiben. Anschließend streute ich großzügig Salz darüber und packte viele Gewürzkräuter in die Bauchhöhle des Bratens, um etwaige verräterische Gerüche zu verbergen. Dann erst schob ich die Henkersmahlzeit der Hexe auf den Spieß über den Flammen. 

Der Duft des gerösteten Schweinchens trieb ihr Sabber in den Mund. Kaum erwacht, fiel sie über das zarte Jungfleisch her. Erst als fast nur noch Knochen und Sehnen übrig waren, hielt sie, mit gespreizten Beinen vor der Feuerstelle sitzend, rülpsend inne, und hielt sich den Bauch mit ihren gichtigen Klauen. 

„Und du hast gar nichts gewollt“, fiel ihr nun auf. „Die Leber ist zart, und da ist noch ein Stückchen zur Not.“ 

„Mich ekelt gerade vor Blut“, verteidigte ich mich. 

Die Alte war klug, ihr Blick plötzlich eine einzige Drohung. 

„Hast du mir etwas ins Essen getan?“, fragte sie argwöhnisch. „Ich habe das Gefühl, meine Beine sterben ab.“ 

„Nicht doch“, erwiderte ich wenig überzeugend. 

Sie lächelte freudlos.

„All die Sprüche aus dem Buch, all die Beschwörungen, mit denen wir diese Zauber über den Kupferkesseln sieden ließen, haben auch dich verzaubert, mein Kind.“ 

Sie schlug sich heftig auf die Oberschenkel. 

„Alles taub. Jetzt auch schon langsam im Kreuz.“ 

Sie redete und redete. Verdammt, ich hätte mehr Mohn beimischen sollen! 

„Du bist meiner ebenbürtig, du kleines Luder“, zischte sie nun. „Deshalb wirst du auch meine Stelle einnehmen. Mein Bann wird dich an diese Hütte fesseln.“

Sie bäumte sich auf.

„Und während hier mein Leib erfriert“, fuhr sie mit schwerer Zunge fort, „verfluche ich dich zum Menschenfraß. Nagender Hunger soll dir die Eingeweide zerreißen ohne Menschenfleisch.“

Ein heftiges Zucken des aufgedunsenen Leibes, und ihre letzten Worte erstickten in einem tödlichen Krampf. Dann kippte sie ins Feuer. Noch zitternd vor Aufregung warf ich einige dicke Holzscheite über den Kadaver und wachte die ganze Nacht darüber, dass nichts von ihr übrig blieb.

Aber die alte Hexe behielt recht. 

Wie oft habe ich seither die Flucht versucht mit Kiepen voller Schätze, doch der Wald wirft mich stets zurück auf diese unselige Lichtung. So reich ich bin, muss ich Monate und Jahre in dieser hühnerbeinigen Hütte verharren, gemieden von den Tieren des Waldes, verzehrt von einer Gier, die niemand stillen kann. Ich leide ständig Hunger. Er sitzt tief in meinen Eingeweiden und plagt mich mit reißendem Schmerz. In meiner Not habe ich mein Heim mit Pfefferkuchen behängt, den ich mit Wildhonig bestreiche, um wenigstens ein paar Vögel einzufangen für ein sättigendes Mahl. Aber ein paar Piepmätze stillen meinen Hunger nicht wirklich. Ich darbe Tag für Tag, ohne letztendlich sterben zu können.

So erleide ich das Leben. 

Und dann stehen plötzlich diese beiden Kinder vor mir. Das Mädchen hält den Kleinen an der Hand. Er ist mager und ängstlich. Ihr Blick aber zeigt Stolz und Entschlossenheit.

 

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