Von Ingo Pietsch

Es war vor langer Zeit im weit entfernten Osten, als Japan noch mit dem Festland verbunden war und es dort noch Drachen, Naturgeister und Fabelwesen gab.
Die Menschen hatten sich trotz der widrigen Umstände, dass sie in der Minderheit waren, dort angesiedelt.
Sie lebten in kleinen Gruppen in Höhlen und wurden von allen immer nur ausgenutzt. Oft trieben die ansässigen Wesen ihren Schabernack mit ihnen, da es in ihrer Natur lag, doch die meiste Zeit mussten die Menschen sich abquälen und niedrige Arbeiten erledigen, wie Tempel und Straßen bauen, Obst und Gemüse anpflanzen. Immerhin bekamen sie dafür das Nötigste zum Überleben.
Einigen Garappas, den Froschmenschen, missfiel dies sehr.
Sie hatten Freunde unter den Menschen gefunden, wie den kleinen Jungen Han.
Han hielt sich oft in der Nähe des Flusses auf, indem die Garappas lebten. Er spielte auch mit Garappa-Kindern und wurde von ihnen als gleichberechtigt angesehen.
Hans Sippe diente den Garappas am Fluss und wurde von ihnen gut behandelt. Dafür zollten die Menschen ihnen den höchsten Respekt.
Während die Wesen im Umland im Wohlstand badeten und es sich gut gehen ließen, ging es den Menschen in den restlichen Ländereien immer schlechter und sie begannen auszusterben.
„Wir müssen etwas dagegen tun“, sagte eines Tages einer der Ältesten, der mit zweien seiner Geschwister zusammengekommen war, um darüber zu beraten.
„Den Menschen muss gelehrt werden, sich zu widersetzen! Nur mit Stärke wird es ihnen möglich sein, gegen ihre Peiniger anzukommen!, erwiderte ein starker, großgewachsener Garappa, der stets eine Keule an seiner Seite trug, die er nicht nur zum Stützen nutzte.
„Was schlägst du vor, Ältester?“, fragte die Dritte, eine weibliche, die auch um das Wohlergehen der Menschen besorgt war, sich aber stets neutral verhielt.
„Ich werde es als Erster versuchen. Mit innerem Frieden, seelischem Gleichgewicht und Ruhe in Gedanken und Taten. Ich werde zu unseresgleichen und den Menschen sprechen. Außerdem werde ich Han mitnehmen, um zu beweisen, dass in den Menschen so viel mehr steckt und sie sehr gelehrig sein können.“
„So sei es!“, schlossen die beiden anderen den Rat.

So wanderte der Älteste durch ganz Japan, besuchte auch die entlegenste Insel und verkündete seine Weisheiten.
Bei seinen Wanderungen traf er auf die Kappas, entfernte Verwandte der Garappas, die Onis, die Kamis und natürlich auf die Affen, die den Menschen zu der Zeit weit überlegen waren und die Vorherrschaft in ganz Japan hatten.
Sie alle machten sich lustig über den Alten, da sie nicht wollten, dass ihre billigen Arbeitskräfte, mehr als nur zum Ausbeuten gehalten wurden.
Das stimmte den Ältesten traurig und er predigte umso mehr.
Han war fasziniert, von dem, was er sah und unterstützte den Alten, bei seinen Lehren. Auch die Menschen sahen ein, dass Friedfertigkeit ein Vorteil war, als sich zu widersetzen.
Doch was er erreichen wollte, schlug ins genaue Gegenteil um, denn die Affen und anderen Wesen interessierte dies wenig.
Sie nutzen die ihnen entgegengebrachte Demut und unterwürfige Dankbarkeit nur noch mehr aus.
Dadurch wurden die Menschen immer träger und antriebsloser, da sie ihre Bestimmung nur noch im Dienen sahen.
Als der Älteste mit Han zurückkehrt war, war ihnen die Kunde um die Lehren und ihrer Ergebnisse schon vorausgeeilt.

