von Marcel Porta

Die Zwillinge Cornelia und Marianne gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Immer noch, obwohl sie schon über dreißig und beide Mütter zweier Töchter sind. Sie wohnen in verschiedenen Städten und telefonieren jeden Sonntag miteinander. So auch an diesem Tag.

 

„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“, wechselt Cornelia das Thema, nachdem sie ausgiebig über ihre Kinder gesprochen haben.

„Na klar, du weißt doch, dass ich schweigen kann wie ein Grab.“

„Stell‘ dir mal vor, Lea, unsere biedere Freundin Lea, hat einen Geliebten. Bist du da nicht von den Socken?“

„Ach, du spinnst ja, das glaubst du ja wohl selber nicht. Die ist nicht nur bieder, die ist auch prüde. Geht nicht mal in die gemischte Sauna!“ Marianne lacht laut auf, während sie diese lächerliche Vermutung in Bausch und Bogen zurückweist.

„Ich weiß es aber zufällig aus sicherer Quelle. Sie betrügt ihren Ehemann mit einem – halt‘ dich fest – mindestens zehn Jahre jüngeren Schwarzafrikaner.“

„Wie, einem Schwarzen, du meinst …“

„Ja, ein Dunkelhäutiger.“

„Jetzt steht aber eindeutig fest, dass du einen Vogel hast. Das glaube ich niemals, und du solltest gefälligst solche Behauptungen nicht in die Welt setzen. Wenn dieser Unsinn ihr zu Ohren kommt …“

„Wenn ich sie aber doch erwischt habe. Inflagranti!“

„Das musst du falsch interpretiert haben.“

„Was gibt es da falsch zu interpretieren, wenn sie nackt miteinander im Bett liegen?“

„So ein Quatsch, wo willst du das denn gesehen haben?“

„Bei mir zu Hause, du ungläubige Tomate. Sie hatte meinen Schlüssel während des Urlaubs und sollte meine Pflanzen gießen. Wie du weißt, bin ich aber eine Woche früher zurückgekommen, weil das Hotel so scheiße war. Und da hab ich sie erwischt.“

„Mannomann, dann muss ich es ja wirklich glauben. Hätte ich der nie zugetraut. Und was hat sie gesagt, als du plötzlich vor ihr standest? Den Standardspruch: Es ist ganz anders, als es aussieht?“

 

Die beiden lachen sich fast weg, dann bringt Cornelia doch noch eine Antwort zustande.

„Sie hat mir erklärt, dass ihr Mann ihr das Leben zur Hölle macht. Und dass sie Alhagie wirklich liebt. Nur kann sie sich von Heiko nicht trennen, weil der sie dann umbringt. Hätte er ihr mehrfach angedroht für den Fall, dass sie ihn verlassen will.“

„Ach, das hat der sicher nur so dahin gesagt. Wir sind ja hier in Mitteleuropa und nicht im Orient.“

„Ich weiß nicht, der Heiko ist schon ein schräger Vogel. Hab nie verstanden, wie Lea den heiraten konnte.“

„Schon, das hab ich auch nicht verstanden. Aber wenn sie ihn damit konfrontiert, dass sie ihn nicht mehr liebt, wird er das schon irgendwann kapieren …“

 

Das Gespräch beschäftigt sich noch ein Weilchen mit Heiko und seiner mutmaßlichen Reaktion, dann driftet es ab zu ihrer Mutter, die im Sterben liegt.

 

***

 

Wochen später trifft Marianne ihre beste Freundin Susanne in der Sauna. Vor ihr hat sie keine Geheimnisse und sie denkt sich nichts dabei, ihr die pikanten Details mitzuteilen, die ihre Schwester ihr über Lea unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt hat. Zumal sich Susanne und Lea gar nicht kennen.

 

„Ist aber schon ein starkes Stück, den Mann so zu betrügen“, urteilt Susanne am Ende der Erzählung. „Wenn die meine Freundin wäre, der würde ich ganz schön die Leviten lesen.“

„Ach was, betrogen wird allenthalben, und wenn du ihren Mann Heiko kennen würdest, ich glaube, dann würdest du Lea besser verstehen.“

„Das denke ich nicht. So wenig wie eine Frau das verdient hat, so wenig auch ein Ehemann. Immerhin hat sie ihn wohl mal geliebt, sonst hätte sie ihn nicht geheiratet.“
„Ich maße mir da kein Urteil an. Als moralische Instanz tauge ich wirklich nicht. Und wenn ich ehrlich bin: Ein bisschen denke ich, dass es Heiko recht geschieht. Der hat mich mal ganz übel bedrängt, als wir noch Jugendliche waren. Wenn Cornelia damals nicht irgendwie geahnt hätte, dass ich in Schwierigkeiten bin …“

„Das ist doch mindestens 50 Jahre her …“, ulkt Susanne und damit ist das Thema abgeschlossen.

