Von Monika Heil
»Meine Damen und Herren, darf ich kurz um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten?«
Die Geräuschkulisse verebbt in leises Gemurmel. Dann ist es ganz still.
»Danke sehr. Eigentlich hatte ich nicht vor, etwas zu sagen. Als Senior wollte ich allein diese interessante Ausstellung genießen. Doch soeben erreicht mich ein Telefonat meines Sohnes Bohm. Nachdem schon sein Flieger aus Rom Verspätung hatte, steckt er nun im Stau und wird sich so sehr verspäten, dass er mich bat, Sie nicht länger warten zu lassen und statt seiner die heutige Ausstellung seines besten Freundes Klaus Friesinger zu eröffnen. Keine Angst, ich werde jetzt keine lange Rede halten, bin ja auch gar nicht darauf vorbereitet, sondern Ihnen nur kurz einen begnadeten Künstler norddeutscher Landschaften und Impressionen zum Thema Naturgewalten vorstellen. Mein Sohn traf ihn vor Jahren auf Sylt. Die Chemie stimmte auf Anhieb und so entwickelte sich eine künstlerische Freundschaft, die unter anderem auch zu der heutigen Ausstellung führte. …«
»Bla, bla, bla«, murmelt Klaus Friesinger und schaut scheinbar interessiert auf den Vater des Galeristen.
»Und nun darf ich das Wort an den Künstler persönlich weitergeben. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir Klaus Friesinger.« Mit einer ausholenden Handbewegung beordert er den Angesprochenen an seine Seite.
»Danke, lieber, lieber Herr Bohnenfang. Ich will es noch kürzer machen, meine Damen und Herren, schauen Sie sich um, stellen Sie mir Fragen und kaufen Sie, kaufen Sie meine Bilder, auch wenn sie für mich wie Kinder sind, die man ja eigentlich nicht gern ziehen lässt. Professor Meinrad, mein Mentor an der Kunstakademie glaubt, meine Arbeiten besser zu kennen als ich. Also lasse ich ihn erklären, was ich empfinde.«
Er hat die Lacher auf seiner Seite. Der Professor ergreift das Wort. Salbungsvoll, ausladend und mehr als eine Viertelstunde lang folgen die sachverständigen Erklärungen, die kaum jemand versteht. Flüchtig schaut hier und da jemand auf die Uhr. Ein Handy klingelt, verstummt sehr schnell wieder. Der Angerufene läuft aus dem Raum.
Bohm Bohnenfang steht noch immer im Stau.
Endlich ist es so weit. Die Ausstellung ist eröffnet, die Gäste sind mit Sekt- oder Wassergläsern versorgt und gehen, allein oder in kleinen Gruppen, von Bild zu Bild.
»Vera unter dem Sternenhimmel, ein sehr poetischer Titel«, murmelt Fabian Hansen. Sein Grinsen passt nicht zu diesem Satz.
»Eine wunderbare Szene, fürwahr.« Fabian schaut kurz zu dem neben ihm Stehenden und fährt dann fort:
»Vor allem, wenn man weiß, dass diese Frau gar nicht Vera heißt.«
»Sie kennen das Original?«
»Ja, ich kenne sie, ich verehre sie, ich liebe sie.« Sein Gesichtsausdruck wechselt ins Schmachtende.
»Sie Glücklicher. Wie gut kennen Sie diese Schöne?«
»Gut genug, um zu wissen, dass die kleinen Brüste perfekt abgebildet, der flache Bauch genau so aussieht und ihre schlanken Beine richtig proportioniert sind«, schwärmt er. »Ihr richtiger Name? Der tut hier nichts zur Sache.«
Verstohlen mustert er seinen Nebenmann, der an seinem Glas nippt und – wie es ihm vorkommt – begehrlich auf Marlene schaut. Seine Marlene. Mag sie der Künstler auch Vera nennen.
Fabians Gedanken laufen der Zeit voraus. Morgen werden sie sich wiedersehen. Morgen kann er sie wieder in den Armen halten, sie lieben und die kurze Zeit genießen, die sie für sich haben. Ihr Mann Franjo ist mal wieder geschäftlich unterwegs. Gut, dass Anna gerade mit einer Freundin verreist ist. Irgendwo an der Ostsee der Schönheit wegen. Seine Frau tut viel für ihre Schönheit.