„Ich habe versagt“, sprach der Älteste betrübt.
„Jetzt bin ich an der Reihe!“, preschte der große Grappa hervor.
Wieder wurde Han mit einbezogen, der inzwischen groß geworden war. Er war sehr beeindruckt, wie die Garappas sich für die Menschen einsetzten. Er erlernte die Kriegskunst und scharrte bald ein Heer um sich.
Und so geschah es, das der starke Garappa den Menschen zeigte, wie man Feuer benutzte,um Waffen herzustellen und wo die Schwachpunkte der mythischen Wesen waren und wie man sie besiegte.
Krieg breitete sich über das ganze Land aus. Die Affen wurden aus ihren Städten vertrieben, Drachen getötet und die Naturwesen aus ihren Lebensräumen verdrängt.
Han war überdies sehr betrübt. Er hatte in der Zwischenzeit eine Menge Weisheit angesammelt und fand nicht richtig, was seine Mitmenschen mit ihrer neu gewonnen Macht anstellten.
Doch als die Wesen sich gegen die Menschen in einem letzten Kampf aufbäumten, rief Han in seiner Verzweiflung seine weit entfernten Verwandten in China zu Hilfe. Auch sie profitierten von der Kriegstreiberei, in dem sie lernten, ein explosives Pulver zu mischen, was großen Schaden anrichten konnte.
Die Menschen breiteten sich über die Maßen im Land aus, dass die Geschöpfe, die ihnen eigentlich hatten helfen wollen, langsam ausstarben
In einem letzten Aufbäumen verbündeten sich die Fabelwesen und Geister und erschufen eine riesige Flutwelle, die das Land überspülte und Japan vom Festland trennte., damit die Menschen keinen Nachschub mehr bekommen sollten.
Doch der Preis war für alle zu hoch und die Wesen büßten einen Großteil ihrer Macht ein und wurden zum Reich der Legenden.

Wieder trafen sich die Garappas.
Der Große stützte seinen Kopf in seine Hände und sagte mit heiserer Stimme: „Auch ich habe versagt. Ich habe alles nur viel schlimmer gemacht!“
Da legte die dritte Garappa ihre Froschhände auf die Schultern der anderen und meinte: „Es kommt immer alles so, wie es kommen muss. Jetzt ist wieder die Zeit des Lernens angebrochen und wir wollen unser Bestes tun.“
Han, war ein Kaiser geworden und herrschte über viele Ländereien.
Er war ein weiser und gerechter Herrscher und er ehrte die Wesen weiterhin, die ihm und seinem Volk damals so großen Respekt entgegen gebracht hatten. Ihm war bewusst, was unter seiner Führung mit Japan geschehen war und er bedauerte dies zutiefst, zumal nicht alle so dachten wie er.
Mit Liebe und Nachdruck brachte die Garappa unter die Menschen den Mittelweg zwischen Demut und Durchsetzungsvermögen.
Natürlich gab es immer wieder welche, die sich ihr widersetzten, doch wusste sie mit Hans Hilfe ihnen Einhalt zu gebieten.
Diesmal war es an den Menschen, ein Gleichgewicht unter die Lebewesen zu bringen.
Es wurde ein langer und schwieriger Weg, doch schließlich schafften sie es, dass die Menschen die Lebewesen, die um sie herum existierten, respektierten und im Einklang mit ihnen zusammenlebten.
Leider hatten die Menschen den Geistern und Fabelwesen zu großen Schaden hinzugefügt. Es hatte sowohl auch Opfer unter den Menschen gegeben, die daran nicht ganz unschuldig waren.
Mancher hatte es vielleicht verdient, aber sicher nicht alle.
Und so gerieten diese Kreaturen langsam in Vergessenheit, wurden aber durch Geschichten am Leben erhalten.
Diese Geschichten sollten daran erinnern, was passiert, wenn man einander nicht achtet und den anderen unterdrückt.
Und immer wenn jemand eines dieser Wesen gesehen haben will, bleibt die Erinnerung daran wach.

 

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