Doch Susanne geht das Erzählte noch lange durch den Kopf. Marianne hat da, ohne es zu wissen, einen wunden Punkt bei ihr getroffen. Seit ein paar Tagen weiß sie, dass ihr Mann sie mit einer anderen betrügt. Der Schmerz darüber ist so groß, dass sie nicht einmal mit Marianne darüber geredet hat. Und dann erzählt die ihr solch eine Geschichte!

 

***

 

 „Sag mal, wohnt Cornelia nicht ganz in deiner Nähe?“  Susanne hat sich mit ihrer Freundin Karin über eine Stunde lang über diverse Internetseiten unterhalten, auf denen günstig Schmuck zu kaufen ist, doch die Erinnerung an das Gespräch mit Marianne ist immer noch präsent.

„Du meinst die Zwillingsschwester von Marianne? Ja, die wohnt ganz in meiner Nähe. Warum? Ich sehe sie ab und zu.“

„Dann kennst du vielleicht auch eine gewisse Lea, eine Freundin der beiden?“   

„Ach ja, das kann nur Lea Ulrich sein. Die ist mit den beiden in dieselbe Klasse gegangen. Warum fragst du?“

„Wie ist die denn so?“, fragt Karin weiter, statt eine Antwort zu geben.

„Ich kenne sie nicht so gut, nur von diversen Geburtstagsfeiern bei Marianne. Ich finde sie sehr nett. Sie ist Waldorflehrerin, wenn mich nicht alles täuscht.“

„Na, dann stimmt es ja vielleicht gar nicht, was ich gehört habe. Eine Waldorflehrerin …“

„Was hast du denn gehört? Lass mich doch nicht dumm sterben!“

„Ach was, ist nicht so wichtig.“
„Jetzt hast du annonciert, also musst du auch liefern!“, besteht Karin auf weiterer Aufklärung.

„Also gut, aber behalt es bitte für dich …

 

 

***

 

„Hallo Wiebke, schön dich zu treffen. Du kennst doch die Lea Ulrich, oder?“
Karin ist ganz scharf darauf, ihre sensationelle Neuigkeit an die Frau zu bringen. Normalerweise ist Wiebke diejenige, die alle anderen mit ihrem Insiderwissen verblüfft, da kann Karin nicht widerstehen.
„Klar kenne ich die, ihr Sohn geht mit meinem in denselben Kindergarten. Was ist mit ihr?“
„Stell dir mal vor …“

 

***  

 

„Hallo Marianne, schade, dass du nicht da bist, du weißt ja, ich spreche ungern auf Band, aber diesmal muss es sein, ich muss das jetzt jemandem erzählen, es ist zu schrecklich, stell dir mal vor, was hier Fürchterliches passiert ist, das kannst du dir nicht vorstellen, du erinnerst dich doch noch an unser Gespräch über Lea, du weißt doch, die mit dem Dunkelhäutigen in meiner Wohnung rumgemacht hat, die ist tot. —

Kein Mensch hat eine Ahnung, wie es dazu gekommen ist, aber Heiko, dieser Vollidiot von Ehemann, hat sie auf dem Gewissen, er ist geflohen, die Polizei ist hinter ihm her, sie haben jeden in der Nachbarschaft nach ihm gefragt, bei mir waren sie auch, aber ich hab natürlich nichts dazu beitragen können, hab nur gesagt, dass ich ihm das gar nicht zugetraut hätte, mit dem Beil und so, aber sie sind sich sicher, dass er es war, weil er das Beil am Tag zuvor bei Obi gekauft hat und ausschließlich seine Fingerabdrücke …, das macht mich ganz krank, hörst du, kannst du nicht herkommen?, die Beerdigung ist übermorgen, du musst so lange bei mir wohnen, ich brauch dich jetzt, das nimmt mich so mit …“ 

 

© Marcel Porta, 2017

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