Wegen Klaus Friesinger allerdings muss ich ein ernstes Wort mit Marlene reden, beschließt er. Sie hat mir nie erzählt, dass sie sein Modell war. Obwohl, irgendwie ist es ja naheliegend. Sylt ist nicht groß und eine Schönheit wie Marlene muss dem Künstlerauge wahrscheinlich zwangsläufig auffallen. Schließlich leben beide seit Jahren auf der Insel.
Plötzlich flammt die alte Eifersucht wieder auf. Er mag nicht, dass andere Männer sie sehen – so nackt, so absolut privat. Dieses Privileg sollten nur er und – von ihm aus – ihr Mann Franjo haben.
Fabian kehrt gedanklich in die Gegenwart zurück und bemerkt, dass der andere Mann weiter gegangen ist. Gut so. Dessen Blick auf das Gemälde hat ihm gar nicht gefallen. Spontan beschließt er, das Bild zu kaufen, es den Blicken anderer zu entziehen. Wie er den Kauf Anna erklären soll, weiß er noch nicht. Kommt Zeit, kommt Rat, murmelt er und lässt die Arbeit mit einem roten Punkt versehen. Verkauft. 5000 Euro. Viel Geld. Na ja, es traf ja keinen Armen.
Fabian Hansen schlendert langsam weiter, der Andere etwas schneller. Jetzt trifft der Unbekannte auf den Künstler. Gut so, denkt Fabian, lass die beiden den üblichen Small Talk abspulen. Ich will nicht mit Friesinger reden. Nicht über dieses Bild, nicht über Marlene, auch wenn er sie Vera nennt.
Er hört nicht, was die beiden sagen.
»Kompliment, mein Lieber, und mutig die Serie der schönen Frauen.«
»Wieso? Alle drei haben mir ihre Zustimmung gegeben und versichert, ihre Ehemänner hätten nichts dagegen.«
»Na hoffentlich. Warum haben Sie diese Aktbilder nicht in einer Reihe platziert?«
»Stellen Sie sich das Gewimmel auf einem Platz vor«, grinst der Künstler. »Nein, nein, schön verstreut macht es spannender.« Nun stehen sie vor einem weiteren großformatigen Bild.
»Hannah und die Naturgewalten. Interessant. Ich kenne die Frau.«
»Ach ja? Dort kommt übrigens ihr Mann. Ich bin gespannt, wie er reagiert. Ob er sie erkennt?«
»Wie sollte er nicht? Sie haben die Frau absolut realistisch gemalt. Die dunklen Haare, das blasse Gesicht mit ihrem Klatschmohnmund, die vollen Brüste, sogar das kleine Mal auf der Innenseite ihres Schenkels.«
Mist, das hätte er jetzt nicht sagen sollen. Und prompt kommt die nächste Frage.
»Entschuldigung. Wie war Ihr Name?«
»Franz Martens. Meine Freunde allerdings nennen mich Franjo.«
Den letzten Satz hört Fabian Hansen. Scharf zieht er die Luft ein. Gleichzeitig fällt sein Blick auf das Gemälde. Eine Frau kämpft mit den Wellen der See. Laut Bildunterschrift heißt sie Hannah. Lüge! Diese Frau ist Anna. Seine Frau Anna. Er versucht, ruhig zu atmen. Ehe er auch nur ein Wort herausbringt, ruft eine lebhafte, fröhliche Stimme:
»Hallo zusammen. Wie schön, dass ich es doch noch geschafft habe.«
»Bohm!«
»Herr Bohnenfang!!« Zweistimmig.
»Na, was sagen Sie zu den starken Bildern? Vor allem Ihre Anna, lieber Franjo, geheimnisvoll wie immer. Und Ihre Marlene, lieber Herr Hansen, eine Naturgewalt.«
»Umgekehrt!!« Zweistimmig.
Das plötzliche Schweigen fällt auch den Umstehenden auf.
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