Von Anne Zeisig

 

Wenigstens scheint die Sonne!

Das bedeutet: Gute Sicht.

So ein OPEL-ASTRA hat ja schließlich kein Radar und keine Funkverbindung zu Fluglotsen.

 

* * *

 

Aber beginnen wir den Tag doch in Ruhe:

Nein Chef! Heute habe ich keine Ausrede parat vonwegen Kind hat Fieber! Oder die Kita-Mitarbeiter und -innen streiken.

Die Schwiegermutter ist auch nicht aus dem Rollstuhl gefallen und der Hund hat keinen Legostein eingeatmet.

 

Es war einfach nur der allmorgendliche Stau auf der A40 dafür verantwortlich, dass ich zu spät den Kaffee kochen konnte für die Vorstandsvorsitzenden der ‘Diesel-AG’.

Dabei bin ich doch bereits zwei Stunden eher losgefahren!

 

Habe lediglich heute früh per Zufall herausbekommen, dass mein Mann seine Sekretärin klischeehaft auf seinem Bürosofa fickt, weil die Ehefrau, also ich, abends übermüdet ins Bett fällt, wenn sie zum zwanzigsten Male „La-Le-Lu-nur-der-Mann-im-Mond-hört-zu …“, den Kindern vorgesungen hat am Bette, in der Hoffnung, dass die Kids endlich einschlafen mögen vor zweiundzwanzig Uhr …

 

Wo war ich stehen geblieben?

Ach ja.

Bei mir, der abends übermüdeten Ehefrau, Mutter und Büromanagerin.

Die Kids sind raus aus den Windeln, die Schwiegermutter hinein in die Windeln oben in der Mansarde.

Ein Glas Rotwein. Merlot. Im Bett. Alleine.

Da proste ich mir im Schminkspiegel zu und aale mich verführerisch im karierten Pyjama aus Flanell, weil mir immer so unmenschlich kalt ist.

Na klar, wäre ein schwarzer Spitzenhauch von Nichts erotischer für meinen Mann, aber für mich wäre ein Waschbrettbauch ja auch die pure Anmache, anstatt seine Doppelripp-XXL-Unterhosen nass und schlapp aus der Waschmaschine zu holen.

Aber dem elektrischen Dildo in Pink, den ich zwischen meinen Stützstrümpfen verstecke, ist das alles egal.

Hauptsache, ich bin nach der Vibrator-Eigenkorpus-Aktion erschöpft und kann einschlafen, weil sonst in meinem Kopf die Ablage meines Chefs umherschwirrt.

‘Meeting um Acht, Dating um Neun, Rating um Zehn, Fucking um Elf, Brunch um Zwölf.’

 

Oder die Termine beim Kinderarzt, beim Zahnarzt, beim Logopäden und beim Gynäkologen, Spirale erneuern, denn zwei Kinder plus Hund und Schwiegermama, das reicht!

Never ever three Kids.

Zumindest mit diesem Mann, der immer noch keine Schleife binden kann.

Kindheitstrauma meines Angetrauten.

Hat immer nur Schuhe mit Klettverschlüssen bekommen von seiner dominanten Über-Mutter!

Jetzt kann sie auch keine Schleife mehr binden, weil sie einen Schlaganfall hatte.

Somit wären Sohn und Mutter wieder auf der gleichen Ebene angelangt.

Meinen Kids habe ich das mit den Schnürsenkeln zeitig beigebracht. Ein Hoch auf die Feinmotorik.

Ich muss die Traumata-Gene ja nicht unbedingt weitergeben.

 

(Spätestens jetzt fragt der interessierte Leser sich, aber auch wirklich nur der absolut aufmerksame, was das alles mit dem Fliegenkönnen zu tun hat)

 

Fliegen können, da bin ich mir sicher, einfach nur sorgenlos in den Tag hinein fliegen. Sie bedienen sich am Obst, dass ich gesunderweise für meine, äh, unsere Kinder bereitstelle, obwohl ein Misthaufen als Ernährungsquelle auch ausreichend wäre. Den Fliegen. Nicht meinen Töchtern.

Meistens können die Fliegen um unsere Lampen unbekümmert herum fliegen, wenn sie satt sind. Ich lasse ihnen diese Freiheit. Keine Fliegenklatsche vernichtet sie.

Das sind meine Mutterinstinkte. Jeder wird gefüttert. Auch die Schwiegermama.

 

* * *

 

Oder wie gerade, am Rande der A40, da fliegen sie um die wilde Kamille herum, womöglich, weil der Duft auf sie anregend wirkt?!

Oder die weißen Blättchen mit dem gelben Kern sie faszinieren?

Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er …

Biologie Fünf! Deshalb bin ich ja auch im Büro gelandet und nicht wie mein Mann bei dem Bio-Chemie-Konzern.

