Von Max Siegel

Schon mehrere Tage wandere ich durch ein Hochtal des Yangpachem, nördlich von Lhasa. Es waren einsame Tage und ich hatte viel Zeit über mich, Gott und die Welt zu sinnieren. Heute Morgen entdeckte ich beim Zähneputzen am eiskalten Bach, welcher vom Goshen-Gletscher milchiges Wasser führt, in der Ferne die mächtigen Mauern eines Klosters im diffusen Morgenlicht. Ich rollte sofort meinen Schlafsack ein, denn für mich gab es nur noch einen Weg, rasch zu diesem Kloster zu gelangen. Nach anderthalb Stunden Marsch durch Steppengras und Geröllhalden stand ich nun vor riesigen Holztoren. Schön ziselierte Messing-Platten, Türknaufe und Türverankerungen fielen mir sofort auf, bevor ich es wagte einen Flügel des Tores aufzustossen. Ich trat ein und fand einen herrlichen Innenhof vor. Viele Pflanzen wucherten nach oben, bis zu den Balkonen in den oberen Stockwerken. Glyzinien waren vorherrschend, deren bunte Blütenpracht in Weiss und Hellblau herunterhingen. Dazu der betörende Duft, der mich ein bisschen schwindlig machte. „Hello, is someone here?“ rufe ich in den Innenhof hinein. Niemand antwortete, nur die Vielzahl an Vogelstimmen verstummte kurz, bevor sie umso heftiger zurück zwitscherten. An der hinteren Wand des Hofes plätscherte ein Brunnen, dessen Wasser in einem grossen Becken gefangen wird. Ich ging zum Brunnen und stellte meinen Rucksack auf den Boden. Dann zog ich meine Jacke und das Hemd aus und begann mich zu erfrischen. Ich formte meine Hände zu einem Becher und trank das klare Wasser mit Genuss. Als ich aufblickte stand mit etwas Abstand neben dem Brunnen eine wunderschöne Frau. Die schwarzen langen Haare hatte sie kunstvoll hochgesteckt und mit Blumen befestigt. Sie schaute mich mit mandelförmigen Augen an, welche wie schwarze Saphire funkelten. Sie war in einen weiten karmesinroten Mantel gehüllt, der mit goldenen chinesischen Zeichen und Ornamenten bestickt war. Ohne ein Wort zu sagen kam sie um den Brunnen herum auf mich zugeschritten. „अनुहार फ्लीजजनले एडिटरबाटsprach sie mich mit sanftem Ton an. Ich verstand nicht, was sie sagen wollte, einzig „Tschial“ hatte ich schon in Tibetisch gehört und bedeutet so viel wie Adler oder grosser Vogel. Sie stand nun zwei Meter vor mir und fasste an die Schlaufe an ihrer rechten Hüfte, die ihren Umhang zusammenhielt. Der Mantel fiel auf, als sie am Band zog und mit beiden Händen öffnete sie ihr Kleidungsstück. Ich erblickte vor mir eine nackte Frau, mit makellos hellbraun schimmernder Haut. Sie sah wie eine Göttin aus. „Mai Tao“ sagte sie und zeigte auf sich, anschliessend umarmte sie mich, schlang ihre Arme um meinen Hals und umwickelte uns beide mit ihrem Umhang. Ich spürte ihre kleinen harten Brüste an meinem Oberkörper und sofort strömte warme, wohlig anfühlende Energie in mich hinein. Unsere Körper standen bald unter Feuer und wir verschmolzen ineinander. Eine enorme Kraft schickte sie in mich und jede Faser meines Körpers wurde wie eine Batterie geladen. Rund um uns tauchte die Welt in ein goldenes Licht ein und tausende Blütenblätter wirbelten, wie wenn wir uns mitten in einem Schneesturm befinden würden. Ich roch ihren Duft aus Patchouli, Zitronenblüten, Jasmin, Ylang-Ylang, Tangerine, Maiglöckchen, der versetzte mich beinahe in Ohnmacht. Der Energie-Fluss wurde so heftig, sodass mein Leib sich ausschaltete und ich nur noch reine Seele war. Ich wachte aus diesem tranceartigen Zustand als ich einen kurzen Schmerz spürte, Mai Tao biss mir ins linke Ohrläppchen und stiess mich von sich. Sie zeigte mir mit Handbewegungen wie ein Vogel fliegt und rief dabei laufend „फ्लाई, उड, उड “!

Intuitiv dachte ich, sie will dass ich versuche zu fliegen? Deshalb begann ich zu laufen, durch das Klostertor und den Hügel hinab. Plötzlich spürte ich wie mein Körper abhob, zuerst war es ein Meter und als ich meine Arme ausbreitete ging es immer höher. Mit kleinen Handbewegungen konnte ich meinen Flug steuern. Ich flog über Steppen mit weidenden Yaks, gleissende Gletschern, kleinen Flüsse und Seen. Ich durchbrach Wolkendecken, stürzte mich wieder Richtung Erde und fühlte mich einfach nur frei, frei, frei……grenzenlos frei.

Als ich zum vierten oder fünften Mal wieder über den Wolken schwebte, fokussierte ich mich auf die Sonne, der Mutter allen Lebens. Ich steuerte auf sie zu. Euphorisch begann ich lauthals zu singen:

„Wenn der Mond im 7. Hause steht
und Jupiter auf Mars zugeht
herrscht Frieden unter den Planeten
lenkt Liebe ihre Bahn
Genau ab dann regiert die Erde der Wassermann
regiert sie der Wassermann
der Wassermann, der Wassermann!“

Da kam mir Ikarus in den Sinn, der ebenfalls zur Sonne fliegen wollte. Er klebte sich mit Wachs Vogelfedern an seinen Körper und näherte sich im Flug der Sonne. Unter der enormen Wärme schmolz das Wachs, er verlor seine Federn und stürzte ab. Mir kann dies nicht passieren, denn ich strotze vor Energie, die mir meine Göttin Mai Tao eingeflösst hatte. Die menschliche Vernunft überwog aber meine Gedanken und ich kehrte um, zurück zur Erde. Kurze Zeit später landete ich auf dem Platz mit den grossen Gebetsrollen mitten in Lhasa. Lange stand ich da und weinte, den meine Gefühlswelt war ausser Rand und Band. Sowas Gewaltiges hatte ich noch nie erlebt. Bis zu meinem Gasthaus sind es nur zehn Minuten Fussweg, wieso diese Strecke nicht fliegen? Ich nahm Anlauf, aber nichts passierte. Keine 10 Zentimeter hob ich ab. Anscheinend war die Energie von Mai Tao weg.

Toc, Toc, Toc. Ich wachte auf, denn das Klopfen an meiner Zimmertüre hörte nicht auf. Ich stand von meinem Bett auf, ging zur Türe und öffnete. Draussen stand die Tochter des Gastwirtes mit einem Tablett. Darauf dampfender Tee und Honigkekse, welche sie in mein Zimmer trug und auf dem kleinen Tisch absetzte. Sie hatte Augen wie Mai Tao und blickte mich mit dem gleichen umwerfenden Blick an. „Trashi Deleg“ wünschte sie mir und machte vor mir einen kleinen Knicks bevor sie mein Gastzimmer verlies. Tief zog ich die Luft ein und schnupperte im Raum herum. Gleiche Duftnoten lagen in der Luft, wie ich sie im Kloster von meiner Göttin war nahm. Ich setzte mich lächelnd aufs Bett und merkte wie die Energie wieder in mich strömte…..Traum oder Wirklichkeit?