Die Fliegen landen also gerade auf einer blauen Kornblume neben dem Standstreifen.

Blau.

So richtig Blau war ich Silvester.

Da habe ich mir meinen Ehemann schöngetrunken, und als wir intim waren, kam ich zu der Erkenntnis, dass der elektrische Dildo besser ist, weil er meine erogenen Zonen intensiver kennt.

Do it yourself.

 

Die Halme des Schachtelfarns wiegen sich sanft im Frühlingswind.

Ich bin immer wieder erstaunt, warum an diesem naturfeindlichen Ort, wo es von Feinstaub und Stickoxyden nur so wimmel, die Vegetation wächst, blüht und gedeiht.

Der Bodendecker namens Cotoneaster wunderschön die nackte Erde bedeckt, ebenso die Schallschutzwände, und dem grauen Beton-Kahlen ein grünes Kleid verleiht.

Die Natur scheint robuster zu sein als mein Nervenkostüm in Nadelstreifen.

Frühling durch die Windschutzscheibe. 

 

Mein Autoradio meldet sich:

„Heih-Hah-Hussasah-Der-Lenz-Ist-Da!

Guten Morgen, liebe Hörer und Hörerinnen da draußen auf dem Weg zur Arbeit!

Die Staumeldungen über fünfundzwanzig Kilometer!

A2, Hannover in Richtung Kreuz Oberhausen, A42 zwischen Bottrop und Essen, A40 zwischen Essen-Frillendorf und Essen-Zentrum, A43 ab der Anschluss-Stelle Dortmund-Kley Richtung Bochum-Wattenscheid.

Geschätzte Verweil-Dauer: Vierzig Minuten.

Zudem hat die Regionalbahn 241,Wanne-Eickel Richtung Duisburg-Rheinhausen einen Triebwagenschaden und die Klimaanlage funktioniert nicht!

Wir wünschen allen einen guten Start in den Tag.“

 

Mein Blick schweift nach links auf die Überholspur.

Jeden Morgen!

Wirklich jeden Morgen stehe ich hier neben diesem Fettsack in seinem viel zu kleinen BMW, der Wagen platzt aus allen Nähten, wenn der Kerl sich im Innenspiegel beim Nasepopeln zuschaut und dabei seinen Bauch aufbläht.

Da gucke ich mir doch lieber an, wie die Fliegen um den wilden Rittersporn herum fliegen, weil sie fliegen können.

 

Warum fliege ich eigentlich nicht?

 

Weil die A40 keine Startbahn für einen OPEL-ASTRA ist?

Weil der Auspuff keine Flugzeugturbine ist?

Weil ich nicht beschleunigen kann wie ein Flugzeug? Zu wenig PS unter der Haube?

Weil die rosarote Wolke meilenweit entfernt ist?

Weil der Himmel voller Geigen längst in Konkurs gegangen ist?

 

Bilde ich mir das nur ein, oder lacht mich gerade eine Fliege aus, die sich auf meinem rechten Außenspiegel niedergelassen hat?

Ey! Ich benötige bereits Reisetabletten und mindestens zwei Liter Prosecco, wenn ich nur nach Mallorca fliege!

Und: Da bin nicht ICH die Pilotin!

Hallo?!

Ich bin eher der bodenständige Typ Frau.

Haus gebaut, Baum gepflanzt, zwei Kinder, eine Schwiegermutter im Schlepptau und einen treuen Ehemann.

Letzteres hat leider nicht geklappt, was ich seit heute früh weiß, seit ich diese Hotelrechnung in seiner Jackentasche gefunden habe.

Buchung vom … für Herrn und Frau …

Aber Frau, also ich, war nicht mit von der Partie am …see in der ‘Herzchen-Suite’.

 

Vor mir steht ein DHL-Paketwagen. Ein Dieselstinker.

Mir stinkt mein Leben auch gewaltig!

Ich drücke das Gaspedal hinunter bis zum Anschlag, der Motor heult auf, ich presse meinen Rücken in die Lehne und halte das Steuer mit ausgestreckten Armen fest in den Händen, meine Knöchel stechen hervor angesichts der Beschleunigungskräfte, die nun auf mich einwirken!

In meinem Kopf fährt ein Kreisel Achterbahn.

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, alle Ängste, alle Sorgen, … “, tönt es aus dem Autoradio.

Der Motor röhrt bedrohlich, das Licht des Armaturenbrettes erlischt, aus Sicherheitsgründen ist das aber normal, ich spüre den Druck in meinen Ohren, und der Moment des Abhebens ist ein erhabener.

 

Und lasse den ganzen Scheiß hinter mir.

Neee!

Unter mir!

Ohne Reisetabletten!

 

 

ENDversion